PTU aus Russland sind schon seit mehr als zehn Jahren aktiv, aber erst ihre Releases auf Nina Kraviz´ Label трип machten das Duo international bekannt. Im Groove-Interview sprechen PTU darüber, wie sie in der russischen Provinz Techno entdeckt haben, wie die Musik ihnen half, einen bourgeoisen Dünkel abzulegen und wie jetzt zum ersten Mal in Russland eine autarke Technoszene entsteht.
Elektronische Musik aus Russland hatte es immer schwer. Zwar wurden in den Neunzigern The Prodigy dort verehrt wie Götter, aber eine lokale Szene konnte sich nie etablieren. Nina Kraviz gibt den Musiker*innen da mit ihrem Label трип zum ersten Mal eine Plattform, die auch international wahrgenommen wird. PTU existierten schon mehr als zehn Jahre, bevor sie von Kraviz entdeckt wurden. Am Anfang produzierten sie Noise, dann Techno. Mit ihrem dritten Album, ihrem ersten auf трип entwickeln sie einen surrealen Sound, bei dem sie mit Vocalsamples, Soundscapes und abseitigen Grooves von IDM bis Gabber arbeiten.
PTU sind Kamil Ea und Alina Izolenta, sie haben sich auf einer Party in der russischen Stadt Kazan im Landesteil Tatarstan 900 km von Moskau entfernt kennengelernt. „Der Name unseres Projekts “PTU” wurde uns von einem Freund vorschlagen, als sarkastischer Spiegel unserer Lebensrealität“, erzählt Kamil Ea.
Um nicht Russ*innen deutlich zu machen, was es mit dieser Abkürzung auf sich hat, muss man etwas weiter ausholen. Das Akronym steht für einen in Russland verbreiteten Typ berufsbildender Schule, der einen schlechten Ruf hat. Junge Leute aus abgelegenen Gegenden machen dort eine technische und, im Vergleich zur Universität, wenig prestigeträchtige Ausbildung. Da ist ein eher bescheidener Lebensweg vorgezeichnet.
Solche experimentellen Aufnahmen sollten die Welt vor der „Verschönerung“ durch menschliche Eingriffe darstellen und passen zu der Ironie im Namen des Projekts, das die ungeschminkte Realität der proletarischen PTUs darstellen will.
An den Rändern der Stadt Kazan machte sich am Anfang der 2000er Armut und Kleinkriminalität breit. Dort lebten Kamil Ea und Alina Izolenta als Student*innen, wohlgemerkt an der Universität. Die post-proletarische Umgebung mit den müßig umherschweifenden Gruppen von PTUshniki in den grauen Plattenbausiedlungen forderten eine ironische Reaktion der Studierenden heraus, die es nur auf den ersten Blick besser haben: „Unsere Auseinandersetzung mit der deprimierenden Realität hat uns zu der Erkenntnis gebracht, dass wir auch eine Art von PTUshniki sind. Statt der Werkbänke verfügen wir aber über Musikinstrumente“, erklärt Kamil Ea.
Die Geräusche aus der oberen Etage
Ein Techno-Act kann an einem derart abgelegenen Ort nicht ohne musikalische Einflüsse von Außen entstehen. Alina Izolenta redet über die Musikkultur im Russland der 2000er mit einer gewissen Nostalgie: „Damals war hier wenig westliche Musik verfügbar. Aber wenn man etwas Gutes fand, verehrten wir die betreffende Musik wie ein Heiligtum. Wir haben sie unseren Freunden gegeben und gemeinsam gehört, auf Kassetten aufgenommen und darüber geredet.“
Kamil Ea fügt hinzu, dass sich ihr gemeinsamer Musikgeschmack aus der britischen elektronischen Musik der Zeit entwickelt hat und nennt ein paar Lieblingsbands: Radiohead, Faithless, Future Sound of London, Massive Attack, The Orb und Orbital.
Trotzdem scheinen diese Einflüsse für PTU nicht besonders prägend gewesen zu sein, denn die Gruppe von Freunden hat sich von Anfang an als ein experimentelles Live-Kollektiv verstanden – ursprünglich waren sie zu viert. Das erste DIY-Album von PTU wurde 2004 in der Studierendenwohnung aufgenommen, aber nicht veröffentlicht. Звуки верхних этажей/ Die Geräusche aus den oberen Etagen war laut Kamil ein Noise-Experiment, das aus Field Recordings aus dem Flur, rückwärts abgespielten Schallplatten und dem Knistern von „Polivoks“, sowjetischen Analog Synthesizern entstanden ist. Solche experimentellen Aufnahmen sollten laut PTU die Welt vor der „Verschönerung“ durch menschliche Eingriffe darstellen und passen zu der Ironie im Namen des Projekts, das die ungeschminkte Realität der proletarischen PTUs darstellen will.
Die Zukunft im Jetzt
Die Auseinandersetzung des Projekts mit sowjetischen Second Hand-Instrumenten hat nicht nur die Richtung der Experimente der Gruppe bestimmt, sondern auch zur Entdeckung des Duos durch das österreichische Label Laton geführt. Die Labelmacher, Anna Ceeh and Franz Pomassl, haben Ende der 2000er auf der Suche nach neuen Künstlern und alten sowjetischen Musikinstrumenten ganz Russland bis nach Kamchatka durchforstet. Nachdem Ceeh und Pomassl PTU über gemeinsame Freunde in Kasan kennenlernten, schlugen sie Kamil Ea und Alina Izolenta vor, ihr erstes Album auf Laton zu veröffentlichen. Dieses Album entstand innerhalb einer einzigen Woche als Vorbereitung zum ersten großen Live-Auftritt von PTU. Deshalb trägt die 2009 erschienene LP den Titel Hard Week.
Kontakte aus dem Freundeskreis waren auch für die weiteren Releases von PTU ausschlaggebend, zuerst auf dem Berliner Kassettenlabel Silhouette Tapes und dann auf dem Moskauer Incompetence Records, wo 2014 Here Here erschien. Aber erst ein Facebook-Post des Moskauer Techno-Aggretators Nikita Zabelin des Tracks „Taorak“ erzeugte etwas mehr Aufmerksamkeit. Plötzlich bot Nina Kraviz an, das Stück auf трип zu veröffentlichen. Die Nummer schließt die 2016er Compilation трип 006: When I was 14 mit den Tracks von Bjarki, Nina Kraviz und Biogen ab. In dieser Zeit verbrachten PTU auch zwei Monate in Berlin, dort entschlossen sie sich, nach Moskau zu ziehen.
Das erste eigene трип-Release von PTU heißt „A Broken Clock is Right Twice a Day“. Diese Veröffentlichung löste einen großen Schub in der Live-Karriere des Duos aus. Zwei Jahre später kamen Kamil Ea und Alina Izolenta mit einem Konzeptalbum zu ihrer Labelchefin, zu dem Musik, Tracktitel, -Reihenfolge und Artwork gehören. Am I Who I Am ist ein Techno- und IDM-Experiment, es handelt von einer Cyberpunk Zukunft, die mit unserer gegenwärtigen Realität gekoppelt ist. Für Kamil „wohnen wir bereits in der Zukunft. Man kann mit einem Armband bezahlen und Organe im Darknet kaufen. Neuronetze komponieren Musik ohne Autor. Aus all diesen Dingen kann etwas Unkontrollierbares entstehen.“ Alina fügt hinzu, dass PTU sich bei aller Technikkritik auf die zufälligen Entscheidungen der Maschine im Produktionsprozess verlassen: „Die Geräte sind unser Kollege und unser Projektmitglied. Wir reagieren einfach auf den von der Maschine generierten Zufall.“
“PTU genießen die durch трип entstandene Gesellschaft russischer und isländischer Produzent*innen und bezeichnen den Umgang beim Label als besonders warm und kollaborativ.”
Für PTU sind alle Künstler*innen auf der Suche nach den Fehlern in der Natur, im menschlichen Leben und in der Technik, um diese Fehler durch den Perspektivenwechsel der Musik zu verschönern, zu harmonisieren und zu rhythmisieren.
Solch eine Bibliothek aufgenommener Fehler ist der Kern der PTU-Studios. Vor 15 Jahren haben Kamil Ea und Alina Izolenta begonnen, eine gigantische Sammlung von Samples anzulegen, zu der Field-Recordings, Experimente mit sowjetischen Synths, Instrumente von Freund*innen, Ausschnitte aus Filmen und modulares Sounddesign gehören.
Russische Verhältnisse
Als Live-Act versuchen PTU mit wenigen Instrumenten, viel zu machen. Sie reisen immer mit zwei Synths und zwei analogen Samplern, sie benutzen auf der Bühne keinen Computer, kein Ableton. Video ist fester Bestandteil der PTU-Ästhetik. Diese Visualisierungen ergänzen die musikalische Botschaft, die Weiterentwicklung ihres visuellen Stils treibt die Evolution von PTU als Live-Act an.
PTU genießen die durch трип entstandene Gesellschaft russischer und isländischer Produzent*innen und bezeichnen den Umgang beim Label als besonders warm und kollaborativ. Die Künstler*innen unterstützen einander und die Clubkultur in den postsowjetischen Ländern. PTU hat zusammen mit трип die letzte Party vor der berüchtigten Razzia der Polizei im Bassiani in Tiflis geschmissen.
Natürlich ist der politische Druck in Russland enorm, der bekannteste Club Moskaus, das Rabitza, wurde 2017 von Polizei erpresst. Trotzdem versuchen PTU optimistisch zu bleiben und bezeichnen die Entwicklung der Clubkultur in Russland als positiv, das Publikum sei als offen und viel besser informiert als früher. Der Mehrheit der Gäste weiß, warum sie einen Club besuchen und was dort passiert. Und nach einer zweijährigen Pause hat die Moskauer Techno-Szene eine neue Bleibe im Mutabor gefunden. PTU treten dort regelmäßig bei den Partys ihrer Freunde Nikita Zabelin und Arma17 auf.
“Am I Who I Am” ist auf Trip erschienen. Am 13. September stellen PTU das Album auf der Herrensauna in Berlin vor.