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Motherboard: Juni 2021

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Die kaum vorhersehbaren musikalischen Schlenker, die das adäquat unausgewogene Duo aus Kid Millions & Jan St. Werner, macht, geizen an anziehend forcierter Radikalität ebenfalls nicht. Der Drummer unzähliger Free-Improv- und Avant-Rockbands (am bekanntesten wohl Oneida) und die Mouse-On-Mars-Hälfte bringen ihre jeweils experimentierfreudigsten und ergebnisoffensten musikalischen Arbeitsweisen gemeinsam (oder etwas Ähnliches, aber entfernter Verwandtes) jedenfalls nicht in langweilige Harmonie. Das kann in deftigem Psych-Freakout enden oder im kleinteilig knurpselnden Vor-Sich-Her-Dengeln. Ordentliche Wundertüte, dieses Imperium Droop (Thrill Jockey, 25. Juni).

Die sonnigen Kalifornierinnen von Not Not Fun haben offenbar eine Standleitung in den russischen Synthesizer-Untergrund. Oder wie lassen sich die beinahe monatlichen grandiosen Entdeckungen des Labels sonst erklären? Die Jüngste ist Konstantin Shkolnikov alias Coconut Dealers. Wie das Pseudonym bereits andeutet, bewegt sich Shkolnikovs ausladendes Doppeltape Coconut Dealers (Not Not Fun, 25. Juni) zwischen imaginärer Exotika und realen Feldaufnahmen tropischer Strände und Urwälder. Meeresrauschen, Zwitschern, Flirren, Fiepen, Modularsynthesizer oder Insekten, es ist sehr schnell gar nicht mehr relevant, was gespielt, was aufgenommen ist, was real und was Fantastie. In jedem Fall ist es große synthetische Naturmusik.

Der Berliner Franzose Yoann Pisterman nutzt seine Synthesizer auf absolut klassische Weise, um bei einer Electronica anzukommen, die in ihren stoischen Loops und dem warmen Groove sowohl von den kosmischen Krautexperimenten der siebziger Jahre inspiriert ist wie vom Japan-Ambient der Achtziger, von Midori Takada bis Hiroshi Yoshimura. Das macht Water Groove (Bytes, 25. Juni) zu einem exzellenten Debüt, das sich unaufdringlich in Bekanntes einreiht, aber doch eigenwillig genug bleibt im Detail, um nachhaltig Freude zu bereiten. Das Album könnte ein Klassiker werden.

Der New Yorker Lo-Fi-Elektriker Zack Tornaben alias Golden Hallway Music bedient sich ebenfalls der goldenen Synthesizer-Klassik vor der allem siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, und führt sie in einen explizit an Neo New Age und original kosmischer Musik anschlussfähigen Soundtrack, der einen unmittelbaren Effekt von Wiedererkennen und Wärme hat. Als habe es die Kassetten-Stunde Rules & Chances Vol. 2 (Not Not Fun, 25. Juni) schon immer gegeben. Oder mindestens seit circa 1974 auf einem Speicher auf einem abgelegenen Hof irgendwo in der Voreifel.

Noch spezifischer als experimenteller New Age konzipiert und als neue Meditationsmusik in buddhistische Praktiken eingebettet – aber mit ausreichend Selbstironie, um die implizierten Klischees des Genres zu, äh, ja, genau: transzendieren – gibt sich das Debüt des Duos Liila aus Portland. Danielle Davis and Steven Whiteley machen auf Soundness of Mind (Not Not Fun, 25. Juni) so lässigen kleinen Krach und so fein austarierten Klöppelsound, den Yogi möcht ich sehen, der darauf meditiert. Dem Ashram, der darauf steilgeht, würde ich glatt beitreten.

Mindestens genauso toll: Die moderne Dub-Electronica der Berlin-Russin Alexandra Zhakharenko alias Perila. Die ist mit How much Time it is between you and me? (Smalltown Supersound, 25. Juni) beim renommierten norwegischen Jazz-und-mehr-Label Smalltown Supersound untergekommen und hat ihren polarnächtlich eisigen Ambient auf der Basis maximal abstrahierten Dubs weiter in Richtung Soundscape, Hörspiel und Collage getrieben – unter Aufrechterhaltung eines extrem ruhigen, minimalistischen Flows, der hier allerdings öfter von Stimmen aufgeraut ist. Eine beeindruckende Weiterentwicklung und vermutlich das originellste und tiefschürfendste Dark-Ambient-Album der Saison.

Sound Art aus selbstgebauten Noise-Instrumenten, Sound-Innovations-Stipendium, White-Cube-Performance und akademische Workshops, das klingt vielleicht nicht so sexy nach Clubnächten und modernem Pop, ist es aber beides. Die norwegische Berlinerin Camilla Vatne Barratt-Due alias Canilla baut aus kaputten Akkordeons eigenwillige Synthesizer und macht daraus noch eigenwilligere Techno-Tracks oder Dark-Ambient-Stücke. Wie lässig und stimmig das zusammengeht, kann ihr Debüt you always wanted more in life, but now you don’t have the appetite (Street Pulse Records) ganz locker auffächern und dabei jedem high-brow-Anspruch an Avantgardismus und avancierter Komposition gerecht werden. Begleitend zum Albumrelease wird Barrat-Due diesen Sommer im Heizhaus/PSR in Berlin und beim Insomnia Festival in Tromsø Workshops zu Instrumentenbau und Akkordeon-Entfremdung geben.

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