Titelbild: GROOVE

Richie Hawtin pflanzt Bäume fürs Fliegen, Fatboy Slim remixt die UN-Rede von Greta Thunberg, Chris Liebing ernährt sich vegan, Dominik Eulberg schickt uns auf Waldspaziergänge und Paula Temple presst keine Vinyl-Platten mehr – sie alle wollen ihren Einfluss auf die Umwelt reduzieren. Schließlich hat sich die Klimakrise spätestens in diesem Jahr ins kollektive Gedächtnis der Gesellschaft gehämmert: Wir brutzelten bei Rekordtemperaturen durch den Sommer, Fridays For Future-Kids marschieren seit Monaten durch die Straßen der Metropolen und Aktivist*innen von Extinction Rebellion wollen als Umweltbewegung auf „nette Art Menschen nerven”. Das macht klar: Die Klimakrise ist im Mainstream angekommen. Aber wie sieht’s aus mit Klimaschutz im Club?

„Der Klimawandel ist ein sehr reales Thema für die elektronische Musikszene, einfach weil dieses Thema uns alle angeht”, schreibt die britische Journalistin und Musikerin Chal Ravens im Juli 2019 über den Einfluss von Dance Music auf die Umwelt. In ihrem Text für Resident Advisor kombiniert sie zwei Themen, die man bisher selten zusammengedacht hat: Party und Nachhaltigkeit. Und erzeugt damit eine enorme Resonanz – natürlich macht die Verbindung auch Sinn. Allein in Berlin feiern jedes Jahr drei Millionen Tourist*innen in über 280 Clubs und spülen der Stadt fast 1,5 Milliarden Euro in die Kassen. Ziemlich viele Leute, die ziemlich viel Kohle liegen lassen – aber auch ordentlich CO2 in die Luft pusten.

Schließlich kommen die Leute nur selten mit der Bahn. Mit Ryanair jettet man für ein Wochenende nach Berlin. Klingt verlockend, ist aber schlecht fürs Klima. Selbst wenn wir wissen, dass der internationale Flugverkehr gerade mal für 2,5 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich ist, den ökologischen Haushalt wirbeln wir auf Kurzstreckenflügen innerhalb Europas so locker durcheinander wie Jeff Mills seine Platten auf den Tellern.

Faires Feiern für für den Öko-Haushalt

Damit steht man vor einem Dilemma: Wir ernähren uns zwar vegan, kaufen faire T-Shirts und schimpfen über SUV-Fahrer, die ihre Straßenpanzer durch enge Straßen lenken – geben am Wochenende aber alle ökologischen Prinzipien an der Clubgarderobe ab, um uns Chemie in die Nervenbahnen zu ballern und uns für eine Nacht vor einem DJ zu verlieren, der für ein Drei-Stunden-Set mal eben um die halbe Welt geflogen ist.

Moralische Bedenken? Werden weggewischt! Mit der Gewissheit, dass man morgen wieder auf Plastik verzichtet und den Second-Hand-Sweater mit Bio-Waschmittel im Eco-Modus durchspült, tauschen wir Hedonismus gegen Nachhaltigkeit. Wer denkt schon an sterbende Korallenriffe, den steigenden Meeresspiegel oder schmelzende Gletscher, wenn Strobos flackern und Bässe kicken. Eben. Die Sache geht uns zwar alle an. Dran denken möchte man beim Feiern aber nicht.

Könnte alles ganz anders sein, meint Georg Kössler, Sprecher der Grünen für Umwelt- und Clubpolitik: „Berlin ist Vorbild für Musik, Kreativität und Freiräume.“ Und: Berlin könne auch Vorbild für nachhaltiges Feiern werden. Schließlich hat sich die deutsche Hauptstadt ein hohes Ziel gesteckt: Bis 2050 soll Berlin klimaneutral werden. Das wird nicht ohne die Clubszene gehen.

Wo die grüne Utopie wächst

Deshalb investiert der Berliner Senat in Projekte, die sich der Klimakrise annehmen und Lösungen anbieten, die über das Verbot von Plastikstrohhalmen hinausgehen. Clubtopia, eine Initiative der Vereine BUND-Berlin, Clubliebe und Clubcommission Berlin, setzt sich seit 2019 mit der Frage auseinander, wie Clubs in Zukunft nachhaltig funktionieren können. Die Projektverantwortlichen bieten kostenfreie Energieberatungen an, haben bereits 2015 einen Green Club Guide verfasst und veranstalten regelmäßig Workshops und sogenannte Future Party Labs für grüne Clubkultur – um „Feierkultur, Klimaschutz und soziale Verantwortung zusammenfinden” zu lassen.

„2011, als wir mit der Initiative Clubmob gestartet sind, war ‘grünes Clubben’ ein Nischenthema, das teils auf Unverständnis und Ablehnung stieß”, sagt Konstanze Meyer von Clubtopia im Gespräch mit der GROOVE. Clubs wie das SO36 oder Yaam haben zwar früh die Bedeutung von ökologischem Bewusstsein im Clubbetrieb erkannt. Aber erst jetzt, einige Jahre später, sei ein gesteigertes Problembewusstsein zu spüren: „Worte wie ‘Klimaschutz’ oder ‘Zero Waste’ kann man im Zusammenhang mit Clubs inzwischen in den Mund nehmen, ohne dass sofort alle abhauen”, so Meyer.

Außerdem nehme das Interesse an den runden Tischen oder den Future Party Labs zu und Clubtopia bekomme im Vergleich zu früheren Clubmob-Jahren mehr Anfragen für Energieberatungen. „Wir bieten Beratungen an, die sich besonders auf geringe Investitionen fokussieren, sich aber schnell rechnen.” Dazu gehören effiziente Licht- und Kühltechnik, was auch für Clubs, die wegen befristeten Mietverträgen oder Verdrängungsdruck nur kurzfristig planen können, wichtig sei. „Häufig kommen Clubbetreiber*innen auch mit Problemen wie hohen Stromkosten oder sichtbaren Herausforderungen in Bezug auf Nachhaltigkeit zu uns”, so Meyer. Sichtbar sei alles, was Clubgänger*innen tatsächlich sehen – Plastikstrohhalme zum Beispiel.

Bei der Reduzierung bleibe es aber selten: „Die Beschäftigung mit den Themen Abfall und Ressourcen ist oft ein Einstiegsthema, was bei einigen Clubs dazu führt, sich mit ihrer Energiebilanz zu befassen”, sagt Meyer. Neben dem SO36 und Yaam, die ihre Nachhaltigkeitskonzepte weiterentwickeln, führt Konstanze Meyer ein weiteres Vorbild an: Das SchwuZ in Neukölln sei, nicht nur bezogen auf soziale Nachhaltigkeit, sondern auch durch energieeffiziente Technik und eine sehr gute interne Nachhaltigkeitskommunikation ein Vorreiter unter den Clubs. Ab 2020 fließe dort außerdem Ökostrom.

Vermeiden, Reduzieren, Kompensieren

Wer von Neukölln nach Friedrichshain blickt, sieht ähnliche Entwicklungen: Im ://about blank findet seit 2014 die Diskussionsreihe The Amplified Kitchen statt, die GROOVE bereits präsentierte. Protagonist*innen der Berliner Clubszene sprechen über soziale und politische Themen im Kontext der Clubkultur. Beim Treffen im Juli 2019, das ihr hier nachhören könnt, diskutierten Jacob Bilabel von der Green Music Initiative, Katharina Wolf von clubliebe e.V. und Fallon MacWilliams vom Verein Clean Scene über Clubkultur und ökologische Nachhaltigkeit.

„Sogar im kleinsten Club stehen bis zu 20 Kühlschränke. Das sind Energiefresser, weil man sie während Clubnächten sehr oft öffnet und schließt”, sagt Bilabel in der Diskussionsrunde. „Die Leute nehmen die Kühlschränke nicht bewusst wahr. Aber sie sind da. Und verbrennen eine Menge Energie, die ungenutzt bleibt.” Bilabel führt auch ein positives Beispiel an: „Das Berghain ist ein sehr effizienter Club. Die müssen zwar selten heizen, aber falls doch, verwendet man die abgeleitete Wärme von Kühlschränken.” Das sei ein Weg, Nachhaltigkeit in den Club zu bringen.

Energiesparen ist wichtig. Plastik zu reduzieren auch. Mit intelligenten Kühlschränken und Zero-Waste-Bechern ist es aber nicht getan. Laut Clubtopia verursachen kleine Clubs im Jahr etwa 30 Tonnen CO2. An einem Wochenende verbrauchen Licht, Kühlung, Sound und Lüftung in einem einzigen Club so viel Strom wie ein deutscher Singlehaushalt im ganzen Jahr. Wir merken es bloß nicht – im Gegensatz zum Rauschen von Flugzeugen, die über unseren Köpfen Kondensstreifen in den Himmel ziehen.

Fallon MacWilliams alias Darwin möchte deshalb die Aufmerksamkeit aufs Fliegen lenken. Sie hat den Verein Clean Scene gegründet und berät DJs und ihre Agenturen, um Flüge zu kompensieren. Konkret heißt das: Wer ins Flugzeug steigt, bläst zwar weiterhin CO2 in die Atmosphäre. Aber bei jedem Flug fließt Geld an Projekte zur Wiederaufforstung von Wäldern oder an Initiativen für erneuerbare Energie. Hört sich nach modernem Ablasshandel für Frequent Flyer-DJs an, konfrontiert uns aber mit der Frage: Können wir dadurch einfach weitermachen wie bisher – ab und an ein paar Bäume pflanzen, Kohle in Solaranlagen stecken und alles ist gut?

„Natürlich ist CO2-Kompensation nicht die Antwort auf die Klimakrise. Aber im Moment ist es das, was wir tun können, um ein Bewusstsein für die Situation zu schaffen”, so MacWilliams. Da Flüge günstig seien, können auch unbekanntere DJs für nur einen Gig ans andere Ende der Welt gebucht werden. „Der Trend ist relativ neu, zerstört aber unsere Umwelt – und viele DJs wissen das noch nicht”, meint die DJ und SPE:C-Labelbetreiberin. Sie betont, dass die Kompensation nur der Anfang sei. DJs müssen zukünftig auch darüber nachdenken, wie sie ihre Tour-Routen effizienter planen. „Das braucht Zeit, die wir nicht haben”, so MacWilliams.

Groß denken, lokal umsetzen

Deshalb denkt MacWilliams mit ihrem Verein Clean Scene groß. „Wir wollen jeden Club in Berlin davon überzeugen, regelmäßig Partys zu veranstalten, bei denen nur lokale DJs auftreten. Das klingt verrückt, weil alle immer die großen Namen buchen wollen. Aber eine Local Night könnte ein kollektives Bewusstsein schaffen, dass man als Veranstalter*in nicht DJs einfliegen muss, um Erfolg zu haben”, sagt MacWilliams im Gespräch bei The Amplified Kitchen.

Das alles zeigt: Um in der Szene etwas zu ändern, muss man auf der strukturellen Ebene ansetzen. Initiativen wie Clubtopia oder The Amplified Kitchen werkeln bereits an einem kollektivem Bewusstsein für die Klimakrise im Club. Warum nicht weitergehen und über einen Green Deal in der elektronischen Musikindustrie nachdenken. Die Berliner Clubszene könnte als Instrument sozialen Wandels mit gutem Beispiel vorangehen. DJs könnten eine Botschaft um die Welt tragen, Promoter*innen mit Partys einen Raum schaffen, der Feiern und soziale Verantwortung zusammendenkt. Fürs Klima. Und für eine bessere Zukunft auf dem Dancefloor.

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