Eine weitere direkt der Covid-19 Isolation zu verdankende Klangschönheit ist How To Survive Difficult Times Vol.1 I (Rohs Records/Lontano Series) von Andrée Burelli, die man eher als Modularsynthsizer-Göttin Bodyverse oder als Andy Mintaka kennt denn unter ihrem Eigennamen. Das Album, das auf schnell folgende weitere Teile hoffen lässt, bewegt sich im schweren cinematischen Ambient himmlisch leicht und gibt Hoffnung, wenn es je welche gab. 

Hoffnung und Dunkelheit religiöser, synkretistischer Art ist das Thema des schweren, queeren wie christlichen Collagen-Ambient der Veridiana Sanchez aus Garca, Brasilien, die sich Grimório de Abril nennt. A Lung Full Of Flowers (Dream Catalogue) ist erstmal locker das interessanteste Ambient-Album der Saison und hat mit Sicherheit die außergewöhnlichsten Klänge, die der Vaporwave Szene, der Sanchez qua Label und Assoziation angehört, je entfleucht sind.

Die nichtbinäre Kanadier*in Ros Macdonald hat sich den bizarren aber ultimativ auf den Punkt kommenden Namen DJ Pacifier gegeben. Sie führen das Schnullertragen der ersten Generation von Gabber-Kids und Hardcore-Ravern auf der EP Rescue and Research (Failed Units) allerdings zu sehr kaltem Neo-Digital-Hardcore, nochmal krassifiziert in den Remixen von Failed-Units-Labelmacher Daniel Ruane und smog vom Berliner okqo-Kollektiv. Brainfuck und sinnlose Abfahrt in messerscharfer Konjunktion.

Vom Zarten zum Harten und zurück ist es im Zweifelsfall nur ein kurzer Sprung über den Katharsis-Abgrund. Der interessante Soundkontrast des seit einiger Zeit in Brüssel lebenden Kontrabassisten Otto Lindholm mit dem rhythmischen Krachmacher Pierre de Mûelenaere als Maze & Lindholm legt auf ihrer zweiten Zusammenarbeit A River Flowing Home To The Sea (Bedouin Records, 19. Juni) eine wacklige Planke über die Kluft von sanftmöglichstem Improv-Drone und grobdunklem Noise.

Shootingstar Klara Lewis braucht auf dem 20-Minüter Ingrid (Editions Mego) nur ein einziges kurzes Klassik-Sample, um daraus einen epischen, so ziemlich alles andere wegblasenden Destroyer-Track zu machen. Im Gegensatz zu dem offensichtlichen Vorbild der Disintegration Loops William Basinskis nimmt Lewis dem originalen Loop nichts weg, sondern fügt hinzu. Beugt und zerrt und vervielfacht den Sound bis zu derbstem Doom-Metal-nahen Feedback-Krach, und erhält doch die Schönheit und Zärtlichkeit des Ausgangsmaterials über die Langstrecke bis zum kathartischen Ende. Es bleibt nur ein atemloses Wow. 

Die kanadische Elektroakustikerin France Jobin ist für die klangliche Diskretion ihrer minimalistischen Soundscapes bekannt. In ihrer Zusammenarbeit mit Klara Lewis auf Death is Perfection, Everything Else is Relative (Editions Mego) sind allerdings erstmals disruptive Töne zu hören, die die erhabene Statik ihrer gefrorenen Wasserschlösser aufbrechen, den Kontrollverlust zulassen. Ebenfalls ein atemloses Wow.

Die Mutter aller klanglichen Diskretion bei ist die französische Komponistin Eliane Radigue. Ihr hat der umtriebige Australier Lawrence English mit Lassitude (Room 40) eine würdige Hommage eingespielt, die mehr als eine Fingerübung, mehr als ein Nachempfinden darstellt. Wenn das einer kann, dann English als langjähriger Betreiber des Labels Room 40, als innovativer elektronischer Improvisator und seit kurzem promovierter Musikologe.

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