A Question of Angles (Village Green), drittes Soloalbum von Angèle David-Guillou, haut mächtig auf die Pauke. Das ist gegen den Titel definitiv keine Frage der Perspektive: analoge, orchestrale Minimal Music mit der geballten Kraft übereinander geschichteter Streicher*innen und Saxofone. Was eine Entwicklung von der introspektiven Piano-Neoklassik von Kourouma vor sieben Jahren zu diesen hochdramatischen Soundtrack-ohne-Film-Kompositionen im Klangspektrum zwischen Ennio Morricone und Philipp Glass, zwischen Michael Nymans Soundtrack zu Peter Greenaways Der Kontrakt der Zeichners und Moondogs großen Ensemblewerken wie Bird’s Lament. Bin schwerstens beeindruckt.
Adrian Corker, den älteren unter den Leser*innen vielleicht noch als Hälfte der Glitch-Posterboys Corker / Conboy bekannt, agiert mittlerweile ebenfalls recht hemmungslos orchestral und cinematisch, zuletzt aber in eher weniger gemütlichen Bereichen des melodischen Spektrums. Das hat sich auf dem Soundtrack Tin Star : Liverpool OST (Constructive) schon wieder umgekehrt. Auch hier Streicher*innen, Blech und Percussion, aber viel mehr Morricone als Nyman.
Die menschliche Stimme hat die unvergleichliche Fähigkeit, das Moderne mit dem Archaischen zu verbinden, besonders wenn mehr als eine Stimme zusammenwirken wie in der Chormusik. In Island, dem Land, in dem das Uralte vielleicht noch etwas näher am ganz Neuen liegt als anderswo, gelingt das natürlich besonders gut. Den von þorgerður Ingólfsdóttir geführten The Hamrahlíð Choir gibt es in verschiedenen Inkarnationen seit 1967, und praktisch alle Musiker*innen, die je auf der Insel wirkten, sind auf die eine oder andere Weise von ihm beeinflusst oder mit ihm assoziiert. So hat Björk im zarten Alter von 16 da gesungen und sich nun, fast 40 Jahre später, mit der Einladung ins Vorprogramm ihrer Cornucopia-Tour revanchiert. Eine erfreuliche weitere Folge ist diese erste Veröffentlichung des Chors in einem Pop-Zusammenhang auf einem Pop-Label. Come and be Joyful (OLI) macht aus der traditionellen isländischen Folklore eine elektronisch angehauchte Popmusik mit all dem eingebauten, geballten Pathos und Drive, den 35 Stimmen in unisono so mit sich bringen. Zwei Björk-Cover ergänzen das gewaltige Stück Musik perfekt.
Archaisch anmutende, hypermoderne Chormusik ebenfalls aus dem hohen Norden machen die Trondheim Voices. Der aktuell neunköpfige Frauenchor singt neu komponierte Stücke von Ståle „Supersilent” Storløkken und Helge „Deathprod” Sten. Beides altbewährte Akteure in Norwegens Jazz- und Improv-Szene, die gleichermaßen in avanciertem Rock und Elektronik heimisch sind. Die Stücke von Folklore (Traditional Customs, Tales, Sayings, Dances, or Art Forms Preserved Among a People) (Hubro, 8. Januar) arbeiten sich am Volkstümlichen entlang in die Moderne, geben virtuelle quasi-Traditionals als imaginierte Meta-Folklore, furchtlos brillant interpretiert von den Stimmen, die eine synthetische Qualität bekommen. Organische Elektronik, elektronische Organe.
Die Organe von Randi Pontoppidan & Thomas Buckner haben zusammen mehr als 75 Jahre Praxis in der Vokalisierung Neuer Musik und elektronischer Avantgarde. Der amerikanische Bariton und die dänische Jazzsängerin haben auf Voicescapes (Chant Records, 22. Januar) eine Form der spontanen Improvisation entwickelt, die mit den Mitteln der elektroakustischen Komposition aus dem völlig freien und leeren Raum der stimmlichen Improvisation (ohne Text, ohne Vocals) schöpft und ihn vorsichtig mit Leben füllt.
Ebenfalls bereits im Namen trägt das norwegische Ensemble Strings & Timpani ihre Stimmen. Die aparte wie spezielle Besetzung aus zwei Vokalistinnen, zwei Schlagwerkern, zwei Gitarristen und Elektronik klingt im Zusammenhang mit der Ankündigung in den Linernotes, einfach mal den Kopf aufgemacht zu haben, um alles rauszulassen, schon leicht bedrohlich. Das in diesem Prozess entstandene Album Voice & Strings & Timpani (Hubro) gibt sich dann aber doch erfreulich zutraulich und handzahm, vermittelt gekonnt zwischen Postrock und Fusion-Jazz, aber mit allen Freiheiten, die sich die bewährten Akteurinnen und Akteure aus Bergens Improv-Szene so herausnehmen können.