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Am Start: Nite Fleit

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Nite Fleit (Foto: Liam Oz, Mode: Issey Miyake)

In Europa wurde die aus Australien stammende Nite Fleit mit Releases auf Planete Euphorique, Return To Disorder oder UTTU bekannt, auf denen sie einen hochenergetischen, aber doch stilvollen Techno-Electro-Sound verfolgt. Nach ihrem Umzug nach London war sie sofort in der Club- und Festivallandschaft des Vereinigten Königreichs  präsent – oft zusammen mit Mall Grab, mit dem sie auch eine erfolgreiche EP aufnahm. Nun steht das nächste Kapitel der Karriere von Nite Fleit an, die bürgerlich Alysha Fleiter heißt und von Freunden Fleitsy genannt wird. 

In diesen Tagen erscheint mit der Sycophantic Romantic EP der erste Release auf ihrem eigenen Label Atomic Alert. Unserer Autorin Clara Schilling hat Fleiter erklärt, warum sie sich hier auch musikalisch neu orientiert. Ferner berichtet sie von ihrem Engagement, elektronische Musik weiblicher zu machen – und von ihrem besonderen Bonding-Moment mit Helena Hauff


Alysha Fleiter erscheint pünktlich im Zoom Fenster. Große Brille mit schwarzem Rahmen, schlichtes schwarzes, weites T-Shirt und kurze gewellte Haare – vorgestern war sie erst beim Friseur, erzählt sie später. Zu Beginn wirkt sie noch etwas zurückhaltend, kommt manchmal ins Stocken beim Antworten. Diese Unsicherheit legt sich, sobald wir ins Gespräch kommen. 

„Am Anfang war ich überhaupt nicht fähig Musik zu machen. Das Einzige, was ich hinbekam, waren Abfolgen von Akkorden.” So erinnert sich Alysha Fleiter, wenn sie über eineinhalb Jahre Corona-Krise spricht. Nicht Auflegen zu können, viel alleine in ihrem Studio zu sein und wenig Inspiration von außen zu bekommen, war für die DJ und Produzentin ausgesprochen schwer zu ertragen. 

Nite Fleit (Foto: Liam Oz, Mode: Issey Miyake)

Die Akkorde aus dieser Zeit verarbeitete sie später nach und nach auf ihrer neuen EP Sycophantic Romantic – dem ersten Release auf ihrem neuen Label Atomic Alert. Nachdem sie den ersten Schock überwunden hatte, nutzt sie nun die Zeit ohne Touren besonders intensiv und ist im production mode, wie sie sagt. Deshalb ist es nach so einem außergewöhnlichen Jahr auch eine besondere EP. Anders als ihre vorherigen Alben und Singles sind die Tracks softer und melodischer. 


Wohnort:
Hackney, London

Seit wann am Produzieren: 
2016

Dein erster richtiger Gig: 
In Freda’s Club/Bar in Sydney 

Was auf deinem Hospitality Rider nicht fehlen darf:
Coca-Cola in Dosen und Vogue-Zigaretten

Das höre ich in letzter Zeit gerne: 
Das Album Nite Versions von Soulwax


„Das ist Day Fleit”, sagt Fleiter. Day Fleit, das ist Nite Fleits Alter Ego. Day Fleit, das klingt emotional und dreamy, „wie ein Closing Track”. Nite Fleit dagegen kann man sich eher um drei Uhr morgens im Club vorstellen. Aber das heißt nicht, dass Nite Fleit nun Geschichte ist. „In den nächsten Releases spielt Day Fleit keine Rolle”, verspricht sie.

Fleiter will noch nicht verraten, mit welchen Künstler*innen sie auf ihrem neuen Label zusammenarbeiten wird. Aber auch schon vor Atomic Alert liebte sie den Austausch mit anderen Musiker*innen. Oft schickte sie ihre Tracks an Freunde und forderte sie auf, die Stücke besser zu machen oder neue Elemente hinzufügen. 

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Empfindlich ist sie in Bezug auf ihre Tracks nicht, höchstens wenn ihr ein Element essenziell erscheint. Der Rest darf auf den Kopf gestellt werden. Jeder hat seine Stärken und Schwächen; im Rahmen von Kollaborationen kann alles Gute von verschiedenen Künstler*innen in einen Track fließen, findet sie.

2015 begann Fleiter mit dem Auflegen von Vinyl, sie lernte es von Freund*innen und aus vielen Tutorials. Ihre liebste Art, einen neuen Track rein zu bringen, hat sie aus dieser Zeit bis heute beibehalten. Die Mitten und Höhen des neuen Songs dreht sie ganz langsam mit dem Beat hoch, während der Bass ganz aus ist. Dann, etwas später, mischt sie ganz schnell den Bass rein.


„Jetzt mag ich es, Fehler zu machen. Ich mag es auch, Fehler zu hören. Es geht nicht ums perfekt sein, die Leute mögen das Menschliche.”


2016, nur ein Jahr später, beginnt Fleiter auch eigene Musik zu produzieren. Obwohl sie inzwischen erfolgreich Musik macht, bleibt das Auflegen ihre Nummer eins. Das Größte ist für sie nämlich, Menschen zu der Musik, die sie auflegt, glücklich und befreit tanzen zu sehen. Nebenbei hat sie auch noch Psychologie studiert, anschließend in einer Psychiatrie gearbeitet. Das steht momentan aber hinten an, nach der Musik. Trotzdem gehört das Fach noch zu ihren Interessengebieten. 

Im Alltag hilft es ihr oft weiter, im Umgang mit Menschen oder wenn Freunde, denen es schlecht geht, sie um Rat fragen. Man merkt auch an ihrem feinen und empathischen Umgang im Gespräch, dass sie Übung im Kontakt mit Menschen und Emotionen hat.

Nite Fleit (Foto: Liam Oz, Mode: Issey Miyake)

Ihren ersten richtigen Gig hatte Fleiter noch in Sydney, in einem Club namens Freda’s. Er war perfekt geplant, geübt und vorbereitet, erzählt sie. Aber noch nie davor hatte sie mit einem Pioneer-System aufgelegt. Der DJ, der vor ihr spielte, hatte das Echo angelassen, und mit den Kopfhörern hat sie diesen Effekt erst spät bemerkt. „Das war schrecklich, ich habe gezittert und war im absoluten Flight-and-Fight-Modus. Jetzt benutze ich viel Echo, vielleicht ein bisschen zu viel”, sagt sie und lacht. Dieses Erlebnis war ein Wendepunkt in ihrer perfektionistischen Einstellung zum Auflegen. „Jetzt mag ich es, Fehler zu machen. Ich mag es auch, Fehler zu hören. Es geht nicht ums perfekt sein, die Leute mögen das Menschliche.”

Wie geht’s deiner Katze? 

Wenig später begann Fleiter in ganz Australien aufzulegen, sie spielte auf Partys mit Kris Baha, Andy Garvey oder Roza Terenzi. Seit 2018 lebt sie in London. Das erste Mal kam sie 2018 für eine Tour nach England. „Am Wochenende in drei verschiedenen Ländern zu sein und Sonntag abends wieder zuhause”, das hat sie so an Europa fasziniert, dass sie direkt hier blieb. In London lebt Nite Fleit in Hackney zwischen Galerien, Start-Ups, Kreativbüros und hippen Restaurants. Allerdings als Nachteule, tagsüber schläft sie meist und arbeitet nachts, weil es dann ruhiger ist, wie sie sagt. Fleiter bezeichnet sich selbst als „kleinen Einsiedler”, geht selten in Cafés oder Bars in London und ist am liebsten im Studio mit ihrer Musik.

Ihre erste Tour nach der Pandemie wird im November dieses Jahr in Australien starten. Das ist für Fleitsy auch besonders, da sie seit 2018 nicht mehr dort war und nach drei Jahren endlich ihre Familie und Freund*innen wiedersehen wird. Obwohl in Australien die Pandemie im Alltag viel weniger präsent war als in Europa, wollte Nite Fleit in London bleiben. Mit ihrem Künstlervisum, das sie in England beantragt hatte, hätte es sonst Schwierigkeiten gegeben.


DAS, GLAUBT SIE, SEI AUCH EINES DER GEHEIMNISSE IHRES ERFOLGES GEWESEN: ES EINFACH ZU TUN.


Eines von Fleiters Vorbildern ist bis heute Helena Hauff. Inzwischen hat sie auf deren Label Return to Disorder auch schon eine EP herausgebracht. Wie es dazu kam? Ihre Agentin leitete ihr eine Mail von Hauff weiter, deren Text sie noch heute auswendig kennt: „I would like to get in touch with Nite Fleit, I wondered if she was interested in releasing on my label Return to Disorder perhaps?” Und sie hatte Interesse. 

Fleiter brachte dort ihre EP The Film Just Breaks heraus: schnelle Breakbeats mit treibendem Acid-Synths. Jetzt schicken sich die beiden manchmal noch Katzenbilder hin und her. Früher war sie eines meiner Vorbilder, jetzt fragen wir uns: „Wie geht’s deiner Katze?”, erzählt sie lachend.

Nite Fleit (Foto: Liam Oz, Mode: Issey Miyake)

Für Frauen ist es bekanntlich schwer, im Techno-Business durchzustarten. „Als Frau muss man doppelt so hart arbeiten”, meint auch Fleiter. Nur gebucht zu werden, um eine Frau im Line-Up zu haben, erlebt sie häufig. „Andererseits sieht sie auch, wie sie mit ihrem Erfolg Inspiration und Vorbild für andere sein kann. „Wir verlieren so viele Talente, weil es zum Beispiel im Bereich der Musik nur so wenige Vorbilder gibt.”


Fleiter sei selbst überrascht gewesen, dass ihr Künstlervisum, das sie in England beantragt hat, ihr bescheinigt, ein „Exceptional Promise”, also ein herausragendes Talent zu sein.


Oft schreiben ihr weibliche Fans nach Gigs, dass sie auch Musik machen wollen. Aber sie wissen nicht, wie und wo man anfängt. Ihr Rat ist einfach: Leih’ dir irgendwo Decks, übe, sei einfach richtig, richtig gut und überrasche die da draußen! Das, glaubt sie, sei auch eines der Geheimnisse ihres Erfolges gewesen: Es einfach zu tun.

Fleiter sei selbst überrascht gewesen, dass ihr Künstlervisum, das sie in England beantragt hat, ihr bescheinigt, ein „Exceptional Promise”, also ein herausragendes Talent zu sein. Ihr großer Wunsch ist es auch, für andere junge Künstler*innen ein geeignetes Umfeld zur Weiterentwicklung zu schaffen, die Voraussetzungen für Randgruppen zu verbessern und ihnen bei ihrem Weg zu helfen.

Dass die Musik ihre große Leidenschaft ist und sie das alles nicht für Erfolg und Bekanntheit macht, merkt man auch daran, wie sie voller Begeisterung von ihrer Arbeit berichtet und wie sie ein wenig schüchtern und bescheiden wird, wenn sie über sich selbst erzählt. Ihr perspektivisches Ziel ist nicht groß rauszukommen oder es zu schaffen. „Ich will einfach mit dem weitermachen, was ich liebe: Auflegen, Produzieren und mit tollen Menschen zusammenarbeiten und Diversität in der Musiklandschaft fördern.” Fleiter macht eine Pause. Sie schaut mich durch ihre große Brille an und denkt nach. „Es geschafft haben, das möchte ich gar nicht. Das würde sich irgendwie lazy anhören – als ob ich schon aufhören könnte.” 

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