Der Gitarrist Daniel Wyche ist ein integraler Teil der improvisierenden Musikszene Chicagos. Einer moderat jungen Szene, die sich zum Glück nicht darum schert, ob die in Interaktion entstehenden Klänge nun Jazz, Noise, Free Music oder Elektroakustik sind, ob sie komponiert oder improvisiert sind. So ist Earthwork (American Dreams Records) zwar einerseits komponiert, auf einem grafischen Score basierend, andererseits aber genauso exzellente Ensemble-Improvisation. Das Notenblatt gibt eben keine Noten vor, sondern nur wörtlich genommen subtile Klangfarben, die von Wyche solo oder in kleiner Besetzung (zum Beispiel mit zwei oder drei E-Gitarren, Cello und Vibraphon) zum Leben erweckt werden. Das macht unmittelbar Sinn und ist auf eine Weise körperlich und emotional verständlich, wie es freie Improvisation oder streng komponierte Neue Musik nur selten hinbekommen.

Der portugiesische Laptop-Komponist Vitor Joaquim gibt sich auf Quietude (Vitor Joaquim) ebenfalls erfreulich unabhängig von Konventionen wie von vergangenen Errungenschaften. Seine etablierte Ästhetik der Collage und des Samples, vor allem von Stimmen und vorgetragenen Texten, ist immer noch die Basis der Stücke, im Zusammenwirken mit gespielten Instrumenten, etwa einer jazzigen Trompete, und einer deutlich minimalistischeren, Luft, Raum und Schönheit (zu)lassenden Verwendung der Samples, gelingt dem Album tatsächlich eine eigenwillige Art von Ambient.

Unerwartete Begegnungen sind eine andere Spezialität dieser Kolumne. Wenn sich dann noch drei musikalisch spezielle Charaktere treffen wie der Leipziger Elektroniker Markus Rom alias Oh No Noh, die japanische, in Berlin lebende Pianistin Midori Hirano und der norwegische Jazzgitarrist Jo David Meyer Lysne, um sich nicht etwa in überbordernder Opulenz, sondern in gemeinsamer Zurückhaltung zu üben, dann es ist es gerade deswegen ein Fest. Die drei langformatigen Stücke von Distant Sediments (Teleskop, 10. Dezember), keines unter zehn Minuten, finden sich überaus gekonnt im Fast-Nichts zurecht. Sie zeigen fast keine Musiker*innen-Idiosynkrasien, fast keine Strukturen, beinahe keine Musik. Aber eben nur beinahe. Die fragilen Soundscapes sind in ihrer Flüchtigkeit und ephemeren Substanz doch erfreulich solide. Stabile Sound Art.

Der hohen Kunst der Sound Art aus Field Recordings widmet sich der von Tomoko Hojo kuratierte Sampler Touch (Dragon’s Eye Recordings, 3. Dezember). Auf dem Album versammelt Hojo eine Handvoll geschätzter Kolleginnen und Kollegen aus der Sound-Art-Szene, berücksichtigt dabei verschiedenen Generationen von Viv Corringham über Alexandra Spence bis zum Ambient-Shootingstar Joseph Kamaru. Die Arbeiten sind inspiriert von einer Kunstperformance Yoko Onos aus den Sechzigern, mit der konzeptuellen Anweisung, den Himmel zu beobachten und zu berühren. Die Interpretationen sind durchweg supersubtil. Sound berührt uns, der Himmel berührt uns, das Wetter, Raum und Zeit. Wie sich das anfühlen kann, ist hier aufgezeichnet, als Möglichkeit, als Angebot.

Dem Soundtrack The World To Come (Mute, 14. Januar) des jungen britischen Komponisten und bildenden Künstlers Daniel Blumberg gelingt etwas ganz Seltenes, nämlich den Bereich des Cinematischen und Neoklassischen hinter sich zu lassen zugunsten von etwas Experimentellem, dabei jederzeit dem anvisierten Zweck als Begleitmusik zu entsprechen, also funktional zu bleiben, leicht zugängliche und doch ziemlich freie Musik zu machen. Die kristallinen, disruptiven Klänge aus Klarinette, Kontrabass, Violine und Cello schwirren im Offenen zwischen expressiver Neutönerei und traditionellem Jazz, werden aber weder das eine noch das andere, zumindest nicht im engeren Sinne dessen, was üblicherweise als Jazz oder als Neue Musik wahrgenommen wird. Noch weniger werden es blaunotig-nikotinisierte Bar-Lounge-Klänge. Was nicht unerwartet ist angesichts der eingeladenen Gäste wie Folk-Avantgardistin Josephine Foster oder Free-Jazz-Kraftwerk Peter Brötzmann, die ja ebenfalls nicht dafür bekannt sind, allzu gemütliche Stimmung zu verbreiten.

Die isländische Cellistin Gyða Valtýsdóttir hat das kreative Potenzial und die musikalische Vision, so ungefähr alles organisch und keineswegs angestrengt zusammenzuführen, um das es in dieser (eigentlich jeder) Ausgabe der Kolumne geht: Experimentellen Pop und Elektronik (sie war in der Gründungsbesetzung der isländischen Pop-Avantgardisten múm), Folk und Psychedelik (etwa im Duo mit der eben erwähnten Josephine Foster), zeitgenössische Komposition (in ihrem bislang zwei Fortsetzungen umfassenden Epicycle hat sie ganz alte und neue Musik interpretiert, etwa von Harry Partch, Olivier Messiaen, George Crumb und Hildegard von Bingen), Soundtracks und improvisierte Musik. All die verschiedenen Fäden nimmt Ox (DiaMond, 3. Dezember) wieder auf. Eine Hymne Hildegard von Bingens aus dem zwölften Jahrhundert ist wiederum das zentrale Motiv des Albums, die weiteren Stücke vermitteln via Cello, Stimme und Elektronik zwischen Improvisation und Komposition, archaischer Urzeit und ferner Zukunft.

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