Bist du über den Modular-Synthesizer deines Freundes zur Musik gekommen?
Ich komme ursprünglich aus Mönchengladbach, einer Stadt, die damals noch sehr durch die Textilindustrie geprägt war. Der Sound der Webstühle war schon eine Vorprägung für mich. Jacquard, der Webstuhlhersteller, ist nicht von ungefähr ein Vorreiter auf dem Weg zum Computer. Die Webstühle hatten eine Lochkartensteuerung und nähten so ihr Pattern. Aber ein Pattern war auch der Sound der Webstühle, der Vorgang findet in einer extremen Rhythmik statt. Heutige Webstühle sind schnell und leise, die pfeifen nur noch. Damals waren das nur 80 bis 140 BPM. Wenn 20 dieser alten Webstühle auf einmal laufen, gibt es schöne Interferenzen und Verschiebungen, das klingt wie ein Loop in einer leichten Verschiebung zum Beat. Daher kommt mein Faible für Verschiebungen in der Musik. Bahnfahrten haben mich auch geprägt. Bei diesen Fahrten spielten auch Drogen eine Rolle. Man war gut drauf und fuhr irgendwo hin. Das war fantastisch, die Züge klapperten damals ja noch mehr als heute.

Wie wurde aus diesen Prägungen deiner Kindheit und Jugend eigene Musik?
Ich wollte unbedingt Field Recordings machen, aber das scheiterte am Geld. Ich wollte ein gutes Aufnahmegerät haben, eine Tonbandmaschine schleppst du ja nicht mit dir rum. Die kompakten Geräte waren aber sehr teuer, wenn man Wert auf eine gute Tonqualität legte. Da stand mir meine Faulheit im Weg. Zwischen Frühstück und Mittagessen mache ich wirklich gerne einen Track, aber ich bin gerne faul. Meine Handwerksethik hält sich in Grenzen. Ich war begeistert, als ich in den Neunzigern dank 808 und 909 niemand mehr mit meinem Schlagzeugspiel auf den Geist gehen musste. Ich brauchte nur noch Knöpfchen zu drücken.

Du warst Schlagzeuger?
Ich habe Schlagzeug gespielt, ja. Sehr zum Missfallen meines Vaters. Die Sache ist: Ich bin Notenlegastheniker. Ich kann die nur umständlich ausklamüsern, mein Klavierunterricht war also für alle Beteiligten eine Zumutung. Ich musste alles auswendig lernen und kam nicht von der Stelle. Es war ein Horror. Daher kommt meine Abneigung gegen diese Handwerklichkeit und das klassische Geschisse. Das mit dem Schlagzeug lag mir besser. Doch da hatte ich meinen Vater als Gegner. Der drosch während der Sportschau mal auf das Schlagzeug ein, es lief gerade Borussia Mönchengladbach. Ein anderes Mal kam er runter in mein Zimmer, nahm meine gerade für viel Geld gekaufte Kinks-Platte vom Plattenspieler und zerbrach sie. Es lief gerade das Lied „I’m The Apeman“, er schrie: Affenmann, Affenmann!


Stream: Thomas Brinkmann – Retrospektiv

Welche Schlagzeuger hatten dich in deinen jungen Jahren beeindruckt?
Ein großer Einfluss von mir war Harald Grosskopf, der kommt auch aus Mönchengladbach, früher bei Wallenstein, dann bei Klaus Schulze und den Kosmischen Kurieren. Harald Wallenstein war der Erste, der konsequent elektronisches Drumming gemacht hat. Mit diesen Rock-Schlagzeugern und Solos kann ich nichts anfangen. Mir gefällt es, wenn man diszipliniert spielt wie Jaki Liebezeit von Can. Es heißt ja immer, dass er wie eine Maschine trommelte. Das ist natürlich Quatsch. Jaki Liebezeit spielte mit Konsequenz, er war große Klasse. Als es auf die Achtziger zuging, hörte ich viel Disco, so Sachen wie Michael Zager Band. Auf der anderen Seite mochte ich auch Funk, zum Beispiel die Bar-Kays und das Stück „Sexomatic“. Ich arbeitete damals in einem Club hinter der Theke, im B-52 in Mönchengladbach. Wichtig für mich war noch ein anderer Club der Stadt, das alte Soul Center.

Nach diesem Club hast du später dein Projekt Soul Center genannt, für das du viel Soul, Funk und Disco gesamplet hast. Was war das Soul Center für ein Laden?
Dort lief Black Music bis zum Abwinken. Die ganzen Düsseldorfer gingen auch dort hin. Gegründet wurde der Laden in den Siebzigern von einem Holländer, Wilmar van Beeren hieß er. Deshalb nannte ich das Label, auf dem ich die Soul Center-Platten veröffentlichte, auch W.v.B. Die Leute kamen zum Teil von weit her, es waren viele Schwarze im Publikum. Der Laden war extrem dunkel. Mit Ausnahme von Reggae und Dub lief ausschließlich Soul, Funk und Rap. Ab und zu wurde auch eine Kraftwerk-Platte gespielt. Man traf dort Leute, die man niemals erwartet hätte, zum Beispiel den besten Buchhändler der Stadt: Was, du auch hier? Wenn man einen guten Geschmack hatte, oder das, was damals als guter Geschmack galt, wäre man dort nicht hingegangen. In dieser Zeit konnte sich ein DJ sicher sein, dass irgendwann jemand ankam und sich Tom Waits wünschte. Also nee, steck dir den Tom Waits doch sonst wo hin. Dann wenigstens etwas von den Residents? Nein!

1
2
3
4
5
Vorheriger ArtikelPlatten der Woche mit Mor Elian, Hodge & Randomer und Karen Gwyer
Nächster ArtikelAlex.Do über “Symphony of Now”