Drone (und Grün) ist die Hoffnung. Zumindest von der Berliner Cellistin Martina Bertoni. Ihre Music For Empty Flats (Karlrecords, 29. Januar), aufgenommen im vergangenen Jahr in einer leeren Neubauwohnung in einem leeren Apartmentkomplex in einem Vorort von Islands Hauptstadt Reykjavik, gibt jedenfalls eine ganze Menge davon. Aus der Isolation in eine neue Form von Gemeinschaft. Das Erstaunliche an diesen mal fragilen, mal massiven, immer hochspannenden Drone-Kompositionen ist ihr intensiver Geschmack nach Zukunft. Obwohl die Mittel, mit der diese hergestellt ist, absolut gegenwärtig sind. Eine wirklich besondere Gelegenheit zur Hoffnung, die sich in diesen Stücken abzeichnet.

Eine perfektes Komplement zu Bertonis stellt das Debüt des italienischen Berliners Andrea Loriga alias ASERET dar. Die zartbitteren, langformatigen Drones von Consciousness of Undefined (Midira, 15. Januar) lassen Schönheit zu und damit Hoffnung aufkommen.

Der anonyme Brite, der sich Craven Faults nennt, hat sich mit einer konzeptuellen Reihe von EPs und einer LP als musikalischer Chronist der postindustriellen Ruinenlandschaften Yorkshires in Szene gesetzt. Das Mittel dafür war vorwiegend ein Modularsynthesizer. Dieser, ein Modell von MU Systems, kennzeichnet den Sound der Mini-LP Enclosures (The Leaf Label) noch immer, wird aber von handelsüblichem (Post-)Rock-Instrumentarium eingerahmt, was das Album zu einem höchst erfreulichen Stück altmodischem Neo-Kraut macht.

Synthesizer-Wizard Anthony Tombling Jr. ist vom ersten Covid-Lockdown ebenso kalt erwischt worden wie wir alle, hatte aber zumindest die Möglichkeit, den folgenden Produktivitätsschub ungehindert auszuleben – und sich von seinem unglaublichen Über-Hit „Bunsen Burner” aus dem Soundtrack zu „Ex Machina” noch ein wenig weiter zu emanzipieren. UNREAL (Village Green), sein jüngstes Album unter dem Alias CUTS, knüpft partiell an seine Neunziger-Aktivitäten als Transambient Communications an, geht damit aber neue Wege mit extrem gemorphtem Vocalise-Gesang. Die Thematik ist gewohnt düster – Fake News, Überwachung, Terror, Medien in Black-Mirror-Ästhetik, in freundlichste Synth-Pop Songs gekleidet.

Crystal, die Stylegötter aus Tokio, haben es in den vergangenen Jahren bekanntlich nicht nur geschafft, Matias Aguayo auf Japanisch rappen zu lassen (Kimi Wa Monster, eine Tape-Single mit Karaoke Version auf der B-Seite) und ein Revival der 12-Inch-Laserdisc auszurufen. Jetzt rehabilitieren sie zu allem Überfluss noch den berüchtigtsten Delphin der Welt, Ecco, den Älteren unter uns hoffentlich noch bekannt aus Zeiten des SEGA Megadrives. Die angemessen überkandidelte Hommage Ecco Funk (Flau) macht so krasse Instant-Gute-Laune wie nichts Anderes aus dem stimmungstechnisch so verkorksten 2020.

Einen Kindergeburtstag ganz spezieller Art beschwören die Franzosen David Fenech & Klimperei. Eine akustisch-elektrische Electronica auf Spielzeuginstrumenten, mehrmals durch den Sampler geschreddert und wieder zu Loops zusammengetackert, verbindet Rainbow de Nuit (Marionette, 29. Januar). Eine fast schon kindliche Freude am Krachmachen und bezaubernd einfachen Melodiechen mit einer spezifischen Sensibilität fürs Atonale aus der vier Jahrzehnte umfassenden Improv-Erfahrung der beiden Vielfach-Instrumentalisten. Free-Jazz-Freakout im Kinderhort der Kirmes. Wenn der Zirkus in die Stadt kommt. Guteste Gude Laune.

Der japanische Keyboarder Shohei Amimori ist ebenfalls eine Figur, die zwischen dem Futurismus der Vergangenheit und der Nostalgie für die Zukunft vermitteln will. Mit gerade mal 30 Jahren zeigt er als Arrangeur für die J-Funk-Legende Taeko Ohnuki wie für den J-Pop-Jungstar DAOKO gleichermaßen Einfühlungsvermögen für den Synthesizer-Boogie der Siebziger, für die experimentellere Seite des Yellow Magic Orchestras der Achtziger und den abstrakten Mainstream von heute. Solo macht er dann noch mal anders, superhübsche wie wehmütige Electronica, die auf dem dritten Album Ex.Life (Noble, 22. Januar) mal angetäuscht neoklassisch, mal wie smooth-jazzige Barmusik aus dem dunklern Ende der Neon-Nächte klingt. Und wie ein Soundtrack zu einem Studio-Ghibli-Film, der erst noch animiert werden muss.

Das norwegische Trio Mr. Mibbler zieht, wie so viele ihrer norwegischen Kolleginnen und Kollegen, Kraft und Inspiration aus den Tugenden der Improvisation, elektrisch wie akustisch. Dass sie sich auf The Long Journey (NXN, 29. Januar) nie in Freakout-Noise verfransen oder in Post-Rock-Standards versacken, macht ihr Album zu einer delikaten, zartbitteren Angelegenheit zwischen halbakustischem Ambient und Electronica. Aber vielleicht keine Überraschung, machen Jørn Raknes, Thom Hell und Vidar Ersfjord doch seit Dekaden Musik in diversen Konstellationen. Irgendwann lernt man eben, das Ego aus der Musik raus zu nehmen und einfach zu spielen.

Einen weiteren beeindruckend leisen Beweis für den behaupteten Zusammenhang zwischen möglicher Altersweisheit (oder Alters-Empathie) und musikalischer Güte liefert das New Yorker Instrumental-Quartett/Quintett SUSS. Die älteren Herren sind alle seit ungefähr vier Dekaden als Produzenten, Sessionmusiker und Zuarbeiter im Rock’n’Roll-Business tätig und haben in mehr oder minder legendären Bands, von den B-52s bis Rubber Rodeo, gespielt. Auf Promise (Northern Spy), ihrem dritten Album seit der Gründung vor zwei Jahren, machen sie Zurückhaltung zu einer Tugend im Absoluten. Gemütsruhe und Menschenfreundlichkeit, Ambient, Country und Western, selten kommen sie so inspiriert zusammen.

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