Sie haben die Überaffirmation angesprochen, aber auch die Kritik. Vor einigen Jahren haben Sie ein ganzes Buch zur Kritik geschrieben. Gibt es die Kritik als subversives, substanzielles Element eigentlich noch?
Die gibt es fraglos. Was es aber gleichzeitig auch gibt, ist ein Abnutzungskrieg in der Kritik, also bestimmte Formen des kritischen Vokabulars oder des kritischen Gestus, die von Abnutzung bedroht oder als stumpf, als leer, als phrasenhaft erscheinen. Zugleich ist die Kritik als Ressource für künstlerisches Arbeiten extrem begehrt. Sowohl von KünstlerInnen als auch generell von dem ganzen Betrieb. Institutionen lechzen heute nach Institutionskritik. Das ist eine Standardressource, die hergestellt werden soll. Das kann man zum Beispiel an der Rhetorik von Biennalen erkennen. Es gibt kaum mehr eine relevante Verkaufsmesse, die nicht das Vokabular der Kritik für sich selbst beansprucht. Auf der einen Seite ist Kritik also sehr begehrt, hat sich ausgebreitet – kaum jemand will mehr unkritisch sein, weder KünstlerInnen aber auch KuratorInnen nicht. Selbst KäuferInnen im Kunstsystem geben sich gern kritisch. Das ist es auch, was ich in meinem Buch zu beschreiben versucht habe. Diese Paradoxien, die aus dem Ganzen heraus entstehen. Was heißt das also für kritisches Handeln im künstlerischen Zusammenhang? Muss man dann bestimmten Strategien, die als kritisch gelten, neu bewerten? Muss man sich neu überlegen, ob diese überhaupt noch eine Funktion erfüllen? Und gibt es auf der anderen Seite auch Formen der Ästhetik oder des künstlerischen Handelns, die von sich gar nicht mehr beanspruchen kritisch zu sein und vielleicht gerade deshalb eine interessante, aufsprengende Qualität erzeugen?

Das fasst ja auch das eigenartige an kritischer Kunst zusammen. Wenn man ihre kritische Absicht zu schnell oder zu vordergründig erkennt, dann ist man vielleicht nicht verstimmt, aber die Kritik ist unter Umständen stumpf und erfüllt eher ein Ritual, als dass sie tatsächlich etwas ausrichten kann. Ein heute vielfach zu bemerkendes Problem mit kritischer Kunst ist ja, dass sie eine leicht durchschaubare und dadurch auch instrumentalisierbare Form annimmt, bei der sich alle gut fühlen, solange sie bei dem Spiel mitmachen, während die Kunst gleichzeitig wenig aussagt und bewirkt. Das wäre mein Unbehagen mit der Kritik, was aber natürlich nicht heißt, dass jede Form von Kritik deswegen entsorgt ist. Die Frage ist eben nur, wie man Kritik betreibt. Mit meinem Buch habe ich den Versuch unternommen, Kritik nicht abermals als Metakritik der Kritik zu kritisieren, sondern überhaupt eine andere Sprache, eine andere Reflexionsform zur Kritik vorzuschlagen.

Donaufestival 2018: Nächste Line-Up-Ankündigung

Um einen Schwenk hin zum Programm des Donaufestivals zu machen. Es wird ein gewohnt interessantes Musik- und Performance-Programm präsentiert. Dazu kommt ein sehr vielversprechendes Diskurs-Format, unter anderem mit Simon Reynolds, Tilman Baumgärtel, Christian Dany und Armen Avanessian. Im Vergleich zum restlichen Festival-Programm hier aber auffallend viele Männer…
Naja, es sind schon auch Frauen dabei. Eva Horn wird zu Gast sein. Außerdem ist Karin Harrasser zu Gast, Veronica Kaup-Hasler moderiert. Es sind also schon auch Frauen dabei. Bei den geladenen Gästen im Diskursprogramm vor Ort, das stimmt, ist es nicht ganz ausgeglichen. Im Reader, mit den geschriebenen Beiträgen, ist es hingegen ausgewogen. Beispielsweise haben auch Kathrin Röggla und Marina Gioti Texte dafür verfasst.

Mir ist das nur auf den ersten Blick aufgefallen. Frauen haben also nicht weniger zur endlosen Gegenwart zu sagen als Männer?
Nein, natürlich nicht. Es hat sich zufällig so ergeben, dass das Verhältnis der geladenen Talk-Gäste nicht genau 50:50 ausgefallen ist. In der bildenden Kunst sind es dafür mehr Frauen. Ich hoffe, es gleicht sich halbwegs aus. Letztes Jahr waren im Diskursprogramm eine Spur mehr Frauen vertreten. Wir trachten dementsprechend schon danach, dass das Programm über alle Formate hinweg auch bezüglich dem Geschlechterverhältnis ausgewogen ausfällt.

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