Die Sounds des australischen Einfrau-Orchesters Ai Yamamoto sind gnadenlos unvorhersehbar und quietschbunt. Sie kann eigentlich alles, von J-Pop bis zur strengen Elektroakustik. So ist die freiwillige Selbstbeschränkung auf Klangerzeuger, die im Covid-Lockdown von der Wohnung zur Verfügung gestellt werden, also alles von der Küchenmaschine über Sportgerät zum Bad-Inventar, für sie definitiv keine Einschränkung der Lust am kreativen Krawall. Pan De Sonic – Iso (Someone Good, 29. Januar) ist somit allercharmanteste Akustik-Electronica, die sich im Spielzimmer wie im Kompositionsstudio gleichermaßen wohlfühlt.
Good Willsmith, das Trio aus Natalie „TALsounds” Chami und den beiden Hausu-Mountain-Honchos Doug Kaplan und Max Allison, ist bekannt dafür, das wohlsortierte Chaos vor allem bei Konzerten in einen ungezügelten Freakout umformen zu können, ohne die Kontrolle zu verlieren oder nur Krach zu machen. Ein Live-Album wie HausLive 2: Good Willsmith at Sleeping Village, 4/25/2019 (Hausu Mountain, 8. Januar) ist also naheliegend und immer willkommen. Vor allem wenn wie in diesem Fall der kosmische Zyklus vom netten Pop-Song über die Ausschweifung zum Spaßkrach und Krachspaß nicht nur für den gesamten Gig-Verlauf gilt, sondern quasi in jedem Stück einmal geschlossen und wieder geöffnet und wieder geschlossen wird. Und wieder und wieder, bis sich der Ouroboros an seinem Schwanz verschluckt und, mit dem Heimlich-Griff befreit, wieder von vorne hinten anfängt.
Pfade zu einem Sound jenseits der Kategorien führen gerne durch den Club, der beim Briten Sebastian Reynolds wohl ein slick-posher R’n’B-Schuppen mit VIP-Tables (aktuell geschlossen) wäre, an dessen heruntergelassenen Metallrolläden die Graffitis und Tags sich langsam überlagern. Aber wie die punktgenau betitelte EP Nihilism is Pointless (Faith & Industry, 21. Januar) bereits deutlich sagt: Destruktion und Dekonstruktion sind real, aber kein Grund zur zynischen Aufgabe. Mut zur Schönheit geht immer.
Und die Utopie, die Zukunft? Die verlagern sich wohl beide ins Virtuelle (und nach Ostasien). Nicht erst seit Corona, wie sich am computeranimierten Sinofuturismus des Briten Lawrence Lek leicht nachweisen lässt. Der Soundtrack AIDOL (OST) (Hyperdub) zu Leks jüngstem Film erzählt die tragische Geschichte des chinesischen KI-Popstar-Idols DIVA in der neondunklen Klangfarbe von Vaporwave und Blade Runner’schem Achtziger-Synthesizer-Retrofuturismus.
Wenn auf spannende Art nichts passiert, hat das meist mit dem unter der Soundoberfläche verborgenen Potenzial zu tun, das mehr erahnt als tatsächlich gehört werden kann. Die C40-Kassette YT (Quiet Time) des kanadischen Projekts Opinion führt auf vorbildliche Weise vor, wie faszinierend, aber in keinster Weise nervenzerrend eine statische, warme, Drone feinster Textur, geschichtet aus stark prozessierten, kaum noch erkennbaren Field Recordings durch ein subliminales Zittern zum Leben erweckt werden kann. Es ist jederzeit spürbar, dass unter der Oberfläche etwas vorgeht, nur ausbrechen wird es nie. Lange Form in Bestform.
Der Brite Simon Scott hat eine erstaunliche Karriere von den Shoegazern Slowdive zur hochreflektierten Sound Art hinter sich, praktiziert Deep Listening, ohne seine Anfänge im Pop je verheimlicht oder vergessen zu haben. Apart (12K), eine wundervolle Überlagerung von Field Recordings von Vogelstimmen und freundlichem Drone-Ambient, ist vielleicht seine persönlichste und intimste Arbeit überhaupt, Slowdive-Songs mit eingerechnet. Das Album transformiert einen ganz und gar traurigen Anlass (Scotts Vater ist im April an den Folgen einer Covid-19 Infektion gestorben) in eine ultimativ hofnungsvolle Öffnung, hin zur Welt, hin zur Natur. Die aufgenommenen Sounds nehmen die Umgebung auf, bilden einen Resonanzkörper und werfen das Prozessierte wieder zurück auf sich selbst. Wie die Stimmgabel, die Scott gerne als Quelle puren Klangs für seine Stücke nutzt. Diese Art der Verbindung mit der Welt, der Versuch, Trauer und Verlust in Hoffnung aus Kunst umzuarbeiten, ist wohl das Maximum an Optimismus, das diesen Zeiten entrissen werden kann, in denen das Leben und die Welt fragiler erscheinen denn je. Hoffnung geht so.