Die Mixe des Monats aus dem Oktober findet ihr hier. Lest außerdem unsere essenziellen Alben Teil 1, Teil 2 und Teil 3.
Carrier – Rhythm Immortal (Modern Love)
Guy Brewer blickt auf eine bewegte Musikgeschichte zurück und hat mit seinen Projekten schon jetzt das Kunststück fertiggebracht, verschiedenste Szenen mitzuprägen. Als Gründer von Commix entwickelte er unter anderem auf Labels wie Metalheadz die Evolution des Post-Tech-Step-D’n’B-Sounds der Nullerjahre mit, um anschließend als Shifted für über eine Dekade einen reduzierten dunklen Techno-Sound bei Mote-Evolver oder Avian weiterzuentwickeln. Und das ist nur ein Auszug aus seinem Schaffen, das auch kurzlebigere Projekte wie Alexander Lewis, A Model Authority oder die selbsternannte D’n’B-Supergroup The Cambridge 4 beinhalten.
Nach zehn Jahren Berlin ist Brewer vor zwei Jahren nach Belgien gezogen und hat auch musikalisch nach einem Neuanfang gesucht. Die ersten Releases als Carrier fielen vermutlich nicht ganz zufällig mit dem Zeitpunkt des Umzugs zusammen und schlagen ein komplett neues Kapitel auf: die EPs auf The Trilogy Tapes und FELT eröffneten bereits komplett neue Räume, die starke Assoziationen mit Dub-Techno-Explorationen von Basic Channel und – wahrscheinlich ungewollt, aber nicht unpassend – an den gleichnamigen Track („Carrier”) von Rhythm & Sound weckten. Durchaus möglich aber, dass sowohl bei Brewers Projekt als auch beim gleichnamigen R&S-Track die gleichen Assoziationen mit einem Begriff aus der FM-Synthese Pate standen, wo der „Carrier” als Trägersignal für Modulationen dient, die für Dub und Dub Techno stilprägend sind.
Vocals, Drones, omnipräsentes Echo
Mit seinem Debüt-Album hat Brewers neues Projekt beim Manchester Label Modern Love ein Zuhause gefunden, das kaum passender sein könnte – fühlen sich seine neuen Tracks zwischen Label-Legenden wie Andy Stott oder Demdike Stare doch sichtbar wohl. Die acht neuen Stücke auf Rhythm Immortal loten einen industriell anmutenden, explorativen Sound aus, in dem Dub Techno zwischen verhallten Samples, Vocals und Drones nur noch als omnipräsentes Echo erscheint und der in seiner reduzierten und soundverliebten Spielart nicht zuletzt an Robert Henkes Monolake erinnert. Eine Referenz, die Brewer selbst als Inspiration erwähnt und auf dem Album präsent zu sein scheint.
„I wanted it to feel like a dream you have where you’re somewhere familiar, which feels nevertheless otherworldly.”
Carrier
Symptomatisch scheint zum Beispiel „Carbon Works”, in dem ein klopfender Beat nach und nach der Echokammer entschwebt und in einen polyrhythmischen Reigen aus industriell anmutenden Samples übergeht. Jeder Track bringt hier eigenständige Elemente und Einflüsse ein, wie die im Sound floatenden Vocals von Noa Kurzweill bei der Voice-Actor-Kollaboration „Veil Of Yours”. Und nicht zuletzt die dunkel an dekontextualisiert-isoliertes Jazz-Instrumentarium erinnernden Drum-und-Sax-Samples bei „Outer Shell”oder „Offshore” (feat. Memotone).
Verraucht tribalistische Referenzen meint man bei „Wave after Wave” und „Amber Circle” herauszuhören, ohne sich je ganz sicher sein zu können. Der Sound gibt eine Richtung vor, lässt aber ähnlich wie bei Henke viel Raum, den man mit eigenen Assoziationen und Interpretationen füllen kann. Oder wie es Brewer selbst umschreibt: „I wanted it to feel like a dream you have where you’re somewhere familiar, which feels nevertheless otherworldly.” Und das ist ihm auf dem Album vortrefflich gelungen. Stefan Dietze