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Januar 2025: Die essenziellen Alben (Teil 1)

Teil 2 der essenziellen Alben aus dem Januar 2025 findet ihr hier, Teil 3 hier.

.Vril – Saturn Is A Supercomputer (Omnidisc)

Saturn Is A Supercomputer, das jüngste Album von .Vril, erschien zwar erst Ende November, aber schaffte noch auffällig oft den Sprung in die Endjahres-Bestenlisten, nicht zuletzt in meine eigene. Gründe dafür liefert das Werk viele.

Mit seinem nunmehr sechsten Album veröffentlicht der aus Hannover stammende Wahl-Portugiese ein retrofuturistisches Epos, das nicht nur optisch an Achtziger-Sci-Fi-Klassiker wie Blade Runner erinnert. Auch im Sound verdichten sich hier cineastische Spannungsbögen mit einer Brise Pathos und .Vrils von Vorgängeralben wie Anima Mundi bekanntem Trademark-Sound, dessen saturiert verhallte Deepness schnell in die Arme nimmt und nicht mehr loslässt. Musikalisch bewegt sich das Album zwischen dunkel schiebenden Club-Tracks, Electronica mit Neunziger-Warp-Anleihen und DMX-Krew-artigem Electro-Pop, wie auf dem großartigen Titeltrack. Das auf Omnidisc erschienene Album verliert dabei aber nie das Storytelling aus den Augen und wächst so zu einem Werk, das stets den Anspruch hat, mehr zu sein als die Summe der einzelnen Teile.

Da möchte man eigentlich gar keine einzelnen Tracks hervorheben, nur um es dann doch noch tun zu müssen: „Final Earthbound” ist das alles überragende Herzstück, das die verschiedenen Pole des Albums zu einem dramatischen Hybrid verdichtet, von dem man nicht so recht weiß, ob man ihn zu Hause mit dicken Kopfhörern oder in der Techno-Kathedrale hören möchte, Hauptsache laut, mit einem wirklich guten Soundsystem und viel Hingabe. Stefan Dietze

Actress – Дарен Дж. Каннінгем (Smalltown Supersound)

Eine sich immer wieder wiederholende Piano-Miniatur zieht hinein in diese mysteriös anmutende Mischung aus verzerrten Kickdrums, leise im Hintergrund muffelnd, verwischten Ton-Sequenzen und found sounds. Pulsierende Rhythmen stoßen langsam, und doch voller Kraft durch ein Schneegestöber aus unscharfen Synthesizer-Flächen und Lo-Fi-Melodie-Artefakten, die wie die musikalische Entsprechung eines verschwommenen Impressionismus-Gemäldes in winterlichem Grau klingen.

Oder wie Actress selbst sein nach sich benanntes Album (Дарен Дж. Каннінгем ist sein bürgerlicher Name, Darren J. Cunningham, auf Ukrainisch) bezeichnet: „It’s a collage–Braque” – auf den Kubismus-Mitbegründer Georges Braque hinweisend. Und ähnlich wie auf kubistischen Gemälden löst auch Actress die stringente Form auf, taucht tief ein in die Abstraktion des Gegenstands, hier der Melodie, um diese ganz in der Textur, im Rauschen aufgehen zu lassen.

Ursprünglich als Mixtape für Resident Advisor im Juni vergangenen Jahres erschienen, bringt das norwegische Avantgarde-Label Smalltown Supersound Cunninghams Collagen-Mix nun als CD heraus. Und das ist gut so, denn so findet dieses Abenteuer des Zuhörens hoffentlich noch mehr eben solche, Zuhörer:innen nämlich. Tim Lorenz

Aksel & Aino – Akvatisk Beredskap (Public Possession)

Im Grunde kennt man das ja. Ein Duo mit Gesang und Elektronik, als stilistisches Vorbild die Achtziger. Trifft alles auf das Stockholmer Projekt Aksel & Aino zu, das auf seinem zweiten Album diesen Weg fortsetzt. Wobei man ergänzen muss, dass Aksel Friberg und Aino Collmar weder die neongrellen noch die derzeit wieder sehr beliebten gotisch verschatteten Seiten der Achtziger zelebrieren, sondern konsequent einen Zwischenweg gehen. Die Stimmung eher introspektiv, der Gesang von Aino diszipliniert schlicht gehalten, sodass es lakonisch und ein klitzekleines Bisschen wehmütig klingt, dazu streng reduzierte, meist hell-luftige Arrangements, nirgendwo kommt eine zu dicke Schicht drauf. Diese Selbstbeschränkung gerade in der Produktion wirkt so unbekümmert und frisch, dass man, obwohl der Ansatz keinesfalls einzigartig ist, nie den Eindruck hat, davon an anderer Stelle schon genug gehört zu haben. Das Ganze gerät ihnen im positiven Sinn persönlich: Man fühlt sich freundlich aufgefordert, einfach dabei zu sein. Tim Caspar Boehme

DJ Sotofett – DJ Sotofett & The Colours Of Computer Generated Instruments (Clone West Coast Series Holland)

Meisterhaft nimmt DJ Sotofett auf seinem neuen Album mit auf eine Reise durch 40 Jahre elektronische Tanzmusik. Electro ist dabei der Unterbau, der Grundrhythmus, von dem aus sich diese 15 Tracks in unterschiedliche Richtungen entwickeln.

Das geht los mit dem Techno-infizierten Opener „Phunk Baton”, um dann beim zweiten Stück, „Take Me To A Silent Place” (so etwas wie der Thema-Track des Albums, erscheint er doch in drei Versionen – zu Beginn, mittig und als Abschluss-Stück), bei einer Art verträumter Version Kraftwerks zu landen. Und das ist nur der Anfang. Weiter geht es mal mit verschnörkelten Electronica-Melodien, dann wieder mit Dancefloor-bereitem Underground-Punch. Kurze chorale Ambient-Interludien wechseln sich ab mit Drexciya-artigem, minimalistischem Maschinen-Funk. Sotofett kombiniert eingängigen Electronic-Pop mit verlangsamten MIDI-Jungle-Rhythmen und Spielzeug-Melodien, um im nächsten Moment mit avantgardistischem Zirpen die Maschinen zum Singen zu bewegen.

Allen Stücken gemein ist dabei eine verträumte, retrofuturistische Sci-Fi-Stimmung: Musik von heute, die das Gestern reproduziert, um das Morgen zu beschreiben. Tim Lorenz

Dorian Concept – Music From A Room Full Of Synths (-OUS)

Oliver Johnson alias Dorian Concept weckt wie schon oft zuvor auch auf seinem neuen Album Assoziationen mit Erik Satie. Die neun Miniaturen zwischen ein- und dreieinhalb Minuten lassen sich darüber hinaus stilistisch nicht weiter fixieren, und auch die Erinnerung an Satie rührt eher von einer allgemeinen minimalistisch-impressionistischen Ausstrahlung der Stücke her als von konkreten musikalischen Parametern. Nicht, dass Satie ein Impressionist gewesen sei, dennoch hatten seine Kompositionen einen bedeutenden Einfluss auf diese Epoche, und ein Stück wie „Outside Yourself” könnte mit seiner bildhaften Ausdruckskraft und anders instrumentiert auch Teil eines Orchesterwerks von Claude Debussy sein.

Apropos instrumentiert: Vermutlich werden gut 80 Prozent aller Rezensionen zu diesem Album mit dem Konzept dahinter beginnen. Das Schweizer Label -OUS, auf dem Music From A Room Full Of Synths erscheint, arbeitet zum zweiten Mal mit dem SMEM, dem Schweizer Museum für elektronische Musikinstrumente, zusammen und ermöglichte Johnson, sich zehn Tage lang an der dortigen Sammlung auszutoben. Laut Labelinfo wurde das gesamte Album live und ohne jegliche Sequenzierung oder Programmierung aufgenommen, was keine Seltenheit im Schaffen des Wieners darstellt.

Letztendlich ist aber auch hier nicht entscheidend, wie etwas entstanden ist, sondern was. Music From A Room Full Of Synths gehört zu den Glücksfällen, bei denen der zugrunde liegende Plan nicht zur Last wird, im Gegenteil. Das Album strahlt geradezu vor Leichtigkeit und Verspieltheit. Mathias Schaffhäuser

Fred P & SMBD – When The Mantras Return (Private Society)

Manchmal muss man bloß ein wenig dazugeben, um aus einer EP ein vollwertiges Album zu machen. Vor knapp zwei Jahren veröffentlichten die Produzenten Fred P und Pierre Louis Stanislas Renouf alias Simbad alias SMBD die EP When The Mantras Return auf Fred Ps Label Private Society. In der Neuauflage erweiterten sie ihre Zusammenarbeit um drei auf jetzt insgesamt neun Tracks. Die ursprüngliche, kürzere Fassung konzentrierte sich vor allem auf ihren dezent gehaltenen „Deep Space House” mit seinen langsam treibenden, harmonischen Sternnebeln und weltraumtauglichen Ambient-Intros beziehungsweise Zwischenspielen. Die neu hinzugekommene Nummer „Angel Dust” fällt nicht völlig aus dem Rahmen, erhöht mit dominantem Beat und mehrstimmig expressivem Soulgesang lediglich etwas den Druck. Das reduzierte, rhythmisch unauffällig komplexe „Hybrid” lässt sich wiederum als Hommage an den Model-500-Klassiker Deep Space verstehen. Und in „Pulling Strings” führen die beiden, bevor der Beat einsetzt, ganz wörtlich einen persönlichen Dialog. Die Sache war den zusätzlichen Aufwand wert. Tim Caspar Boehme

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