Im Rahmen von Interviews und Features ist es nie verkehrt, zu erfahren, was Künstler*innen so tragen. Schließlich sagt es etwas aus, wenn ein Techno-Act die Insignien des Straßenrap an seinen Füßen trägt oder sich in feinen Zwirn schmeißt. Bei uns in der Redaktion gibt es da eher weniger Signifikantes zu beobachten. Unsere scheidende Praktikantin Franziska Nistler, die zum Abschied diesen Roundtable kuratiert und moderiert hat, kann allerdings auch modebewusste DJs in den Schatten stellen.
Jeden Tag aufs Neue unterstrich Franzi mit ihren grandiosen Outfits die Relevanz und Brisanz der Mode für elektronische Musik und Clubkultur. Das Einerlei des Berghain-Chic entgrenzt sie mit unerwarteten, quietschbunten Elementen, die von Humor und Punk zeugen.
Wer auf groove.de nach Franzis Spuren sucht, dem oder der fallen zunächst nicht Humor und Punk auf, sondern Franzis Ausdauer und Fleiß: Sage und schreibe 125 Beiträge hat sie im Rahmen ihres halbjährigen Praktikums abgeliefert. Von Tag eins an bespielte Franzi die gesamte News-Klaviatur des zweiten Pandemie-Jahres: Festival-VVK in UK gestartet, Primavera Sound abgesagt, Querdenker-Plakate vor Hamburger Clubs. Und auch an Schrägheit kaum zu überbietende Advertorials näherte sich Franzi mit der Unerschrockenheit, die vielleicht ihre außergewöhnlichste Eigenschaft ist.
Bald übernahm Franzi auch die Verantwortung für ein eigenes Ressort. Mit den GROOVE-Charts gab sie Woche für Woche einen Einblick in die musikalischen Vorlieben zahlloser DJs und bewältigte dreimal die mathematische Meisterleistung, die einzelnen Listen zu einem großen Chart zum kompilieren. Franzis Gesellenstück war eine Reportage über einen Workshop über klimafreundliches Clubbing, ihr Meisterstück eine Begegnung mit SPFDJ.
Unsere schönste Zeit mit Franzi war zweifellos die Reise zur Nation of Gondwana. Dort erlebten wir Franzi als unerschütterliche Raverin, deren Gelassenheit sich mit Veteran*innen dieser Veranstaltung messen konnte. Ganz ausdrücklich bedanken wir uns nochmal für deine Mitarbeit, liebe Franzi. Eine Frage, die uns sechs Monate gequält hat, bleibt allerdings offen: Warum heißt Dein GROOVE-Nutzername Franziska Pribil?
a.b.u.303 – Anatolism (Paryìa)
a.b.u.303 – „Habibi”
Alexis: Paryìa ist das Label von keiner Geringeren als Marie Montexier. Warum hast Du diesen Release ausgesucht, Franzi?
Max: Hat mit Habibi Funk nichts zu tun, wie schon die ersten Takte verdeutlichen. Bass Music nach der Machart Anunakus bzw. TSVIs usw.
Franzi: Ich wollte etwas wählen, das ich normalerweise nicht direkt auf den ersten Blick hören würde. Die Stimmung fand ich sehr spirituell, das hat mir gut gefallen.
Alexis: Stimmt. Aber produktionstechnisch im Classic-Techno-Gewand mit viel wolkigem Hall.
Max: Schönes Vocal, auch der abgehackte Hall drauf.
Alexis: Erinnert von der Stimmung her mehr an Nur Jaber als an die Genannten.
Max: Wieso würdest du das nicht auf den ersten Blick hören? Gelungene Formulierung übrigens.
Franzi: Weil ich normalerweise sehr zu härterer Musik tendiere, aber offener werden möchte. Ich mag es sehr, wenn ich mir die Tracks sowohl auf der Tanzfläche als auch in einem anderen, ruhigeren Kontext gut vorstellen kann.
Max: Mir gefällt’s, ist denn auch was über den oder die Interpret*in bekannt?
Alexis: Stimmt. Trippy Busisness. Ist schließlich auch eine Downbeat-Nummer.
Franzi: Mir war a.b.u.303 vorher nicht bekannt, jedoch habe ich schon Lust auf mehr bekommen.
Max: Der musikalische Horizont reißt weit auf. Für ein Warm-Up finde ich das eh perfekt. Was nicht heißen soll, dass es mit den Acid-Einsprengseln nicht auch zu späterer Stunde eine Daseinsberechtigung hätte.
Alexis: a.b.u.303 ist Deutsch-Türke. Er ließ sich von der traditionellen Musik seines anatolischen Vaters inspirieren. Irgendwie auch Trip-Hop, oder?
Max: Stimmt, Trip-Hop mit Hang zum Downtempo-Kino.
a.b.u.303 – „Cinema Asia”
Max: Jetzt fokussiert er sich auf Asien. Auf welches Land oder welche Region wird mir aber nicht ganz klar.
Franzi: Wie wurde dir der Bezug zu Asien neben dem Titel klar?
Alexis: Das frage ich mich allerdings auch, Max. Für mich wird es hier allzu schwelgerisch. Da fehlt mir der Fokus auf den Groove.
Max: Asiatisches Action-Kino? Gefällt mir bislang am besten, wirkt versiert und lebhaft.
Alexis: Schwingt da nicht auch Fatboy Slim mit in den Beats?
Franzi: Bei dem Track kann ich leider leicht „rauszoomen” , so richtig abgeholt wurde ich noch nicht.
Alexis: Er liebt es auf jeden Fall, das Drumming in wolkigen Hall zu betten.
Max: Witzig, dass du das mit Fatboy Slim schreibst. Irgendwie hat mich das auch in den Fingern gejuckt. Jetzt wird’s intensiver. Ich scheine mit meiner Meinung alleine dazustehen. Aber muss zugeben, dass es jetzt nicht den riesigen Wiedererkennungswert hat.
Franzi: Tatsächlich kommt mir der Track auch sehr lang vor im Moment.
Max: Total, es wirkt alles ziemlich überirdisch, fernab der Realität. Was ja auch eine der Qualitäten des Films aufgreift. Jetzt ist’s aber vorbei, wie ich tippen würde.
a.b.u.303 – „Quest Log”
Alexis: Auch in der Art, die Ethno-Elemente mit elektronischen Sounds zu verbinden, erinnern die Tracks sehr an Musik aus den 1990ern.
Max: Auch den sehe ich im Soundtrack-Spektrum. Tierdoku mit Hang zum Morbiden. Was zum Beispiel aus den Neunzigern?
Alexis: FSOL.
Franzi: Wenn Tierdoku, dann aber beim Heranpirschen. Finde die Stimmung aufgeregt.
Max: Das darf man auch mal ausschreiben!
Alexis: Future Sound of London. Die coolen Leute nutzen schon die Abkürzung. An Urban Dance Squad erinnert es auch.
Max: Du meinst UDS.
a.b.u.303 – „Space Trybez”
Max: Was mir zusagt, sind die Bass-Music-Elemente. Habe nur das Gefühl, dass auf melodischer Ebene noch etwas mehr gegangen wäre.
Alexis: Wie sich hier jetzt die synthetischen Streicher anpirschen, das ist wirklich sehr Tier-Doku. Die Antilope hat nix zu lachen.
Franzi: Ich hätte ein paar Vocals wiederum gut gefunden, wie zu Beginn.
Alexis: Guter Punkt, ja.
Max: Stimmt, das ist schon arg mäandernd, mehr Struktur, eventuell auch durch Vocals, hätten gut getan.
Franzi: Findet ihr den Track jetzt sonderlich „space”ig?
Alexis: Mir ist das auch auf Dauer zu viel Schmalz. Lost in Space, mir fehlt die Bodenhaftung.
Franzi: Es ist mir ein wenig zu zeremoniell.
Max: Als Videospiel-Soundtrack wäre das Ding auch sehr gut aufgehoben. Auch da würde ich aber die Neunziger als passende Dekade ins Spiel bringen.
Alexis: Das erinnert jetzt an Oriental-Momente in Detroit-Tracks bei Derrick May, Fabrice Lig oder Gigi Galaxy.
a.b.u.303 – „Sayokan”
Alexis: Jetzt eine Breakbeat-Nummer.
Franzi: Den Breaktbeat mit einem Hauch Acid im Hintergrund, finde ich bis jetzt gar nicht schlecht.
Alexis: Stimmt, ganz gut, wie die 303 da so monoton vor sich hinklampft.
Max: Weiß zu überzeugen. Die Stimmung ist hier Rave, die Melodie stellenweise euphorischer Acid House weit vor der Jahrtausendwende, der Beat gebrochen.
Alexis: Aber der Stotter-Bass ist schon wieder sehr Slimboy Fat.
Max: Nennen die Coolen so Fatboy Slim?
Franzi: Nee, die sagen FS.
Max: Hahaha.
Alexis: Das ist nur bei FSOL so. Mir fehlt da der Bezug zum Hier und Jetzt. Ich höre das jetzt auch nicht so ganz in einem Set von Marie Montexier.
Max: Na ja, Label und Set müssen ja nicht komplett deckungsgleich sein.
a.b.u.303 – „Anatolism”
Max: Okay, heißt in dem Fall: Samples und Melodien sind anatolisch gefärbt.
Alexis: Hier geht es tatsächlich Soundtrack-y zu, und 1990er-Jahre-Trip-Hop ist auch schwer präsent.
Franzi: Ich finde auch, dass man die türkischen Wurzeln in dem Track sehr deutlich hören kann.
Max: Die Formel bleibt ähnlich: Langsam im Trott, viel Acid und hin und wieder grelle Melodien.
Alexis: Das klingt tatsächlich wie eine Nummer aus irgendeinem iranischen Spielfilm, wirkt zugleich inspiriert und ein wenig hilflos.
Franzi: Morgenland-Stimmung.
Alexis: Voll!
Max: Stimmt, erinnert mich aber auch an einen stark verlangsamten Omar Souleyman.
Clarence Wu – Venus Within (HUA3000)
Clarence Wu – „Future”
Max: Krass, das Franzi hier den House ins Spiel bringt – eine unerwartete Entwicklung!
Franzi: Ich wollte einen Image-Wechsel!
Max: Von HKKPTR zu Clarence Wu – was ist in den vergangenen sechs Monaten nur passiert?
Alexis: Haha.
Franzi: Die GROOVE ist mir passiert!
Max: Sehr schön, auch die Pads jetzt, die man als RA-Schreiber*in wohl als soothing bezeichnen würde.
Alexis: Eine starke Nummer, die House zeitgemäß klingen lässt.
Franzi: Alles fließt so inneinander, total entspannend auch gleichzeitig.
Alexis: Soothing, alles fließt ineinander, aber trotzdem edgy und ein wenig fordernd.
Max: Dieses Bass-Motiv finde ich etwas zu schrullig respektive bummelig. Aber produziert ist das großartig. Ein paar Infos über Clarence Wu parat, Franzi?
Alexis: Ich finde der Bass hat schon drive. Ist bloß sehr elegant in das Drumming und die übrigen Elemente eingelassen.
Franzi: Deutscher DJ based in Helsinki.
Max: Nicht zu verwechseln mit den Jazz-Kapriolen von Henry Wu.
Clarence Wu – „Low Orbit”
Hörbeispiele findet ihr in den einschlägigen Stores.
Max: Ok, hier haben wir klassische Breaks mit verhaltenen Synth-Schrauben, darüber eine einnehmende Acid-Melodie. Überzeugt aus dem Stegreif!
Franzi: Hat finde ich etwas sehr Vertrautes.
Alexis: Jetzt mit etwas weniger Schmelz(-Effekten), ein spröder Oldschool-Vibe hier. Schön umgesetzt. Konzentriert und trotzdem mit Poesie.
Max: Greift ein wenig die Bicep-Retromania auf, klingt dabei aber sympathischer, weil dezenter.
Alexis: Die Bassline auch wieder toll, wie sie immer für einen Takt verschwindet.
Max: Immer? Ich habe sie jetzt mindestens neun Takte in Folge gehört. Still counting. Was ist daran vertraut für dich, Franzi?
Franzi: Die Melodie hört sich für mich nicht nach etwas ganz Neuem an, aber nicht im negativen Sinne. Ich kann direkt mit einsteigen und mitviben.
Max: Nachvollziehbar. Während sich hier um Takte gestritten wird, beschwörst du das Heimelige.
Clarence Wu – „Glade”
Hörbeispiele findet ihr in den einschlägigen Stores.
Max: Hier hingegen: Ein Takt ohne, einer mit Bass. Sneaky.
Alexis: Eben, so war’s beim Track davor auch. Insider sprechen hier vom Wu’schen missing bass. Hier holt er jetzt endlich den Bassdrum-Knüppel raus. Aber auch wieder slick und elegant.
Franzi: Elegant trifft es gut! Das Aussetzten des Basses zu Beginn lädt direkt zum Mitwippen ein. Hier geht es vorwärts.
Max: Geilo, das kommt unerwartet. Famose Four-To-The-Floor-Action. Jetzt verstehe ich wieder, wieso ich ihn anscheinend super finde.
Franzi: In dem Fall doch nicht Clarence Who?
Max: Ganz klarer Wu! Das ist wirklich House, wie man ihn sich auf den Tanzflächen wünscht. Nicht zu viel Gedüdel, die Botschaft ist klar, total konkret. In gewisser Weise auch eine Antipode zu der vorherigen Platte: Gleichberechtigte Elemente, sparsam und akzentuiert eingesetzt. Vorhin war da mehr Chaos. Beide wollen aber auch etwas völlig anderes.
Franzi: Breakbeat schön eingesetzt.
Max: Yes. Das hat ungemeinen Druck, schwer, sich zu entziehen.
Franzi: Er spielt total mit dem Bass.
Alexis: Ja, das trifft es. Hier entsteht eine echte Beziehung zwischen den Elementen.
Max: Ob jetzt auch wieder in den geraden Modus umgeschaltet wird? Bislang ist das Electro mit House-Werkzeugen.
Clarence Wu – „Cosmos”
Hörbeispiele findet ihr in den einschlägigen Stores.
Max: Ich bin ein Prophet.
Franzi: Ein Track, den man im Zug hört und über sein Leben nachdenkt, während die Landschaft an einem vorbei zieht. Haha.
Alexis: Stimmt, das Stück ist fast ein wenig kitischig.
Max: Stimmt, ist melancholischer als der Rest. Sogar noch was Panflöten-artiges obendrauf. The kitsch is real.
Franzi: Aber auf die schöne Art kitschig.
Max: Wo ziehst du die Linie?
Franzi: Wenn ich merke, dass ich meine Augen automatisch verdrehen muss. Nein, wenn die Melodie unterbrochen wird und nicht nur Kitsch gefordert ist.
Max: Irgendwo zwischen Monolink und Clarence Wu?
Alexis: Guter Punkt, ja.
Franzi: Eher in Richtung Clarence Wu.
Alexis: Ich denke hier auch an Henrik Schwarz.
Franzi: Hier braucht es keine Stimme, um für den melancholischen Kitsch-Faktor zu sorgen. Finde es irgendwie auch zeitlos.
Max: Haha, hoffentlich. Henrik Schwarz macht für mich gar nicht so viel Sinn hier, weil Funktionalität noch oberstes Gebot zu sein scheint. Schwarz hingegen lädt seine Tracks mitunter mit einer Bedeutung auf, die sie nicht zwingend haben.
Alexis: Funktionalität, das hier?
Max: Mich erinnert es eher an András – nicht Andrés, sondern den Australier.
Alexis: Da muss man schon ein Emo-Raver sein.
Max: Davon gibt’s mehr, als man denken mag. Es würde in der Indie-Disco auch gehen.
Alexis: András ist nochmal Struktur-bezogener, das ist schon Pop. Indie-Disco, big time.
Kamyar Keramati – Abyss (Interactive View Of Emotions)
Kamyar Keramati – „dɪˈfɛktɪv”
Max: Cool, Lautschrift! Haha, wenn jemand, der das liest, F-Zero kennt: Das ist dein Lied!
Alexis: Kamyar Keramati kommt aus dem Iran, lebt aber, wen überrascht’s, in Berlin.
Max: Auch wieder erstaunlich untechy für eine Nistler-Selektion. Find’s aber sehr gediegen.
Franzi: Ich dachte, man sollte den Fortschritt sehen, haha. Finde es auch sehr gelungen.
Max: Toolig, wirkt aber nicht zu aufgesetzt, fast ein wenig naiv. Hoffe aber schon noch auf aggressive Techno-Scheiben.
Alexis: Er spielt im Club der Visionäre, arbeitet bei Kimchi und gehört zum Duo Tonnovelle.
Max: Wollte tatsächlich gerade schreiben, dass das CdV (wie die Coolen sagen)-Musik ist. Also das Geisterbahngefahre gerade nicht, aber sonst schon.
Franzi: Habe mich nur gefragt, wieso man seinen Track „fehlerhaft” nennt?
Alexis: Weil er hofft, von Defected nach Ibiza gebucht zu werden.
Max: Was ein cleverer Move!
Franzi: Schlingel.
Alexis: Schön reduziert und toolig, aber trotzdem musikalisch mit eigener Handschrift. Interessant, wie er auf den Loop eindrischt und ihn dabei doch subtil modifiziert.
Franzi: Der Track hat etwas sehr Verspieltes. Aber trotzdem teilweise rough.
Alexis: Voll.
Kamyar Keramati – „Mad World of Mr Ghara’ti”
Hörbeispiele findet ihr in den einschlägigen Stores.
Max: Deep! Und in sich ruhend, da wird nichts verbrochen. Tolles Rimshot-Game.
Franzi: Ich finde es eher etwas sneaky.
Alexis: Toll, wie er die Deepness hier fast allein aus dem Groove zieht.
Max: Für mich auch was, das Steffi in der Panorama Bar auflegen würde.
Alexis: Sneaky, wie sich die Sounds hier anschleichen.
Franzi: Hat auch etwas Statisches für mich.
Max: Jetzt bisschen Pagliara-Stimmung. Erinnert an „Connection Lost”.
Alexis: Stimmt. Mich erinnert es auch an die straighteren Slow-Life-Nummern.
Franzi: Wobei ich Pagliara ein wenig mitreißender fand, auf eine ganz eigene Art.
Alexis: Ein solider Handwerker, der die Leute mit ordentlich Druck auf dem Floor hält und mit dezenten psychedelischen Schnörkeln zu unterhalten weiß.
Max: Da macht sich 60 Jahre Reviews schreiben bezahlt!
Alexis: Ist auch bei Minute 6:03 noch nicht langweilig.
Kamyar Keramati – „Interactive View of Emotions”
Hörbeispiele findet ihr in den einschlägigen Stores.
Alexis: Schön auch hier die durchlaufende Kick, die eine Chicago-Note setzt.
Franzi: Finde ich sehr gut.
Max: Toller Track, handwerklich top gemacht.
Franzi: Der Sound ist sehr geheimnisvoll aber bestimmend.
Max: Total.
Alexis: Man spürt auch, wie man das spielen soll. Hier wird noch echte Rave-Arbeit verrichtet.
Alexis: Er ist auch in einer Band.
Max: Aber ja, damit lässt sich einiges anstellen. Dance Punk und Alternative Rock. Macht Sinn. Klingen die dann wie LCD Soundsystem?
Franzi: Bei den Mitgliedern steht Kamyar Keramati witzigerweise alleine.
Max: Mastermind. Hat auf Dauer auch was angenehm Unaufgeregtes.
Kamyar Keramati – „Abyss”
Hörbeispiele findet ihr in den einschlägigen Stores.
Alexis: Jetzt noch das Finale.
Franzi: So düster wie den Titel finde ich die Tracks jedoch nicht.
Max: Ne, es ist halt ein anderes Düster. Aber von Weltschmerz und Bedrohung spüre ich nichts.
Alexis: Jetzt noch eine Downbeat-Nummer mit spröden, schroff getimeten Drumsounds.
Max: Und lauernden Arpeggios. Dockt ein wenig an Moroder an. Also abseits des Beats.
Alexis: Ja, Moroder läuft mit. Mit seiner nüchternen Sound-Ästhetik entkernt er das Genre.
Franzi: Finde den Track sehr solide, auch wenn er nicht besonders aufregend ist.
Max: Damit ist alles gesagt, ja. Sehr solide, vor allem.
Alexis: Gutes EQing und gute Mischung auch.
Max: Oh, jetzt bahnt sich noch ein Klimax an.
Franzi: Hört sich eher nach einem sich anbahnenden Ende an.
Max: Ja, das war wohl eher eine Täuschung.
Alexis: Jetzt bei Minute 4:37 kommen mehr Sounds, aber nichts Flächiges und kein Break.
Sugar – Everything Changes (Bassiani Records)
Sugar – „Dismal Supper”
Alexis: Jetzt sind wir voll und ganz in der Geisterbahn mit Schleifgeräuschen und viel Hall.
Max: Nach den ungestümen Floor-Bangern von der ikonischen Kulør-Compilation damals klingt das nicht mehr. Sugar macht jetzt auch Breakbeat. Der Name des Tracks passt.
Alexis: Es rollt ein geölter Breakbeat los, gewaltig, aber slick.
Franzi: Die Zeiten des Houses sind vorbei.
Alexis: Erinnert an Drum’n’Bass-Klassiker von Dillinja oder Ed Rush & Optical.
Max: Gewaltig trifft’s, da ist mächtig Tiefe drin.
Franzi: Jetzt wird es wuchtig.
Alexis: Wuchtig, aber nicht schwerfällig.
Max: Okay, das ist das maximale Kontrastprogramm. Zu allem bisher Dagewesenen. Schön, dass eben ein Notarzt mit Sirene vorbeigefahren ist, fügt sich gut ein.
Franzi: Ein bisschen Franzi bleibt eben doch.
Alexis: Aber zu sehr eskaliert er nicht, Apokalypse und Paranoia bleiben uns erspart.
Max: Größtenteils.
Alexis: Im Outro ein bisschen Neo-Klassik.
Sugar – „Everything Changes”
Max: Jetzt aber das, was zu erwarten war. Relativ klarer Techno, der aber bei Weitem nicht so anstandslos rumbrettert wie früher.
Franzi: Ja, sehr clean und zurückhaltend bisher.
Max: Sugar, Repro, Schacke und IBON kommen ja alle mehr oder weniger aus demselben Kontext. Das hier wirkt dagegen aber sehr gemäßigt. „Everything Changes” eben.
Alexis: Jetzt klingt er zielstrebiger und überraschend funky.
Max: Die Melodie hat fast was Komisches an sich, Seriosität wird nicht mehr so groß geschrieben. Und das finde ich gut. Bzw. ist das ja eigentlich seriöser im klassischen Verständnis als frühere Produktionen.
Alexis: Die drahtigen Hi-Hats. Komisch? Ich lese das als spooky.
Max: Du hast sie? Ich lese es als gloomy.
Franzi: Ich finde, durch die Melodie löst sich der Track von straightem Techno. Gerade durch das etwas Komische, Ulkige.
Max: Absolut! Ulkig ist ein passendes Prädikat.
Alexis: Er gehört halt auch zu den Deconstructed-Cool-Kids.
Max: Bei allem Schabernack aber fein produziert. Wie auch die Waltz’schen Lautstärke-Experimente am Verstärker beweisen.
Sugar – „May The Colours Make You Fearful”
Max: Ok, die angedeutete ironische Brechung ergibt sich aus diesem Titel jetzt überhaupt nicht. Zweimal Breaks, einmal Teschno. Unerwartetes Übergewicht!
Alexis: Für die Brechung sorgen hier glitchy Breakbeats, verhallte Engelszungen und Achtziger-Referenzen in der Wahl der Synths.
Max: Sehr ernst, sehr viel große Geste, meins ist es nicht ganz, glaube ich.
Alexis: All das macht die Nummer ziemlich unspielbar.
Max: Als endorphiner Closer vielleicht.
Sugar – „Dismal Supper (Schacke Remix)”
Alexis: Schacke hat einfach geile Drumsounds.
Franzi: Schacke ist super. Der peitscht den Beat schön nach vorne.
Max: Das stimmt, geht gut nach vorne, wie die schwarz gekleidete Armada sagen würde.
Alexis: Dieser latente Gabber-Vibe, aber trotzdem zurückgenommen. Aber er weiß nicht so ganz, was er mit den sphärischen Sounds des Originals machen soll. Die laufen einfach so mit.
Franzi: Ich finde, es ist sehr viel los. Etwas unkoordiniert teilweise.
Alexis: Voll.
Max: Die Marschrichtung ist klar, da gibt’s nichts zu mäkeln. Und für Anhänger*innen von Melodien wenig zu bestellen.
Alexis: Das Bass- und Drum-Programming ist schön muskulös, der Rest random.
Franzi: Voll.
Alexis: Beim Arrangement hapert’s.
Max: Es geht von Plateau zu Plateau.
Truncate – First Phase (Truncate)
Truncate – „First Phase”
Hörbeispiele findet ihr in den einschlägigen Stores.
Max: Jetzt die distinguiertere Techno-Variante.
Alexis: Jedenfalls wird dieser Truncate-Track gleich von Luke Slater geremixt, dann ein anderes Stück von ihm von James Ruskin.
Franzi: Hier dachte ich ein wenig an back to the roots. Nicht sonderlich schnell, aber solider Techno.
Alexis: Diese Nummer ist angenehm zurückgenommen und arbeitet schön aus dem Bass heraus.
Max: Weiß zu gefallen, genau so würde ich’s auch beschreiben. Weniger ist ja manchmal weitaus mehr.
Alexis: Lässt Raum nach oben, zum Beispiel für diese Hi-Hat hier. Truncate ist eh einer der besten Techno-Producer, die wir haben. Schön auch, dass er das auf knackigen 4:40 abhandelt.
Max: Wir! Ja, Petition für Techno-Tracks unter der Fünf-Minuten-Marke muss aufgesetzt werden.
Franzi: Mögen wir.
Truncate – „First Phase (Planetary Assault Systems Remix)”
Max: Unterscheidet sich für mich nur in Nuancen, wirkt aber noch etwas mehr in sich ruhend.
Alexis: Der Remix liegt nah beim Original, ist im Bass und in den Sounds aber spielerischer und offener. Ein Schelm, wer hier jazzy sagt. Eher jamy.
Max: Im Endeffekt würde es bei sowas aber nicht mal unbedingt auffallen, wenn die Stems andere wären.
Franzi: Ähnlich zum Original, aber ein wenig fetziger.
Max: Fetziger? Ich würde das Gegenteil behaupten. Oder vielleicht verspielter?
Alexis: Ist dreckiger gemischt, etwas überschüssiger. Truncate ist sauberer, schließlich ist er von Haus aus Toningenieur.
Franzi: Ich finde das ein wenig abwechslungsreicher. Wenn auch nicht zu aufregend.
Alexis: Luke Slater nimmt sich dann auch die 7:14.
Max: Wann macht das Berghain wieder auf?
Franzi: Morgen ist die Frage???
Max: ?!?!?!?!
Alexis: Erst wenn Du diesen Mix minutiös abgehandelt hast.
Max: Das würde in eine technowissenschaftliche Dissertation ausufern.
Franzi: Bis du die Schlange überstanden hast, ist der Track auch schon vorbei.
Alexis: Der Break ist jetzt aber interessiert. Sein Take on White Noise. Und schon rumort es wieder.
Truncate – „The Eve”
Hörbeispiele findet ihr in den einschlägigen Stores.
Alexis: Jetzt sind wir wieder bei Truncate. Unfassbar agil, die Sounds hier.
Max: Ich höre Peter van Hoesen raus. Starker Track.
Franzi: Als würden die Sounds um die Oberhand kämpfen.
Alexis: Neeeeee.
Max: Sondern? Okay, die Claps gehen gerade in eine andere Richtung.
Alexis: Das Arrangement ist sehr durchdacht, der Mix auch toll. Alles kommt, wenn es am besten wirkt und nichts verschwimmt. Techno ohne Drogen.
Max: Wie du meinst!
Truncate – „The Eve (James Ruskin Remix)”
Hörbeispiele findet ihr in den einschlägigen Stores.
Alexis: Jetzt der Track auch relativ unverändert, aber mit der Ruskin’schen Basswalze.
Max: Das Faszinosum: Man kann es sich stundenlang geben.
Alexis: Auch geil, aber nicht so durchdacht. Eher so ein stumpfes, monotones Atmen.
Max: Ein Schnappen nach Luft.
Franzi: Stumpf und roh trifft es finde ich.
Max: Schön, wie die Synths in die Länge gezogen werden.
Alexis: Das ist schon eher Drogenmusik. MDMA und ein bisschen kiffen.
Max: Ok, Boomer. Würde jetzt keinen so großen Unterschied zwischen den letzten beiden bemerken.
Franzi: Klingen alle drei sehr änlich.
Alexis: Wir hören gleich nochmal das Original, Max.
Max: Jedenfalls: Ein höchst würdiger Abschluss, schön kuratiert, Franzi!
Alexis: Drei? Eigentlich klingt Techno doch immer gleich, wa?
Max: Wa?
Alexis: Franzi, Dein Verdikt. Wir lauschen.
Franzi: „Am Ende ist eh alles Techno”, wa?