Den ersten Teil der essenziellen Alben im April findet ihr hier, den zweiten hier, den dritten hier.
DJ Koze – Music Can Hear Us (Pampa)
In einer Welt, in der elektronische Musik oft zwischen algorithmisch berechneter Tanzbarkeit und der zwanghaften Suche nach Authentizität pendelt, ist DJ Koze eine seltene Figur: ein Bastler, ein Klangpoet, ein freier Radikaler im System. Seine Alben wirken weniger wie Veröffentlichungen als Portale; tief persönliche, mitunter dadaistische Audio-Collagen, die weniger das Jetzt abbilden als eine andere Realität erzeugen. Umso gespannter war man auf Music Can Hear Us, das erste Koze-Album seit dem bahnbrechenden Knock Knock von 2018. Schon das Artwork von Gepa Hinrichsen, ein expressionistischer Bastard zwischen Basquiat und Kinderzeichnung, signalisiert: Hier ist nichts konventionell, nichts eindeutig. Der Opener „The Universe in a Nutshell“ bestätigt diese Erwartung.
Das Stück hat ein fragmentiertes, fast jazziges Intro, das wie ein gestottertes Willkommen in Kozes Kosmos wirkt: verspielt, verkopft, dabei nie kopflastig. Ein Klangraum, der immer auch ein Gedankenraum ist. Und dann kommt Blur-Sänger Damon Albarn. In „Pure Love” entfaltet sich eine fragile Pop-Ballade, deren Schönheit gerade aus ihrer Unvollkommenheit wächst. Albarn murmelt sehnsüchtig über ein Koze-Fundament aus digitaler Melancholie und analogem Bröseln. Es ist der vielleicht berührendste Moment des Albums und zugleich ein Versprechen, das im Verlauf der Platte nicht immer eingelöst wird.
Denn so faszinierend Music Can Hear Us konzeptionell und atmosphärisch ist, so sehr kämpft es auch mit Längen. Gerade im Mittelteil, etwa mit Tracks wie „The Talented Mr. Tripley”, „What About Us” oder „Unbelievable”, stellt sich ein Gefühl der Gleichförmigkeit ein. Statt der typischen Koze’schen Überraschungen dominieren breitgewalzte Beats, repetitive Samples, ein Sounddesign, das sich in seiner eigenen Coolness zu gefallen scheint. Man vermisst den Witz, die Unverfrorenheit, das Unberechenbare. Jenen Moment, in dem Koze sonst das Steuer reißt und den Hörer plötzlich rückwärts durch ein Zeitloch zieht. Dabei gibt es zwischendurch immer wieder Lichtblitze: „Tu Dime Cuando”, ein bittersüßes Duett zwischen Ada und Sofia Kourtesis, changiert elegant zwischen Club, Sehnsucht und sanftem Sonnenuntergang. „Vamos A la Playa” ist ein dekonstruiertes Popsong-Gespenst, Soap&Skin haucht darin geisterhaft ins Leere. Und „Die Gondel” ist ein grummelndes Kleinod, wie ein vertonter Spaziergang durch Wien im Februar. Dennoch bleibt ein Zwiespalt.
Koze bleibt ein Genie der Intuition, ein Seismograph für das Zwischenmenschliche im Elektronischen.
Denn so liebevoll und detailversessen Koze mit seinen Gästen und Fragmenten umgeht, so sehr verliert sich das Album stellenweise in sich selbst. Man könnte sagen: Die Musik hört uns, aber sie antwortet nicht immer. Erst gegen Ende flammt das Album noch einmal richtig auf: „Brushcutter” und „Buschtaxi” sind Miniaturen, die vor schrulliger Eigenwilligkeit glänzen. Und „Umaoi”, das Finale mit dem ainu-folkigen Vokalensemble Marewrew, ist schlicht atemberaubend. Archaisch und hypermodern zugleich – als würde man über Jahrtausende hinweg eine Stimme hören, die man nie vergessen kann, obwohl man sie nie gehört hat.
Music Can Hear Us ist ein paradoxes Album: Es schwebt leicht, aber es trägt schwer. Es umarmt dich, aber manchmal vergisst es dich auch. Vielleicht liegt darin gerade sein Reiz – und sein Risiko. Koze bleibt ein Genie der Intuition, ein Seismograph für das Zwischenmenschliche im Elektronischen. Das Ergebnis: eine klangliche Odyssee mit Umwegen, aber auch mit Momenten reiner Magie.