Im gerade boomenden Mikrogenre Tape Ambient dienen der kassettentypische Lo-Fi Charakter, die verminderte Dynamik und das Rauschen des Tonträgers als Memento Mori vergehender Zeit und verblassender Erinnerung. Diese metaphorische Verbindung von akustischem und realem lebensweltlichen Verlust, Hoffnung und Gedächtnis, die William Basinski auf seinen Disintegration Loops an den Zenit der ultimativen Auslöschung geführt hat, ist in 2018 zwar nicht gerade originell, aber was die hervorgerufene Palette an Emotionen angeht unbestreitbar außergewöhnlich funktional. Vor allem wenn es um die subtile Trennung von konkreter aktueller Melancholie und rückwärtsgerichteter virtueller Nostalgie geht, leistet die Tape-Ästhetik wertvolle Dienste. Zudem verleiht sie jedem noch so digitalkalten Produktionsprozess die Aura von Wärme und Nähe.

Und offenbar geht Tape-Ambient besonders gut im Duo-Format. Vanessa Amara sind die beiden Dänen Birk Gjerlufsen Nielsen (von den Kopenhagener Doom-Metallern Demon Head) und Victor Kjellerup Juhl. Manos (Posh Isolation) führt ihre in bislang drei Kassetten- und Vinyl-Alben perfektionierte Vorstellung von Neo-Klassik als Drone-Ambient nahtlos weiter. Dunkelromantische Pianomelodien, Orgelpunkte, Folk-Gitarren und feine Streicherarrangements lassen sich im harmonischen Flow immer erahnen, werden aber nie explizit. Dem ausgewogenen Klangfluss ist alles untergeordnet. Das ergibt ein paradoxes gedämpftes Gleißen, ein klangliches Winterlicht im Hochsommer. Matawan sind zwei Newcomer aus London. Auf dem Tape We Lingered in the Chambers of the Sea (Midira) basteln sie auf ziemlich clevere Weise einen mächtigen rhythmisierten Synthesizer-Drone aus vielen überlagerten Schleifen. Wenn Celer oder William Basinski mal richtig laut, lärmig und „outgoing“ werden wollten (was wohl eher nie passiert) – so könnten sie klingen.


Stream: Vanessa Amara – 02 20-03-2017 21-12-2016 06-02-2016

Rex Kyed sind zwei Drittel der dänischen Krautrocker Svartbag, die sich mit nur einer einzigen Veröffentlichung vor zwölf Jahren einen internationalen Kult- und Exzentrikerstatus unter Psych- und Prog-Liebhabern erspielt haben. Das Tape-Debüt Rex Kyed (Infinite Waves) verfolgt die psychedelische Verwirrungsstrategie Svartbags weiter in Form ruhigen Drone-Ambients der verglichen mit dem Album der Stammband relativ wenig Feedback und Lawinen-Noise bietet, dafür umso mehr angeraute aber doch im innersten eher kontemplative Flächensounds. Die Holländer Amandus Schaap & Evert Kramer durchmessen auf Done (Midira) ähnliche gemischte Gefühlslagen. Dazu setzen sie impressionistische Pianominiaturen einem harschen Wetter aus. Der zerbrechliche Schönklang der akustischen Instrumente trotzt hier elektrischen Gewitterstürmen und Hagelschauern aus Gitarrenfeedback.


Stream: Angèle David-Guillou – Mouvement Organiques Pt. 1

Für die in London lebende französische Komponistin und Songwritern Angèle David-Gouillou, die mit sich ihren Bandprojekten Klima, Piano Magic und Silver Servants auf den Pfaden von Post-Rock bewegte und unter ihrem bürgerlichen Namen mit einem Album voll delikater Solo-Piano-Etüden den Boom der „klavierigen“ Neo-Klassik befeuerte, scheint die Ästhetik von Lo-Fi-Ambient einen Ausweg zu bieten aus der kreativen Einbahnstraße, die das Genre heute für viele ihrer wichtigsten Protagonisten darstellt. Mouvements Organiques (Village Green) ist eine Reinterpretation ihres kammermusikalischen Pianoalbums En Mouvement (Village Green) aus dem vergangenen Jahr. Ihre Entscheidung, den klar konturierten und perkussiven Klaviersounds durch die kontinuierlich pulsierenden und fließenden Klänge einer Kirchenorgel zu ersetzen, welche zusätzlich noch von Hall, Delay und elektronischem Granulaten verwischt sind, gibt den Stücken einen völlig neuen Charakter der zwischen allerbestem Drone-Ambient, barocken Chorälen und den Wirbelströmen der Minimal Music von Philip Glass changiert. Die Kirchenorgel ist auch das bevorzugte Arbeitsmaterial der Schwedin Anna von Hausswolff. Sie kann dem immobilen Instrument eine Bandbreite von Klängen entreißen, die von derbstem Doom-Metal über erhabenem Drone zu vernebeltem Shoegaze-Pop reicht. Ihr jüngstes Album Dead Magic (Pomperimpossa) tendiert wieder zum Pop mit einer starken Dosis gotischer Düsternis. Die Essenz aller Hausswolff-Stücke ist ihre Intensität, im Schönen wie im Dunklen.

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