Foto: Frank P. Eckert

Wenn jemand die Eindrücke von Unsicherheit, Vereinsamung, politischer und gesellschaftlicher Hilflosigkeit, die gerade wieder einmal mehr als akut wirken, künstlerisch und emotional vorgefühlt hat, dann wohl die Istanbulerin Ekin Üzeltüzenci, deren mürbe Drone-Pop-Songs unter dem Alias Ekin Fil von Beginn an so etwas wie ein fleckiger, zerbrochener, dunkler Spiegel der Verhältnisse waren. Endlose Melancholie als Rettungsanker in schweren Zeiten. Eine neue Art von Hoffnungsschimmer aus relativer Hoffnungslosigkeit, Aufbruch aus dem Aufgeben heraus. Ihr jüngstes Album Feelings (Vaagner/A Sunken Mall) kondensiert diese ambivalente Trauer, die eben nicht nur Trauer, nicht nur Dunkelheit darstellt, noch einmal in acht Stücke aus verwehtem Gesang, langsam zerbröselnden, mürbe gewordenen Klängen von Piano und Gitarre, in selbst- und weltvergessene Loops zu endlosem Drone. Ich hoffe, ich muss nicht mehr extra erwähnen, wie außerweltlich schön das ist.

Die emotional und von ihrem Songverständnis her ganz ähnlich agierende Penelope Trappes hat ihr Anfang 2021 erschienenes Album Penelope Three (Houndstooth) einer radikalen Bearbeitung unterzogen, die die Schwerkraft in ihren sowieso schon fragilen, leicht gebauten Beinahe-Nicht-Mehr-Songs vollends aufhebt und in einen verwunschenen Äther aus verwaschenem Licht schweben lässt.  Das Künstück ist, dass die  Stücke der Mother’s Blood Edition (Houndstooth) dadurch eher greifbarer und körperlicher werden, die Verbindung zur Erde halten und dennoch außerweltlich schön sein dürfen.

Die Sounds der Jahrtausendwende, etwa später Drum’n’Bass, Tech-Step, und präminimaler Techno, haben sich nicht nur tief in die Hirne und Körper der Raver*innen eingeschrieben, die Synthesizer-Hardware dieser Zeit zeugt nicht weniger von einer Ära der Umbrüche in Dunkelblau, wie sie in den vergangenen Jahren von diversen Post-Vaporwave-Acts immer wieder beschworen wurde. Der Zugriff der Brüsseler Produzentin SKY H1 auf diesen Sound und seine Ästhetik ist allerdings frisch und einzigartig. Chantal Peeters Debütalbum Azure (AD 93), satte fünf Jahre nach der stilprägenden EP Motion, schwelgt in diesen satten Powersounds, als gäbe es kein Morgen. Und es gibt ihn vielleicht nicht. Die dunkelblau bis lila gefärbte Vordämmerung kommt nie im Sonnenaufgang an. Die Clubnacht und ihr Chill-Out-Space gehen ewig. Eine rückwirkende Vorahnung der nicht enden wollenden Berliner Clubnächte des neuen Jahrtausends. Brandneu und ohne Nostalgie.

Wenn sich wer Nostalgie erlauben kann (und traut), dann die Synthesizerpionier*innen von Tangerine Dream. Zur Zeit besteht die Kombo aus den Synthesizerspielern der mittleren Generation Paul Frick und Thorsten Quaeschning sowie der Elektro-Violinistin Hoshiko Yamane, die sich rührend wie respektvoll um das Archiv und Erbe des 2015 verstorbenen Gründers Edgar Froese kümmern. Die EP Probe 6-8 (Kscope/Eastgate Music) klingt also nicht unbedingt neu oder anders als gewohnt. Im warmen Puls der Modularsysnthesizer allerdings dann wiederum so klassisch und zeitlos, dass sich die Frage nach der Innovation und Novität gar nicht erst stellt. Sogar die beiden fluffigen Remixe von Grand River (fragil) und Barker (beatlos) schwimmen in diesem Flow mühelos mit.

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