Der The Terminal Floor des Terminal V (Foto: Jake Davis)
Ein stilechter Rave am Flughafen von Edinburgh, der auf sechs verschiedenen Floors von Luke Slater bis Joyhauser, von Adiel bis Mall Grab weite Teile des elektronischen Musikgeschehens dieser Tage abbildet? Da stürzt sich GROOVE-Chefredakteur Alexis Waltz nicht nur ins Getümmel – er verrät euch auch, wer in der postpandemischen Technolandschaft ein gutes Bild abgibt – und welche Acts im neuen Umfeld ihren Platz noch finden müssen.
Die Konsequenz des Terminal V wird schon deutlich, als ich am Flughafen von Edinburgh ankomme. Ich muss mir über keinen Transfer in die Stadt Gedanken machen, denn das Festival befindet sich nur 15 Gehminuten vom Flughafen entfernt – und mein (Flughafen-)Hotel unmittelbar neben dem Festivalgelände. Aus dem Fenster meines Zimmers kann ich beobachten, wie sich Heerscharen von Security-Personal in blauen Overalls und gelben Westen bereitmachen. Schon am Ostersamstag um die Mittagszeit eilen Gruppen junger Raver*innen über eine Schotterpiste, während im Hintergrund Flugzeuge über die Startbahn rollen. Flink bewegen sich die farbig gekleideten Kids durch ein Kuhgitter, das sie acht- oder zehnmal die Richtung wechseln lässt. Hinter dem Taschencheck wartet ein niedlicher, aber unerbittlicher Hund, der mitgeführte Drogen erschnüffelt. Neben mir schlägt er bei einem Jungen an, der in einen Container geführt wird.
Die anderen lassen sich von diesem unschönen Bild genauso wenig die Stimmung verderben wie ich. Neugierig inspizieren wir das Festivalgelände. Eine saftige, grüne Wiese wird von Fressbuden und dem Greenhouse, dem House-Floor, umsäumt, auf dem der Veteran Luke Solomon seine Londoner Version des Chicago-Sounds spielt, die ihn zur Jahrtausendwende zum stilprägenden Act dieser Szene gemacht hat. Der wesentlich größere Teil des Festivals spielt sich in drei großen Hallen ab, in denen früher Flugzeuge geparkt und repariert wurden, die heute Veranstaltungen beherbergen. Jede hat eine eigene, so irreale wie eindrückliche Atmosphäre.
Der Main-Floor heißt Areal V, die Halle ist fast so groß, dass man hier auch eine Mayday oder eine Time Warp abhalten könnte. Hinter der*dem DJ macht eine LED-Wand deutlich, wie hoch der Raum ist. Dass eine Helena Hauff hier schon am frühen Nachmittag auftritt, spiegelt die kuratorische Ambition des Festivals. Hauff spielt einen kompromisslosen Techno-Electro-Sound, dessen Unversöhnlichkeit nicht ganz mit der Stimmung dieses Ostersamstags, an dem draußen die Nachmittagssonne scheint, zusammengehen will. Den gigantischen Raum zu füllen, gelingt zu dieser Zeit noch nicht ganz – vielleicht ist ihre Musik für diese Uhrzeit zu fatalistisch und ungestüm, vielleicht sind noch nicht genug Menschen auf dem Gelände.
Später und am nächsten Tagen werden hier Größen wie Nina Kraviz, Robert Hood, Kobosil, Sven Väth, Amelie Lens oder Marcel Dettmann im b2b mit DJ Stingray 313 spielen. Auf der anderen Seite einer Asphaltfläche, auf der sich die Raver*innen tümmeln, ist in einer niedrigeren Produktionshalle, in der das Tageslicht durch die Decke scheint, der The-Terminal-Floor verortet. Hier hostet das Festival den poppigen Tech-House, der den Gäst*innen ganz besonders zusagt. Joyhauser, Solardo oder Rebüke werden diesen Floor beglücken, jetzt spielt hier Ammara – und die Leute mögen den Sound der Londonerin, so wie fast alles, das hier laufen wird.
Die drei übrigen Floors teilen sich einen riesigen Hangar, jeder hat einen eigenen Look, der eine eigene Stimmung erzeugt. Am beeindruckendsten ist der auch so betitelte Hangar-Floor, der „moderne” Techno-Künstler*innen von Reinier Zonnefeld bis I Hate Models, von Anfisa Letyago bis VTSS beherbergt, die auf die eine oder andere Weise das Zeitgemäße mit dem Gefälligen zu verbinden wissen.
Eine LED-Wand hinter der Bühne wird von einer LED-Ellipse ergänzt, die sich von der Bühne über den Floor erstreckt und agile, aus Licht gestaltete Räume entstehen lässt. Adiel macht hier den Anfang mit einem schönen Techno-Set, das die Tageszeit vergessen lässt. Die Italienerin springt von einem Bein aufs andere und spielt den stilsicheren, klanglich avancierten Techno, den man von ihren Danza-Tribale-Releases kennt. Den mixt sie mit einer Geistesgegenwart, die sie zu einer der stärksten jüngeren DJs macht.
Nebenan befindet sich der Cargo-Floor, der aus Containern gebaut ist. Hier spielen ambitionierte Künstler*innen wie Ben UFO, Special Request oder Young Marco. Sie haben es allerdings schwer, die Mehrheit der Gäst*innen konzentriert sich auf die anderen vier Floors, die mit House, Techno, Tech-House und dem „modernen”, so hippen wie atzigen Sound schon viel abdecken. Als sei das nicht schon mehr als genug für die knapp 20.000 Besucher*innen, gibt es hinter den Containern noch einen sechsten Floor – die mit schwarzem Molton abgehängte Blackbox für den kompromisslosen, puristischen Techno von Ben Sims, Luke Slater, Perc, Regal oder Héctor Oaks. Jetzt garniert hier Spandau20-Nachwuchskünstlerin Elli Acula eine kraftvolle Bass-Walze mit Trance-Einsprengseln, die man auf diesem Festival überraschend selten hört.
Auf dem Housefloor wird indessen Luke Solomuns humorig überdrehte Version von Chicago House von Mike Servitos verhaltenem Deep-House zwischen Blaze und Patrice Scott abgelöst. Servito liefert das erste Set, das sich nicht gegen die Nachmittagsstimmung sträubt, Kornél Kovacs steigert die Spannung mit einem dynamischeren, digitalen Sound.
Im Hangar zeigt sich Anfisa Letyago nicht weniger motiviert als Adiel, ihr Sound ist aber um einiges unspezifischer. Die Tracks nehmen mit Breaks und andere Verzierungen die Aufmerksamkeit von ihrem Mixing. So gleichgültig sie gegenüber den Potenzialen des Techno-Korsetts ist, so wenig will sie es doch sprengen. Auf dem Crossover-Floor gibt es derartige Berührungsängste mit technofremden Musikstilen nicht, da heizt Deborah de Luca mit einem achtzigerlastigen House-Sound ein, dessen Unmissverständlichkeit auf offene Ohren trifft. Auf dem abgelegenen Cargo Floor verlieren sich zu Moxie b2b Shanti Celeste ebenso wie zu Eris Drew b2b Octo Octa nur ein paar Dutzend Raver*innen.
Moxie schaut ein wenig traurig drein, den beiden US-Amerikanerinnen genügen die Musik und der Austausch untereinander. Derweil casht Reinier Zonneveld im Anschluss auf Letyago ein. Sein Liveact kommt der Crowd mit den Pop-Tropen entgegen, die rückhaltlos gefeiert werden. Zonnevelds Kunststück besteht darin, dass er sie mit einem ausgefeilten Clubsound und einer taktgenau vermessenen Dramaturgie unterfüttert. Auf dem erwähnten Puristenfloor, der Blackbox, liefern der Spanier Regal und der britische Techno-Jungstar Frazi.er, der morgen auch noch im Main Room auftreten wird, solide Ware.
Dann ist es Nacht, und die Stimmung ändert sich schlagartig. Marcel Dettmann b2b DJ Stingray 313 übernehmen von Dax J. Stingrays Mienenspiel ist unter seiner Maske nicht zu erkennen, Dettmann macht es sichtlich Spaß, auf Stingrays nervösen Electro-Funk zu reagieren. Er spielt klassische Detroit-Tracks mit raumgreifenden Pads. Wenig später ist das gelassene Lächeln von keinem anderen als Sven Väth hinter den den Plattentellern zu sehen. Mit satten, vollen Grooves nimmt er Druck aus der riesigen Halle und bringt Wärme und Körperlichkeit in den Raum.
Auch die Hooks dürfen die ravetypische Gefühlswelt zwischen Bedrohung und Paranoia hinter sich lassen und farbig und humorvoll sein. Nach einem lebendigen, zweistündigen Set steht Amelie Lens neben Väth, sie spielt das Closing auf diesem Floor. Es wird umarmt und angestoßen, Väth verabschiedet sich mit „Vamp” von Outlander und Lens legt los. Sie springt in die Höhe, ihre Arme fliegen in die Luft und sie dirigiert zugleich Musik und die Crowd.
Zeit für einen letzten Rundgang über die anderen Floors. Alan Fitzpatrick versöhnt auf dem Crossover-Floor harten, monotonen Techno mit vor Pathos strotzenden Breaks, bei Ben UFO b2b Helena Hauff gehen die UFO’sche Naivität und die Hauff’sche Tiefgründigkeit überraschend nahtlos ineinander über. Héctor Oaks gibt wie immer alles, anders als den meisten Kolleg*innen scheint es ihm nichts auszumachen, dass er auf einem abgelegenen Floor spielen muss.
Robert Hood liefert mit seiner Tochter Lyric Hood ein unterhaltsames, vocallastiges Floorplan-DJ-Set, bei den Übergängen schaut er ihr mit väterlich-strengem Blick auf die Finger. Das packendste Finale dieses Abends spielt I Hate Models, der nach dem schonungslosen, aber auch etwas beschränkten Set von 999999999 übernimmt. Seine sparsamen Grooves lassen viel Raum für überraschende Ausbrüche. Die können noisig und technoid sein, aber auch in eine ungewöhnlich spezifische, poppige Richtung gehen, die die Glamrock-Traditionslinie T. Rex – Queen – Miss Kittin aufrufen. Insofern liegt ein französischer Fan mit seinem Kommentar „La techno c’est comme le chocolat: plus c’est noir, meilleur c’est.” nur halb richtig.
Postpandemische Unbeschwertheit
Am zweiten Tag geht es auf dem Festivalgelände etwas ruhiger zu. Underground-Resistance-Künstler Rolando, KiNK und FJAAK können nicht wie angekündigt erscheinen. KiNK muss eine Corona-Erkrankung auskurieren, Rolando hat ohne Angabe von Gründen am Morgen abgesagt, FJAAK kündigen süffisanterweise in ihren Instagram-Story-Feed für den Zeitraum, in dem sie auf dem Terminal V auftreten sollten, einen Gig beim Paaspop Festival in Holland an.
Rolando wird auf dem Puristenfloor Blackbox würdig von Stephen Brown aus Edinburgh vertreten, einem der wenigen Locals auf dem Terminal V. Brown ist von Beginn an eine Instanz in der schottischen Szene. In der zweiten Hälfte der Neunziger hat er eine Reihe unverzichtbarer Platten auf Djax-Up-Beats veröffentlicht und damit eine detroitlastige Alternative zum vergleichsweise gefälligen Sound of Glasgow von Acts wie Slam geliefert. Dem schwelgerischen Detroit-Sound Browns setzt die junge Wallis aus Frankreich flinken, kantigen Techno entgegen, der mindestens ebenso unterhaltsam ist.
Im Nachmittagsprogramm überzeugt auf dem House-Floor mit einem guten Mix aus Zielsicherheit und Poesie Hammer, Young Marco sorgt als einziger Act auf dem gesamten Festival für Dekmantel-Flavour. KAS:ST klingen für die vergnügungslustige Crowd mit ihren 2000er-Minimal-Grooves zu zurückhaltend. Die vocallastigen House-Banger von Rebüke und Solardo sind da more agreeable, ebenso der dramaturgisch sauber gearbeitete und punktgenaue Techno von Frazi.er, der keine Scheu vor einprägsamen Hooklines hat. Zeit, sich im Foodcourt für das Nachprogramm zu stärken.
Cinthie vermag es, denn Greenhouse-Floor mit einem so geschmacks- wie zielsicheren, US-lastigen Sound, der immer analog und rough klingt, zu füllen. Ebenso stark ist nach ihr Kerri Chandler mit einem reminiszenten New-York-House-Set. Einen überraschend eigenwilligen Akzent setzen Chaos in the CBD mit einem verspielten, leichtfüßigen 2010er-Ansatz, der Meme-House-Klischees außen vor lässt, der Crowd allerdings zu doppelbödig ist. Nicht so gut aufgehen will an diesem Abend allerdings das Finale im Hangar.
Tale of Us verlassen sich zu sehr auf ihre hymnischen Melodien, und auch Maceo Plex verliert die Grooves aus dem Auge. Den sweet spot zwischen Rhythmus und Song bekommt die Crowd von keinem geringeren als Green Velvet serviert, dessen unterkühlte Unnahbarkeit die Tänzer*innen nur noch mehr herausfordern zu scheint. Allein die Späße von Eats Everything können ihm ein Lächeln auf das sonnenbebrillte Gesicht locken. Eine ebenso sichere Bank ist die Black Box. Dort gibt Luke Slater seinen Planetary-Assault-Systems-Live-Act zum Besten, der unterstreicht, dass bedingungslos harter Techno nicht unemotional daherkommen muss, was Slaters schöner, organischer Sound untermauert. Perc verbreitet danach mit zielsicherem Looptechno die ravige Umbeschwertheit, die pandemiegeplagten Raver*innen ebenso gut reinläuft wie Menschen, die in der europäischen Festivalszene zappelige Breakbeats oder gar nervtötenden Deconstructed Club über sich ergehen lassen müssen.
Anschließend ist es schon fast Zeit, ins Flughafenhotel zurückzukehren. Allein bleibt noch der Mainfloor, auf dem Nina Kraviz ein souveränes Set hinlegt, bei dem sie anders als etwa Kobosil am Vorabend nie in konturloses Geballer verfällt, sondern immer zwischen dem Groove differenziert, mit dem sie die große Halle im Griff hat, und der außergewöhnlich schrägen, kompromisslosen Klangwelt, mit der sie ihr persönliches, psychedelisches Narrativ etabliert.
Der Outperformer in diesem Closing-Marathon auf sechs verschiedenen Floors ist allerdings Mall Grab. Als einzigem gelingt es ihm, den Cargo-Floor, auf dem sich sämtliche DJs schwer getan haben, fast vollständig zu füllen. Es ist nicht schwer, zu verstehen, wieso das der Fall ist: Mit seinem Mix aus spröden Breaks, die immer greifbar und beweglich bleiben, und charmanten, unterhaltsamen Melodien, ist er einer der wenigen Acts, die die jungen Schott*innen auf dem Terminal V ganz und gar überzeugt.