Düstere Großraumtechnosounds wummern aus der Anlage des Reaktors. Auf dem Dancefloor der Betonkathedrale: Ekstase. Zuckende Leiber, manche in gruftiges Schwarz gekleidet, manche halbnackt mit kinky Accessoires geschmückt, schieben sich durch den Raum. Berghainige Clubatmosphäre soll hier vermittelt werden, und das funktioniert neben den vielen Dingen, die in der Serie The Next Level so völlig fehlgeleitet erscheinen, doch ganz gut. Hier, im Dunkeln eskapistischer Ausgelassenheit, passiert, worum die sechsteilige ARD-Produktion kreist: Eine amerikanische Touristin landet mit Überdosis-Symptomen im Backstage-Bereich und spuckt Schaum, bevor sie noch in derselben Nacht im Krankenhaus verstirbt.
So oder so ähnlich ereignet hat sich der Tod einer US-Amerikanerin im Berghain, über den der Journalist Alexander Osang im Spiegel 2018 eine Reportage veröffentlicht hat. Eine, die von verschiedenen Medien als reißerisch kritisiert wurde – die Diskussionen um den Spiegel-Reportagestil begleiteten damals auch die Berichterstattung um den Fake-Schreiber Claas Relotius. Osang rekonstruierte die Ereignisse im Berghain und verband sie mit dem Porträt eines jungen Pärchens auf Weltreise zwischen Hedonismus und Leistungshamsterrad und dem turbokapitalistisch geprägten Sittengemälde von Berlin.
Wenig aus der Wirklichkeit
Mit The Next Level hat der Journalist seine Reportage in eine Serie gegossen. Er selbst hat das Drehbuch geschrieben, Ipek Zübert und Thomas Gerhold haben bei den letzten Folgen unterstützt, die Regie übernahmen Pia Strietmann und Julia Langhof. Mit der Serie wird also Realität in Fiktion überführt, und es ist schon ein Stück weit faszinierend, wie wenig Osang aus der Wirklichkeit gelernt zu haben scheint.

Er selbst hat sich mit Rosa Bernhard (Lisa Vicari) ein weibliches Alter Ego geschaffen. Die Ausnahmereporterin der Berliner Allgemeinen, die gerade noch mit einer investigativen Reportage einen Senator abgesägt hat, vermittelt ihre journalistischen Ideale mit verblüffender Plumpheit. Sie sei „eine Reporterin”, erklärt sie gleich zu Beginn bedeutungsschwanger und stellt alles ihrer journalistischen Wahrheitssuche hintenan. Im Krankenhaus trifft sie auf Josh (Ben Lloyd-Hughes), der um seine frisch verstorbene Frau Zofia (Jenny Walser) trauert. Rosa wittert eine größere Geschichte dahinter und klebt sich an den Amerikaner.
Wie fast alle in dieser Oberflächenstudie trägt auch Heldin Rosa ihre Eigenschaften vor sich her. Sie ist die linksautonom Angehauchte in dem personellen Kuddelmuddel: die Haare punkig, gerne eine Kippe zwischen den Lippen und das Auto natürlich eine in die Jahre gekommene Klapperkiste. Warum sie mit Mark aus Bielefeld (!) zusammen ist, einem Karrieristen, der für die Wirtschaftssenatorin (Birge Schade) arbeitet: Das bleibt das vielleicht größte Geheimnis des Sechsteilers.
Das Rattern der Drehbuchmaschine
Die beiden verkörpern die Gegensätze, an denen sich die Serie abzuarbeiten versucht. Mark steht für den Ausverkauf der Stadt, denn er betreut den Bau eines Innovationszentrums, das gegenüber des Reaktors entstehen soll. An dem Projekt ist auch der superreiche Immobilienhai Bodo Brenner (Jens Harzer) beteiligt, ein windiger Altlinker, der in den Nachwendejahren sein Bürgerrechtlertum an den Nagel gehängt und Ostberliner Immobilien verscherbelt hat und nun meint, die Stadt retten zu können, indem er kleine „Inseln” kauft.

Die Serie spinnt später aus Brenner, Rosas Mutter (Michaela Winterstein) und ihrem Chefredakteur (Thorsten Merten) ein einstiges DDR-Kollektiv, dass es einem die Haare zu Berge stehen lässt. Die interessanteste Entwicklung von allen macht Josh durch. Dessen Schwiegervater (Krzysztof Pieczynski) überzeugt in den wenigen Szenen, die er hat, als tragischer Trauernder.
Das Rattern der Drehbuchmaschine ist durchweg zu hören, wenn die Serie zwischen den vielen Protagonisten in der Berliner und später New Yorker Gegenwart und der Hochzeitsreise des amerikanischen Paars, die im Reaktor endet, hin und her springt. Und vor allem auch, wenn hier offensichtliche narrative Spiegel gebaut werden: zwei Dramen zwischen Töchtern und Eltern, zwei ähnlich ungleiche Paare. Geheimnisvoll oder realistisch ambivalent ist hier nichts, daran ändert auch der penetrant nervige Taschenspielertrick mit der teils kaum vorhandenen Tiefenschärfe im Bild nichts.
Techno bleibt Beiwerk
Dabei reißt The Next Level viele wichtige und brandaktuelle Diskurse an: der von den Clubs als Wirtschafts- und Standortfaktoren mitproduzierte (immobilien-)kapitalistische Ausverkauf der Stadt, der sich gegenwärtig auch im Clubsterben manifestiert, der Clash der Systeme DDR und BRD, die Kommerzialisierung des (drogeninduzierten) Nachtlebens. Doch etwas zu sagen hat sie zu keinem dieser Themen, alles ist und bleibt hier Oberfläche, Behauptung oder Klischee oder im schlimmsten Fall alles zusammen. Das angeteaserte next level ist hier eher ein dumpfes Poltern im Keller.

Da ist sie also: eine weitere Serie, in der Techno und Clubkultur hedonistische Staffage bleiben für reißerische Plots, wie etwa auch in der Netflixserie White Lines, einer überdrehten Geschichte aus Drogengeschäften, Crime-Drama und Familiensaga mit Telenovela-Anleihen. Oder in der deutschen Serie Beat von Marco Kreuzpaintner, in der sich die Geschichte um einen dauerkoksenden Club-Promoter zu einer abstruse Haken schlagenden Thrillerserie um Geheimdienstagenten, Organhändler, Flüchtlinge und wodkasaufende Russen entwickelt – eine überdrehte Hybris, die im Gegensatz zu The Next Level immerhin Spaß gemacht hat.
Schade, denn die ARD hat mit Schwarze Früchte, einer Serie mit kalkuliertem Cringe-Faktor über queeres Schwarzes Leben in Deutschland, und zuletzt mit A Better Place über Fragen zum Gefängnissystem gezeigt, dass sie anders kann.
The Next Level ist in der ARD-Mediathek streambar. Am 31. Januar ab 22:20 Uhr werden alle Episoden im Ersten ausgestrahlt.