Das eben Gesagte ließe sich beinahe unverändert auf das tolle Debüt Night Blindness (Quiet Time, 3. Dezember) der New Yorker Sound-Art-Produzentin Chantal Michelle anwenden. Dunkle Ambient-Texturen, nie zu lieblich, nie zu süß, aber ebenfalls nie zu schroff oder brutal. Melancholisch und doch lebensweltlich, diesseitig – was für ein Album, in dem es um Nahtod-Erfahrungen geht, ja nunmal keine kleine Sache ist. Wie sich die andere Seite so anhören könnte: richtig schön. Und: Chantal Michelle ist schon wieder ein großartige Entdeckung des New Yorker Tape-Labels Quiet Time. Was da passiert, passiert eher selten, ist aber in letzter Zeit praktisch immer herausragend.

Die Kollaboration der beiden frankokanadischen Gitarristen Simon Trottier und François Zaïdan kann ebenfalls auf eine lange Reifezeit zurückblicken. Das erste Produkt der Zusammenarbeit, Quattuor Tempora (Mikroclimat/DAME) wirkt gleichermaßen souverän wie diskret. Eine Übung in feingeistiger Zurückhaltung bei maximaler Übersicht und Übersichtlichkeit. Kein Ton zu viel, und doch wirkt das Album nicht minimalistisch oder reduziert, kein Ton zu wenig, und dennoch ist es weit von den Post-Rock- und Prog-Pop-Projekten entfernt, in denen die beiden sonst spielen – das gilt schon allein instrumentell, denn die Gitarre spielt hier kaum eine Rolle.

Christina Vantzou, zur Zeit zwischen Brüssel und den USA pendelnde Komponistin, hat mit Releasing Spores (Slow Moves) ebenfalls ohne großes Bohei ein Tape herausgebracht, das ihre Entwicklung von einer superschönen, doch tendenziell gefälligen Neoklassik hin zu experimentellen, ergebnisoffenen Deep-Listening-Klängen auf den Punkt bringt und noch ein Stück weiterführt und psychedelisch auflädt – was vom Sujet her schon beinahe implizit ist, geht es doch um das faszinierende Leben der Pilze.

Die Colloid EP (RVNG Intl.) der experimentellen japanischen Folksängerin Satomimagae spielt ebenfalls ins Biologische, hält die Songpartikel, die bis auf ein Stück von ihrem Album Hanazono abgleitet sind, in einer schwebenden Suspension aus Ambient, Field Recordings und leichtem Glitch. Das ist so delikat und ätherisch dahingehaucht, wie man es sich nur wünschen könnte, und doch absolut stabil, wie ein Kolloid eben.

Der Brite Andrew Hunt produziert mit seinem Soloprojekt Dialect ebenfalls beinahe unverschämt zarte und reuelos freundliche, leicht folkige, leicht minimale semiakustische Electronica. Dieses Jahr bereits zum zweiten Mal – nach dem im Sommer erschienenen Album Under~Between (RVNG Intl.) nun die ausladende EP Keep Going… Under (RVNG Intl., 1. Dezember). Die Melancholie ist hier kein Placebo und die Schönheit der Klänge tatsächlich eine heilende.

Dem Niederländer Ricardo Leite, der sich als Produzent Jacqueline Folds nennt, ist auf dem Tape Old Mattress Springs Blue (Jacqueline Folds) eine erfreuliche Balance aus ätherischer Sundowner-Gelassenheit und direkt polterndem Lo-Fi-House-Sentiment gelungen. Also sonnenwarm balearische Shoegaze-Psychedelik und Slow-House-Jams im doppelten Spülgang der alten Waschmaschine verblichen. Aber mit Wubberbass und urbanen Samples. Viele Signale, viele Ideen in Feinpastell und Betongrau, die lecker zusammenschlieren.

Der Japaner Daizo Kato ist unter dem Alias Machinone mit erfreulich leicht dahingeworfener, nur flüchtig skizziert erscheinender Neoklassik bekannt geworden. Inzwischen hat sich sein Sound ebenfalls zu leicht abstrakten instrumentalen Folksongs hin entwickelt, die in Ambient und zartem Glitch aufgehen. Der knappen Form ist Kato auf Wind Letter (FLAU) allerdings treu geblieben. Das Album sammelt 31 konzentrierte Soundminiaturen zwischen einer und drei Minuten aus akustischer Gitarre, Spielzeugpiano und Field Recordings, behutsam digital prozessiert oder ganz direkt ohne erkennbare Bearbeitung aufgenommen.

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