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[REWIND 2022]: Die 20 besten Singles des Jahres

Rewind 2022: Manchmal fühlt es sich so an, als hätte elektronische Clubmusik 2022 die Maximierung als Grundmotiv gefunden. Die Jagd nach mehr Geschwindigkeit, härteren Kicks, wilderen Percussions oder möglichst bekannten Samples wurde nur übertroffen von der schieren Anzahl der Veröffentlichungen. Aus diesen Release-Fluten die besten 20 Singles des Jahres herauszufischen, kann also fast nur schiefgehen. Das liegt auch an der unglaublichen Bandbreite an Stilrichtungen, die dieses Jahr gleichzeitig auf den Tanzflächen der Welt aufgelegt wurden. Daher sehen wir die folgenden 20 Singles eher als eine Art Sammlung erstklassiger Musik, die den Kosmos der GROOVE gerockt hat.

Apropos Kosmos: Sämtliche Features, Listen und Best ofs aus dem diesjährigen Jahresrückblick findet ihr hier.

Ada – Moonrider EP (Pampa)

Nach elf Jahren Pause seit dem gefeierten letzten Pampa-Album Meine Zarte Pfoten nun also die Fortsetzung mit zwei gut dreiminütigen Tracks auf limitierter 7-Inch – man kann nun wirklich nicht behaupten, dass man bei Michaela Dippels alias Adas Diskographie leicht den Überblick verliert. Großartig sind beide Stücke dennoch in ihrer zeitlosen Beschwörung einer sinnlichen Melancholie, die den Referenzrahmen der Clubmusik diesmal völlig hinter sich lässt.

Die Jazzrock-Opis Chicago mit „25 or 6 to 4” zu covern, ist schon mal kein naheliegender Schritt. Mit cineastischen 70ies-Strings und asiatischem Einschlag schmilzt die:der geneigte Hörer:in selig dahin, und der Hawaii-Campfire-Pianopop des Titelstücks verzaubert dann endgültig beim Spaziergang durch trübe Wintertage. „Hey Moon Rider – be the saviour of them all!” Jochen Ditschler

Ada – Moonrider EP (Pampa)

Ambien Baby – Taste The Bass (Delicate)

Eine weitere Produktion aus dem umtriebigen Hause D. Tiffany, in diesem Fall eine Kollaboration mit Isla-Records-Labelchef Daniel Rincon, auch bekannt als NAP. Das „Ambien” im Projektnamen bezieht sich dabei eher nicht auf das musikalische Ambient-Genre. Vielmehr dürfte wohl das Schlafmittel Zolpidem gemeint sein – in Amerika unter dem Namen Ambien im Handel –, das in Verbindung mit Alkohol wohl mitunter euphorische Zustände hervorrufen soll.

Durchaus passend zur Musik hier, die sich wie eine somnambule Schraube ins Gehirn dreht. Angetrieben von mysteriös anmutenden Flüster-Vocals, ist jeder Track ein Trip ins Reich der psychedelischen Tanzmusik, angesiedelt irgendwo zwischen Trance, Frühneunziger-Prog-House und hypnotischem Techno. Massive Nebenwirkungen sind dabei nicht ausgeschlossen, aber dadurch macht es ja erst so richtig Spaß, oder? Tim Lorenz

Ambien Baby – Taste The Bass

Burial – Antidawn (Hyperdub)

Es ist eine schöne Tradition geworden: kein Weihnachten ohne neues Burial-Material oder zumindest eine Release-Ankündigung. Die Aufregung ist in den ersten Tagen immer groß, die Begeisterung aber nicht immer nachhaltig. Dass Burial der Welt kein drittes Album und höchstens eine Handvoll Tracks geliefert hat, die an seine Früherfolge erinnern, spricht für ihn als Künstler, der seiner eigenen Vision folgt. Nur heißt das eben lange noch nicht, dass auch die Musik immer etwas zu sagen hat.

Antidawn ist ein Fast-Album mit fünf Stücken auf insgesamt 43 Minuten. Wobei auch schwerlich von Stücken gesprochen werden kann. Denn eher noch handelt es sich um Klangcollagen, für die William Bevan ein paar bekannte Motive (gepitchte, entgenderte Vocals, artifizielles Vinylknistern) und eindeutig zu seiner Klangsignatur gehörende Elemente (elegische, patinabehaftete Synths, wie aus dem anderen Raum kommende Beats) einander überlagern lässt wie Nebelbänke an einem klirrekalten Wintermorgen an der Küste. Der Ansatz lässt sich vielleicht als Musique-concrète-Supercut durch die eigenen Sample-Librarys beschreiben, alles zusammengefügt in der veralteten Version einer Open-Access-DAW.

Bisweilen lässt das natürlich an die Computerspielmusik denken, die in Burials Schaffen schon immer eine Referenz darstellte, manchmal aber auch – wie im Titelstück oder auf „New Love” – dann doch eher an Noise als an die Ambient-Musik, an die sein Werk schon immer borderte. Selbst wenn Rhythmen die Tracks strukturieren, wirken sie noch hintergründiger als je zuvor.

Es geht Burial auf Antidawn ohrenscheinlich nicht um eine lineare Erzählung oder die Schaffung kohärenter musikalischer Formen, sondern die traumlogische Erkundung diverser Klangqualitäten. Als Prinzip ist das bestens aus der Sound Art, dem Ambient und anderen experimentellen Spielarten der elektronischen Musik bekannt – nur klang davon noch nie etwas wie dieses Fast-Album. Das macht es andererseits nicht unbedingt zu einer Platte für den Hausgebrauch, denn abgesehen von ad nauseam geloopten Vocals und einigen gleißenden Melodien bleibt nach diesen 43 Minuten kaum etwas im Gedächtnis hängen, und selbst hartgesottene Fans könnten diese Platte sperrig finden.

Viel eher funktioniert Antidawn als im Fluss befindliche, intuitive Konzeptkunst, als kreativer Befreiungs- und Rundumschlag durch das eigene Erbe. Vielleicht ein Zwischenschritt also, hin zu einem völlig neuen Burial. Wir werden es spätestens im nächsten Dezember herausfinden. Kristoffer Cornils

Burial – Antidawn (Hyperdub)

Chaos In the CBD – Intimate Fantasy EP (In Dust We Trust)

Kaum ein Produktions-Duo kann solch einen makellosen Katalog vorweisen wie die Brüder Ben und Louis Helliker-Hales alias Chaos In The CBD. Sie stehen für stilsicheren House, ohne jemals abgehoben oder austauschbar zu wirken. Dabei helfen ihnen perfekt gesampelte Drums und Mut zu langen Laufzeiten, die den Stücken genug Zeit zur Entfaltung geben.

Ihre neueste EP Intimate Fantasy für das seit 2017 betriebene Label In Dust We Trust versprüht zurückgelehnte Balearic-Vibes mit sonnengetränkter Romantik. Genau das Richtige für immer kürzer werdende Tage. Der Titeltrack glänzt demnach mit kosmischen Gitarrenlicks, butterweichen Drums und sanften Pads – ein weicher, einnehmender Groove, der auch nach acht Minuten noch gut reingeht. Auf der Flip-Seite ergeben gedämpfte Chords, ein kraftvoll rollender Beat und simple Pianoakzente eine geschmackvolle Housenummer, die sich für einen Lichtblick zu jedem Moment der Nacht eignet. Leopold Hutter

Chaos In the CBD - Intimate Fantasy EP (In Dust We Trust)

Daniel Wang – DSDN EP (Paloma)

In Sachen Hingabe macht Daniel Wang so schnell keiner was vor. Mit der ersten Veröffentlichung unter eigenem Namen seit einer gefühlten Ewigkeit meldet sich der Producer mit einer EP für das Label der Berliner Club-Institution Paloma, wo die Disco-Koryphäe Wang auch regelmäßig als DJ zu hören ist.

An DJs hat er wohl auch bei diesem Release gedacht, was nicht heißen soll, hier seien bloße Tools zu hören: DSDN liegt hier in einem zehnminütigen „Vocal Mix” und drei kürzeren Bearbeitungen vor, die als Dub oder Instrumental firmieren – das Konzept zitiert das einer Dancefloor-Maxi der späten Achtzigerjahre. Gleichzeitig ist DSDN auch eine Ode an die Stadt Berlin und die Nächte ihrer Partyszene. Deren Internationalität spiegelt sich in den deutsch-englischen Vocals von Eva Be und Clé, die zunächst als Frau-Vocoder-Duett Italo-Disco-, dann mit gerappten Lyrics Italo- und Hip-House-Zeiten aufleben lassen. Auch seine New-York-City-Sozialisation lässt Wang einfließen, ebenso einen balearischen Vibe im Sinne von Saâda Bonaire. Der „303 City Dub” ist eine Art Acid-Rundfahrt durch die Bundeshauptstadt, wobei die Namen der unterschiedlichen Stadtteile und Quartiere von Diba Wunderlich und Kristina Becker durchgesagt werden. Toll: die Tantra-artigen Gitarrenlicks von Simon Jules Etienne Guilbaud. Harry Schmidt 

Daniel Wang

DJ Fucks Himself – Weisse Weste EP (Natural Positions)

Verspielte Breakbeats von Niklas Fucks sind am Hineinkommen. Die Vier-Track-EP mit zwei Digital-Exclusives bricht runter mit „Café del Mardcore”, unterbietet teuflisch lächelnd jeden Friseursalon-Wortwitz, um sich bei 148 Schlägen in der Minute kurz über Klingelglöckchen lustig zu machen, bevor die superhochgepitchten Stimmen schwirren.

„Dream Team” hingegen verschränkt Flöten und Footwork, eingehüllt in Sternenstaub versandet die Suche nach der Zählzeit im schwarzen Nichts, das vielleicht ja weiß ist. 

„Ausgefallen” ist ausgefallen scharf produziert. Rund rollen die Breaks, die Wah-Wah-Gitarre schiebt sich plastisch in die Landschaft und die Maschinenbeats federn. Mit „Take It” wackelt ein hinternfreundliches Electro-Teil hinterher, jpeg.love, Co-Boss bei Raiders Records, remixt sich für die Digitalveröffentlichung „Dream Team” in eine Rave-Euphorie. UrbnMowgli geht für den „Take It”-Remix die Fuckparade suchen, so ranzig schnoddert es hier rum. Also: alles cool, klar, alles wunderbar. Christoph Braun

DJ Fucks Himself – Weisse Weste EP (Natural Positions)

DJ Heartstring – Met Her At Bäreneck (Lobster Theremin)

Galoppiert der Puls, schläfst du nicht ein, hör’ bei DJ Heartstring rein. Sorry für den Pausenreim: Seitdem Trance-Getröte nicht mehr dazu führt, dass sich die Leute am Technofloor den Mittelfinger in den Rachen schieben, feiern die Berlin based Buddies (ja, DJ Heartstring sind zwei Dudes) ein großes Fest. Eines, das sie auf Labels wie 1Ø PILLS MATE, Eurodance oder Lobster Theremin austragen. Dort kramt man im Kinderzimmer verzweifelt nach alten Ministry-of-Sound-CDs, um sich in die Neunziger zurückzubeamen und der Kindheit eine Ode an die Drogenfreude zu produzieren.

Sechzehntelbässe plätschern mit Quietscheentchen-Melodien in einen Teich, der sich aus Ecstasytränen speist und durch ein Tal von Tellern führt. Das funktioniert in der Smoothie-Werbung, zum Fünf-Uhr-Tee oder im Club. Selbst dann, wenn das Licht schon wieder an ist und man in einer verrauchten Eckkneipe an der Hasenheide von früher träumt. Wurscht, die Augen rot unterlaufen, haben DJ Heartstring kein Problem mit Pathos oder Kitsch. Der Bumms hat schließlich zu glitzern und glänzen, als hätte man dem Trance der alten Tage eine Unterbodenwäsche mit Aktivschaum gegönnt. Das bringt uns zwar nicht weiter, macht aber Spaß. Hedonismus fickt Nihilismus. Rauschy! Christoph Benkeser

DJ Life – Retina EP (Craigie Knowes)

Während Trance-Synths in den letzten Jahren ein szeneweites Comeback gefeiert haben, sind die Gräben zwischen Psytrance und puristischem House und Techno nach wie vor gefühlt endlos tief. Der junge Produzent DJ Life überbrückt die Schneise spielerisch mit wirbelnden, sich endlos hinaufschlängelnden Sounds und rhythmisch bouncenden Basslines.

Sein Amalgam aus housigen Grooves und gut gelaunten, trippigen Synthspiralen erinnert an den unbeschwerten Vibe Skandinaviens, hat dann aber doch eher den Spirit der Trance-Hymne inne, die in den Neunzigern im Norden des UK gefeiert wurden. Kein Wunder also, dass diese vier unkomplizierten und auf den Punkt gebrachten Partytracks auf dem schottischen Label Craigie Knowes ein Zuhause gefunden haben. Leopold Hutter

DJ Life – Retina EP (Craigie Knowes)

DJ Python – Club Sentimientos Vol. 2 (Incienso)

Mit Mas Amable hat der New Yorker Producer Brian Piñeyro alias DJ Python 2020 eines der überraschendsten und gleichzeitig meistbeachteten Alben des Jahres herausgebracht. Wirkte sein Mix aus Deep House, Reggaeton, IDM und Ambient auf Papier etwas ausgedacht, erwies sich Piñeyro im Longplayerformat als Meister der Uneigentlichkeit.

Auf Club Sentimientos Vol. 2 inszeniert sich DJ Python nun im Licht dieser neuen Gelassenheit und lässt nonchalant wissen: „Ich bin nicht mehr daran interessiert, das Richtige zu sagen – nur noch das Wahre.” Nahezu elf Minuten lang zieht „Angel” das Ohr mit Tabla-Percussion, schwebenden Chords, elektrostatisch aufgeladenem Hip-Hop-Groove und Subbass-Pulsen in Bann.

Der selbstvergessenen Hypnose stellt Piñeyro zwei aufgeräumtere Tracks gegenüber: „TMMD (IMMMD)” blickt auf Bassmusik zurück, während „Club Sentimiental Vol Three” eine Art IDM-Ballade ist, die an Boards of Canada erinnert. Um Nostalgie scheint es DJ Python in seinem Bezug auf die Neunziger am wenigsten zu gehen, eher um die Rekombination kontingenter Möglichkeiten: In allen Tracks schwingt auch der zeitliche Abstand hörbar mit. Harry Schmidt

DJ Python – Club Sentimientos Vol. 2 (Incienso)

Evigt Mörker – Två portar (Northern Electronics)

Während der frühen Zehnerjahre treibt sich Karl Lihagen in der illegalen Raveszene Stockholms herum und entdeckt seine Leidenschaft fürs Auflegen, für entgrenzte Clubnächte und Techno an sich. Als im September 2013 seine Debüt-EP als Evigt Mörker auf dem gleichnamigen Label erscheint, kriegen das aber nicht nur die Heads in Schweden mit. Auch ein gewisser Enrique Mena, seines Zeichens Gründer von Semantica, hat Lihagen fortan ebenso auf dem Schirm wie Anthony Linell von Northern Electronics. Hier erscheinen das völlig unterschätzte Debütalbum Krona (2019) sowie weitere EPs, mit denen sich Evigt Mörker als präzise kalkulierender Ingenieur hypnotischer Cuts etabliert, die keine Blattbreite Raum zwischen den einzelnen Komponenten von Ambient-, Minimal- und Acid-Techno lassen. Alles greift geschmeidig ineinander, schimmert auf Hochglanz poliert in dunkelblauem Passivlicht.

Es sind diese Qualitäten ultramoderner Clubmusik, die er auf dem jüngsten Streich für Northern Electronics abermals ein paar Nuancen weiter verfeinert. Die Produktionen auf Två portar zählen dementsprechend zum besten Material, das Lihagen bislang unter seinen Aliassen veröffentlicht hat.

Dunkel wabern die Pads im Titeltrack oder dem viskosen „En klok hand” zwischen klirrend kalten Shots, die wie Stalagmiten aus den angedeuteten Melodien ragen. „Tredje tecknet” und das abschließende „Ett okänt språk” beschwören in eben dieser Manier unwirkliche Bilder von kosmischen Ritualen im prähistorischen Lemuria, bei denen tonnenschwere Obelisken per Telepathie durch die Luft bewegt werden. Eine andere Zeit, eine andere Dimension – das schwingt hier mit. Selten erzeugt Techno derartiges Kopfkino und ist dennoch absolut cluborientiert. Nils Schlechtriemen

Evigt Mörker – Två portar (Northern Electronics)

Jana Rush – Dark Humor (Planet Mu)

Es gibt Stücke mit gesampeltem Lachen als Hook-Element – bestes Beispiel bleibt wohl für immer und ewig Josh Winks „Don’t Laugh”. Der eine Teil dieser Tracks nervt spätestens nach dem zweiten Hören und hat noch nie zum Mitlachen animiert, während man den anderen Teil immer wieder hören kann, um ab einer bestimmten Stelle oder Wiederholung kollektiv zu gickeln. Jana Rushs „Suicidal Ideation (Aural Hallucinations Mix)” gehört tendenziell zur letzteren Kategorie, obwohl weder der Titel noch der Track vom Arrangement her nach Humor und guter Laune schreien oder gar die seelische Komfortzone bedienen. Aber das führt uns genau auf die Spur zum Titel der EP, denn: Der Taktzahl der Katastrophen, die seit einigen Jahren die Menschheit in Atem hält, kann in manchen Situationen nur noch mit schwarzem Humor und krasser Reaktion (respektive Kunst) begegnet werden.

Im nächsten Moment kann solches Reagieren natürlich auch als nervig und anstrengend empfunden werden, aber das liegt in der Natur des Anlasses. Anstrengend im musikalischen Sektor wird immer wieder auch Jazz empfunden, und natürlich kommt in jeder Besprechung einer Veröffentlichung von Jana Rush früher oder später das J-Wort ins Spiel – so auch hier.

„Jazzig” ist ihre Musik aber nicht, weil sie regelmäßig Samples aus Jazzaufnahmen beinhaltet, sondern weil Rush Musik jenseits vorgegebener Muster denkt, komponiert, produziert. Weil Jazz bei ihr weder gut abgehangene Coolness noch ein institutionalisiertes „Free” in eng gesteckten und längst zum Gegenteil von Freiheit geronnenen Genregrenzen bedeutet. Es würde bestimmt Spaß machen, das Publikum eines arrivierten Jazzfestivals zu beobachten, das ihre Musik präsentiert bekäme. Don’t laugh? Jetzt gerade! Mathias Schaffhäuser

KH – Looking At Your Pager (Ministry Of Sound)

Ein ganzes Jahr lang dauerte es, die Rechte des Sample in diesem Track zu klären. Im Sommer 2021 wollte Kieran Hebden (hier als KH) alias Four Tet nämlich für sein erstes Festival-Set produzieren seit langem ein Stück, dass sich „universell, positiv und futuristisch” anfühlte, „and this is what I came up with.”

„Looking At Your Pager” loopt die Vocals des 2000er-R’n’B-Tracks „No More (Baby I’ma Do Right)” der Gruppe 3LW. Hebdan behält den Glitzer-Charakter bei und pitcht die Stimmen auf Chipmunk-Niveau. Dank knackigem Garagebeat und fettem Wobble-Bass ein unnkomplizierter Festival-Kracher, der Hebden mal wieder als unberechenbaren Publikums-Liebling herauskristallisiert.

Interessantes Detail am Rande: Nach jahrelangem Rechtsstreit mit seinem Verleger Domino erscheint diese Single (als 12-Inch mit dem bereits 2019 releasten, ebenfalls Vocal-getragenen Techhouse-Slammer „Only Human”) nun via Universal Music bei Ministry of Sound. Leopold Hutter 

Maara – Fancy Feast EP (Kalahari Oyster Cult)

Trance ist wieder da. Irgendwie immer noch sonderbar, sorry für die wiederholte Feststellung – siehe die letzte MaaraKritik. Wenn man andererseits hört, mit welcher Leidenschaft die kanadische Produzentin sich diesen Sound aneignet, stellt sich kaum die Frage, ob das notut oder nicht.

Von den peacigen LSD-Hippies scheint bei ihr zwar keiner mehr dabei zu sein, dafür steuern ihre straff gehaltenen Produktionen auf einen Strudel hin, der neben dem uneingeschränkten Willen zur Party auch eine leichte Neigung zum Apokalyptischen vermuten lässt. Das schwitzen die Acid-Schleifen in „Princess Express” genauso unheilschwanger aus wie die ramponierten Breaks und brodelnden Bässe in „Rude, Crude & Out of Control”. Doch auch wer feiert, als gäbe es kein Morgen, kann immer noch am nächsten Tag aufwachen. Tim Caspar Boehme

Maara – Fancy Feast (Kalahari Oyster Cult)

Nikki Nair – cclluubb (Scuffed)

Breakbeat at its best! „Ccclluub” ist einer dieser Tracks, den ich gerne zwischendurch spiele, wenn der Dancefloor schon am Kochen ist und ich kurz mal runterfahren möchte, um entweder eine andere Richtung einzuschlagen oder den Leuten das Durchatmen zu ermöglichen. Nikki Nair stammt aus den USA und ist ein Künstler, der für seine Breakbeat-Tracks bekannt ist und viel gespielt wird. Ich spiele auch gerne anderes von ihm, aber der hier hat es mir besonders angetan. Naty Seres.

nthng – Sub-Sonar (Delsin)

Der Sommer ist vorbei, her mit Heizdecken und Humpadumpa-Techno! nthng schleicht auf Sub-Sonar wie ein Traumprinz durch die Gehörgänge, lullt metatronisch ein und healt die beschissene Gesamtsituation für vier Tracks mit Meister-Proper-Vibes. Im Gegensatz zu Abriss, Ekstase und Raumfickerei mit Tralala-Tröten schnüffelt nthng dafür nicht am Lösungsmittel, sondern klappt sich einfach in den Schneidersitz. Vielleicht kokeln im Hintergrund zwei Räucherstäbchen. Vielleicht knüpft irgendwer schon Traumfänger. Mitunter plätschert sogar ein Zimmerbrunnen in der Hippie-Bude.

Alles egal, den Eso-Hau winkt man hier durch wie drei Musketiere ins Sisyphos. Sub-Sonar rauscht und stolpert, steht wieder auf, wischt sich Ecstasytränchen aus dem Gesicht und driftet in die nächste Zen-Garten-Grüblerei ab. Dort können uns Eurodance-Schlager und Push-Nachrichten-Trampel nichts anhaben. Weil nthng manchmal doch mehr als evrthng ist. Christoph Benkeser

nthng – Sub-Sonar (Delsin)

Objekt – Objekt #5 (Objekt)

Die Welt ist eine andere geworden, seitdem im Jahr 2017 die vierte Ausgabe von TJ Hertz’ selbstbetitelter EP-Serie erschienen ist. Doch hat Objekt selten Konzessionen an den Zeitgeist gemacht und eher Trends gesetzt, statt ihnen zu folgen. Die ohne große Vorankündigung veröffentlichte 12-Inch beweist nachdrücklich, wie er Rhythmus, Sounddesign und Arrangement innovativ ineinandergreifen lässt.

Die Synths von „Bad Apples” scheinen Electro- oder sogar Krautrock-Sounds zu zitieren, die Bassline aber klingt wie handgespielt und erinnert eher an einen Hardcore-Punk-Breakdown, während die Rhythmen von lateinamerikanischen Grooves inspiriert sind und doch ein electroides Flair verströmen. All das wird in einen spannungsgeladenen Flow übersetzt, der selbst in seinen ruhigsten Momenten explosiv wirkt.

Auf der Flip-Seite nimmt sich Hertz weniger Zeit und fokussiert sich auf das Miteinander einer heulenden Ein-Ton-Melodie und harter Percussion, die von knarzenden Bass- und Acid-Tönen umspielt werden. Ein einziges Crescendo, das auf Katharsis hinarbeitet und sie doch nicht anbietet. Zwei Meisterstücke, gleichermaßen understated wie überwältigend. Kristoffer Cornils

Objekt – Objekt 5 (Objekt)

Rene Wise – Tizer EP (sk_eleven)

Die zweite EP von Rene Wise für Setaoc Mass’ Label sk_eleven bewegt sich auf dem schmalen Grat zwischen fordernder Floor-Funktionalität und komplexen, rhythmischen und melodischen Verzahnungen. Der Techno-Entwurf des seit dem Jahr 2018 höchst produktiven Briten – bürgerlich eigentlich Andrew Shobeiri – positioniert sich zwischen Birminghamer Understatement und millsianischem Detailreichtum und macht das über weite Strecken ausgesprochen gut.

„Fuego” eröffnet die EP mit Glockentönen, die einen verhetzten, von subtilen Bassline-Einsätzen umspielten Four-to-the-Floor-Beat mit rhythmo-psychedelischen Qualitäten anreichern. „Tell Me” zeigt sich fokussierter, wenn nicht tooliger – im Kontrast zum vorigen Killer eher ein Filler. Die B-Seite wartet mit einem Stück auf, das die Qualitäten der beiden vorangegangenen Tracks in sich vereint. Solider Techno mit lysergischer Note und harten Claps für die Peaktime. „Speeding” ruft dann Erinnerungen an Clerics großen Hit „Avoid the Subject” auf: zitternde, an Acid bordernde Arpeggien entwickeln einen soghaften Groove, der eine bouncende Kick mit umso mehr Wucht auflädt. Kristoffer Cornils

Rene Wise –– Tizer EP (sk_eleven)

Rhyw – Honey Badger (Voam)

Auf Honey Badger geht es um Rhythmus – Melodien, Akkorde, gar Akkord-Kadenzen kommen so gut wie nicht vor. Wenn doch, wie im dritten Stück „Kirkhusa”, als kurze flankierende Maßnahme, die dann trotz ihrer Schlichtheit schon regelrecht verblüfft. Huch, eine Harmonie!

Ansonsten dominieren Grooves, aber nicht in techno-housiger Landläufigkeit, also gleichförmig vor sich hin rollende, möglichst geschmeidig-kantenlose Gebilde für die reibungslose Dancefloor-Routine, sondern Konstruktionen mit Hang zum Störfeuer, zur abrupten Variation, zu Sechzehntel-Geklöppel, triolischen Break-Einlagen und weiteren neckischen Stolperfallen.

Perfekte Tracks für ein Publikum, das nicht nur wippen und schunkeln will. Musik, die natürlich immer noch mit Techno, Breakbeat, Electro und House zu tun hat, aber so dermaßen banalitätsfrei und freigeistig ist, dass einem das Herz ins Hirn hüpfen will. Mathias Schaffhäuser

Rhyw – Honey Badger (Voam)

Shanti Celeste – Cutie / Shimmer (Hessle Audio)

Endlich mal wieder ein paar neue Hessle-Audio-Veröffentlichungen. Den Anfang macht Shanti Celeste mit einem Zwei-Tracker (plus Central-Remix), der sich vor den kommenden EPs der Label-Chefs Pearson Sound und Pangaea nicht im Geringsten zu verstecken braucht.

Sowohl „Cutie” wie auch „Shimmer” sind swingend über den Dancefloor gleitende Bass-House-Tracks, perfekte Kleinode, die so fröhlich wie entspannte Stimmung verbreiten, dabei aber auch mit Leichtigkeit die Tanzbeine in Bewegung halten. Vor allem „Cutie” mit seinen hochgepitchten Vocal-Chops ist genau das: putzig im allerbesten Sinne. „Shimmer” wiederum, wie auch der Central-Remix des Tracks, setzt mehr auf vorwärtstreibende Epik in weich-warmem, umflortem Sound-Design. Deliziös, möchte man sagen. Als Dreingabe gibt’s noch einen vierminütigen Edit von „Cutie” – perfekte Pop-Radio-Länge also: Ich denke, das ist ironisch zu hören. Tim Lorenz

Shanti Celeste – Cutie : Shimmer (Hessle Audio)

WTCHCRFT – Drugs Here (I Love Acid/Balkan Vinyl)

WTCHCRFT rührt an der Basstrommel. Der Producer aus Brooklyn quetscht eine 303 zwischen die Pobacken, schnallt fünf Kompressi unter die 808 und pfeift damit die ärgsten Bänger zwischen Big Apple und Bad Kleinkirchheim raus. Natürlich ist Drugs Here keine Platte, die man zum Fünf-Uhr-Tee bei den Schwiegereltern auflegt. Drugs Here ist eher eine Einstellungssache. Auf dem Dancefloor. Zur Peaktime. Im Rauschen.

Weil WTCHCRFT weiß, wie sich eine Kickdrum aufblasen lässt und etwas für den Schmatzsound der alten Roland-Maschine übrig hat, muss man dafür nicht erst den Kaugummiautomaten plündern. Die Füße wollen auch so auf der Stelle marschieren. Dabei spuckt man sich bei „Drugs Here” noch in die Hände, bevor „No Time To Lose” im Vocal-Limbo aufs Tempolimit scheißt. Für „Uhmm” gräbt Truss sein MPIA3-Geballer wieder aus und „Run It Bak Attak” schlabbert frühmorgens vor dem Club am Reparaturbier. Wer da nicht an die AceMoma-Buben denkt, hat seinen Beckenboden schon länger nicht gespürt. Anyhow. Die Balkan-Vinyl-Maschine läuft warm, das Label droppt den Bums – eh klar – auf roten oder blauen Platten. Wir alle wissen, welche Farbe wir zu wählen haben! Christoph Benkeser

WTCHCRFT – Drugs Here (I Love Acid : Balkan Vinyl)

Yazzus – Black Metropolis (Tresor)

Unter dem Namen Yazzus war Yasmine Heinel bisher primär im Umfeld des Londoner Labels Steel City Dance Discs aktiv und veröffentlichte dort neben einer ganzen Reihe einzelner Tracks auch eine veritable Flut an Edits, deren Palette von Eurodance über Anime-Themes bis hin zu Ghettotech reichte. Mit „Turn of Speed” debütierte sie im Vorjahr auf der großen Jubiläums-Compilation von Tresor und legt dort mit Black Metropolis eine EP nach, deren Namen womöglich ebenso auf Jeff Mills wie Drexciya anspielt.

Ein Hauch von Techno-Traditionalismus umweht die vier beziehungsweise in der Digital-Version fünf scharfkantig produzierten Stücke durchaus, doch zeigt sich Heinel als ebenso versierte wie innovative Produzentin, die mit Genuss wummernden Techno in Stingray-esken Electro überführt (klares Highlight: „Perforated”), bouncende Ghetto-House-Grooves mit Cowbell-Salven garniert (serious fun: „Metro City Bay Area”) oder Trance nochmal von Detroit aus neu erfindet („Three Deities”). Ein durch und durch beeindruckendes Tresor-Debüt, das nirgendwo besser aufgehoben gewesen wäre. Kristoffer Cornils

Yazzus – Black Metropolis (Tresor)

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