Warum eigentlich gelingt es nicht immer so leicht und lässig, Kulturen und Traditionen zueinander finden zu lassen wie auf den Songs for Broken Ships (Pingipung, 12. Mai) der Bangalore-Hamburg-Connection von MD Pallavi & Andi Otto? Deren fluffige Techno-Electronica wird in der Wechselwirkung mit Pallavis aus der Klassik Hindustans entwickelter Vokalartistik kaum zu World Music, weil die beiden nicht müssen, weil sie nicht anders können, als sie selbst zu bleiben, und doch in einem globalen Pop-Kontext spielen. Genau so geht nämlich echte Partnerschaft, genuiner Austausch ohne Verschmelzung.
Matthew M. Sage aus Colorado ist einer, der frei und unverkrampft zwischen Stilen und Werkzeugen, zwischen Jazz, Post-Rock und Elektronik-Glitch flottieren kann – Hauptsache, die Stimmung passt. Denn egal welches Genre oder Musikinstrument er gerade bedient, der Charakter seiner Klänge ist immer warm, milde melancholisch, leicht und schwebend. Paradise Crick (RVNG Intl., 26. Mai) ist ein freundliches Fest der offenen Klänge, das zwischen Oval und Jan Jelinek und mal wieder Kankyō Ongaku vermittelt, ohne je in der Kopfstrenge Ersterer zu verharren. Hin und wieder schleicht sich sogar ein knarzender Bass unter das pastellene Flirren. Nostalgisch ist das nicht (nur), wehmütig und umarmend immer. Modern-leichte Lagerfeuerromantik für schwere Zeiten.
Wo wir gerade schon Oval erwähnten. Markus Popps üppiges neues Album vermittelt gekonnt zwischen dem Sample-, Glitch- und Loop-Sound vom Oval der Neunziger und den cinematisch-enigmatischen Keyboardsounds der vergangenen Dekade. Kleinteilig und skrupulös in minimalste Details hinein produziert, könnte Romantiq (Thrill Jockey, 12. Mai) tatsächlich so etwas wie Kulminationspunkt und Resümee von Popps Schaffen über 30 Jahre hinweg sein. Oval früher war zeitgeistig und konzeptuell radikal, Cutting Edge in ästhetischen, technischen wie formalen Aspekten. Oval heute ist eine neue Welt, eine einzigartige, selbsterhaltende, selbstgenügsame, psychedelische Klangsphäre, die musikalisch nichts braucht, nichts beweisen muss, die einfach da ist und darin mehr als fast alles andere. Musikalisch betrachtet die größte Lavalampe der Welt.
Und Jan Jelinek war selbstverständlich ebenfalls nicht faul und hat gemeinsam mit dem Videokünstler Clive Holden eines seiner konzeptionellsten Werke überhaupt vorgelegt. Die Installation SEASCAPE – polyptych (Faitiche, 28. April) nutzt die Tonspur der berühmten Rede von Kapitän Ahab in John Hustons Moby-Dick-Verfilmung von 1954, um abstrakte synthetische Klangmoleküle elektronisch zu steuern und in Zusammenhang zu bringen. Was dann exakt so klingt wie eine extrem karge Variante der (anti-)krautigen (Anti-)Psychedelik, die Jelinek seit Jahren kultiviert. Das Konzept verinnerlicht zu haben, liefert bestimmt einen Mehrwert, notwendig ist es nicht. Die Klänge sprechen sehr wohl für sich.
Das wohlorganisierte Chaos, strukturelle, melodische und zeitliche Abstraktion, der kalkuliert freie Krach des präparierten Pianos (und damit ungenannt, aber definitiv als Hintergrundwissen vorhanden: John Cages Imaginary Landscapes) sind für den kanadischen Komponisten Jason Doell die Werkzeuge der Wahl. Dass seine Sounds aber nicht auf eine klassische Moderne oder eine vergangene Avantgarde rekurrieren wollen, zeigen schon das Cover von Becoming in Shadows ~ Of Being Touched (Whited Sepulchre, 21. April) und das Label, auf dem das Album erscheint. Die digitalen, hyperrealistisch gemorphten Visuals deuten eher auf aktuelle Club-Dekonstruktion hin. Auf dem Label veröffentlichen ansonsten Cutting-Edge-Experimentalist:innen, die nicht zwischen Pop, Improv und Sound Art unterscheiden – wie etwa Claire Rousay, Eve Maret, Midwife oder J. Carter. So klingt die Neue Musik wirklich neu.