Fotos: Thomas Brinkmann. Zuerst erschienen in Groove 170 (Januar/Februar 2018).
Gerade hat Thomas Brinkmann auf dem britischen Label Third Ear mit Retrospektiv eine prächtige Werkschau veröffentlicht. Die Fünffach-Vinylbox enthält 28 Stücke aus den Jahren zwischen 1997 und 2015, der Schwerpunkt liegt auf dem Material, das der Kölner auf seinen Labels Max Ernst und Ernst herausbrachte. „Eine Box ist ein Grabstein“, seufzt er, während der Pianist in der Bar des altehrwürdigen Kölner Hotels Ernst mit diskreter Miene Jazz-Standards spielt.
Ein Gefangener seines eigenen Schaffens oder Erfolges wollte Thomas Brinkmann noch nie sein. Der 58-Jährige wiederholt sich nicht gerne. Seine Musik ist stets von Eigensinn geprägt gewesen. Eigensinnig war auch das Projekt, mit dem er 1997 auf dem Kölner Label Profan debütierte. Die Studio 1 – Variationen waren Neubearbeitungen von Wolfgang-Voigt-Stücken aus dessen Studio-1-Serie, die er unter Verwendung eines Plattenspielers mit zwei Tonarmen angefertigt hatte. Aus den rhythmischen Verschiebungen ergaben sich neue Stücke. Vinyl war auch die Kernkomponente eines weiteren Projekts, Klick. Aus dem Knacken der Auslaufrillen von Schallplatten formte Brinkmann Rhythmus-Patterns, indem er mit einem Cutter Schnitte ins Vinyl ritzte. Turntablism ohne jede Artistik und handwerkliche Virtuosität, diese Idee blieb einzigartig.
Thomas Brinkmann gab in jenen Jahren dem frühen Minimal Techno entscheidende Impulse. Er bürstete das Genre gegen den Strich und landete speziell mit seinen Veröffentlichungen auf Max Ernst/Ernst dennoch Clubhits. Doch gegen Ende der Nullerjahre entfernte sich der gebürtige Mönchengladbacher zunehmend von dem, was er „Bassdrum-Vereinbarung“ nennt. Im Jahr 2010 stellte er den Betrieb seiner Labels ein. Zuletzt veröffentlichte der ehemalige Kunststudent zwei experimentelle, stark konzeptuell geprägte Alben auf Editions Mego. A 1000 Keys ist eine späte Rache an seinem Klavierlehrer, der ihn, zwar musikalisch interessiert, aber nach eigener Aussage leider völlig talentfrei war, in jungen Jahren quälte – ein Trauma, das er bis heute nicht ganz überwunden hat. Auf A 1000 Keys machte der Kölner kurzerhand aus einem Klavier ein Perkussionsinstrument, das er mit Schlägen traktierte.
What You Hear (Is What You Hear), sein letztes Album, stellt eine Verbindung von Farbwahrnehmung und Klängen her. Brinkmann lässt einzelne Klänge über Minuten rhythmisch oszillieren. Wieder geht es um seine große Passion – Verschiebungen im Rhythmus. Ansonsten betätigt sich der passionierte Motorradfahrer zusammen mit seiner Lebensgefährtin als bildender Künstler. Da wird aus zersägten Motorrädern schon auch mal eine Skulptur.
Deine ersten beiden Platten, die Studio 1 – Variationen aus dem Jahr 1997, waren gleich immens erfolgreich. Du gingst bereits auf die 30 zu, hast dir Tracks geschnappt, die Wolfgang Voigt auf Profan herausgebracht hatte, und hast diese mithilfe eines Plattenspielers, auf den zwei Tonarme montiert waren, neu bearbeitet. Plötzlich war der Name Thomas Brinkmann im Gespräch. Wie schaust du heute darauf zurück?
Das ist für mich natürlich noch immer ein Schlüsselprojekt. Die Kunstszene in Köln war damals ziemlich im Sack. Irgendwann bekam ich Wind vom Label Profan. Ich sage jetzt bewusst nicht Kompakt. Ich merkte, da sind ein paar Leute, die wirklich interessantes Zeug machen, in dem ich mich stark wiedererkannte. Damals studierte ich in Düsseldorf Kunst. Ich ging auf die Profan-Leute zu, ich wollte versuchen, diese beiden Ebenen zusammenzubringen, doch die lehnten dankend ab: Ist alles gut, aber wir brauchen uns hier nicht gegenseitig aufzuhübschen. Da war ein großes Selbstbewusstsein in der Szene, ich fand dieses Statement super. Ich verfolgte weiter, was in Köln gerade passierte. Da waren Air Liquide oder der Bionaut, es kam die Studio-1-Serie auf Profan, die für mich der Knaller war. Und schließlich brachte Wolfgang Voigt noch diesen Spruch über seine Arbeitsethik: Einen guten Track mache ich zwischen Frühstück und Mittagessen. Mit dieser Aussage konnte ich was anfangen.