Das enigmatische französische Projekt Wyddradear erfindet seine eigene dunkle Folklore in und aus analogen Synthesizern. Gotische Hexensabbat-Soundtracks und mittelalterliche Drones aus Transistoren und Kondensatoren, Hüllkurven und Potentiometern. Das ist spannend ausgedacht und gelingt auf dem Drei-Track-Tape Which Stems From The Sap (So Called Hell, 15. April) absolut inspiriert und atmosphärisch präzise. Könnte Dungeon Synth wieder ein Ding werden? So auf jeden Fall.

Ebenfalls ganz schön dark und mit archaischer Wucht kommen die elektroakustischen Klänge von Noémi Büchi aus dem nachwinterlich lichtarmen Zürich daher. Ihre digitale EP Hyle (-OUS, 15. April), Debüt auf dem hiesigen Label -OUS, arrangiert ihr Material – der Titel bedeutet genau das – in auftürmender und erstaunlicherweise doch Luft und Restlicht einlassenden Weise zu kurzen, aber beeindruckenden Stücken, die gar nicht umhin kommen, an die Topographie Zürichs denken zu lassen: Eingeschlossen von Bergen, doch offen hin zum See, adrett und wohlsortiert, doch manchmal bedrückend.

Das Mini-Album What Happens At Night (Fabrique Records, 29. April) von Jana Irmert nimmt ebenfalls eine Vermittlerrolle zwischen strenger Sound Art, dem raum- und zeitbasierten Denken der elektroakustischen Komposition und schwerem, aber sparsam arrangierten, Luft lassenden Dark Ambient ein. Weniger als ein Jahr nach The Soft Bit (Motherboard berichtete) etabliert sich hier eine neue musikalische Stimme, die ihre Genres neu definiert, ihre Ausdrucksformen selbst erfindet.

Auf den Kollektionen des Berliner Galerie- und Labelzusammenhangs Undogmatisch wird Alchemie zu Dark Ambient. Im dritten Teil der MAGNUM OPUS COLLECTIO SERIES: ALBEDO (Undogmatisch, 22. April), im Jung’schen Schema psycho-archetypisch interpretiert als Lebenskraft, erfinden die labelassozierten Künstler*innen ebenso wie das tolle Artwork von Valentina Bardazzi eine zeitgemäße Form von klar konturierter Psychedelik, die kaum etwas mit muffigem Hippiekram, Esoterik oder New Age zu tun hat, eher auf ältere, vielleicht dunklere Quellen verweist.

Und wenn ein Agentur-Galerie-Kunstraum-Label einen konzeptuellen Zusammenhang von Architektur und Musik herstellt, was entsteht dann? Überraschenderweise ebenfalls größtenteils Dark Ambient und Psychedelik der neuen, hippiefreien Art. Die Doppelkassette MSCTY EXPO UNKNOWN PLEASURES ZONE (MSCTY_EDN, 12. April) bringt Soundarbeiten angehend prominenter Musiker*innen zu Räumen aktuell prominenter Architekten. Die minimalistisch-elegant gestalteten Tape-Veröffentlichungen sind leider äußerst limitiert.

Skandinavischer Orgel-Drone ist ja aktuell ein No-Brainer. Gibt es doch praktisch keine Veröffentlichung von Kali Malone, Maria W Horn, Ellen Arkbro, Mats Erlandsson oder David Granström – ehrenhalber sei noch die Kanadierin Sarah Davachi in diese Liste aufgenommen –, die nicht großartig zwischen Komposition, Improvisation und Ambient-Produktion vermitteln würde und dabei, nicht zuletzt dem sakralen Instrument zu verdanken, emotional ans Maximum geht. Das gilt für Arch of Motion (Thanatosis Produktion, 29. April) der Schwedin Linnéa Talp, die bislang als Deerest psychedelisch-postrockende Tapes gemacht hat, im Besonderen. Die Stücke sind extrem sparsam arrangiert, streng und kurz, gerade so tonal und melodisch und simpel grandios.

Der Kontrast könnte größer kaum sein. In seiner Band, den inklusiven Electro-Poppern Tralala Blip hat der Australier Lydian Dunbar die Rolle des musikalischen Integrators inne und trägt entscheidend zum umarmenden, lebensfrohen Eindruck der Kombo bei. Die Soloarbeit Blue Sleep (Room40, 29. April) ist dagegen introspektiv bis ins Extrem. Sparsame Drones und subtilst geschichtete Noise-Layers in dunkelstem Blau. Die andere Seite eines outgoing Charakters, nicht weniger umarmend und lebensfreudig. Melancholie hat so viele Farben (Blau).

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