Das CTM Festival fand trotz aller Hindernisse und Unwägbarkeiten statt und brachte auch 2025 ein vielseitiges Programm aus elektronischer Musik, experimentellen Klängen und interdisziplinären Performances nach Berlin. An Spielorten wie dem Berghain, dem silent green oder dem Radialsystem trafen Clubkultur und Klangkunst aufeinander. Unsere Autor:innen waren vor Ort.
24. Januar 2025, silent green, Kuppelhalle

Im Restaurant im Erdgeschoss wird in Stille zu Abend gegessen, zwei Etagen darüber absolviert Elischa Heller die erste Performance des CTM Festivals. Drones und Deconstructed Beats tönen aus den Lautsprechern der Kuppelhalle des silent green. Heller setzt glasklaren Falsett-Gesang zwischen die einzelnen Sounds. In seinem klanglichen Koordinatensystem bewegt es sich weitgehend in der CTM-Norm, in der Inszenierung ist das Konzert aber originell.
Immer wieder tritt Heller weg vom Tisch mit den Geräten und schreitet geduldig über die Quadrate des alten, massiven Steinbodens, während er auf den Einsatz für seinen Gesang wartet. Nach einer halben Stunde scheint er vom Ausstellen der digitalen Ästhetik in ihrer festivaltauglichen Verfremdung gelangweilt. Deshalb genehmigt er sich und der Crowd eine 80s-Pop-Hommage, die passenderweise dumpf und leiernd klingt, als sei eine Kassette seit dieser Zeit auf einem Dachboden gelegen.

Hellers Schritte wirken spontan, einen solchen Raum der Nicht-Inszenierung gibt es bei Plus44Kaligula nicht. Sie steht auf einem Podest, das von LED-Licht umrandet wird. Sie schmiegt sich an einen interessant aussehenden Gegenstand, zugleich Skulptur und Mikrofonständer. Er sieht aus wie die Steuerungseinheit eines Raumschiffs oder ein Objekt des russischen Avantgardisten El Lissitzky.
Ihre souverän vorgetragenen Songs orientieren sich an Musical-Nummern, der Clou liegt darin, dass Plus44Kaligula in ihrem Gesang immer wieder zu Grimassen erstarrt, die gefälligen Melodien mutieren zu einem verstörenden Geschrei. Die Pose erinnert an einen weiblichen Roboter, der an seinem einprogrammierten Gehorsam zerbricht. Ein starker feministischer Auftakt für das Festival, das wenig später nebenan feierlich eröffnet wird. Alexis Waltz
28. Januar 2025, radialsystem 2
Im Eingangsbereich des Radialsystems tummeln sich viele Menschen. In 20 Minuten beginnt der erste Teil des heutigen CTM-Abends. Die südostasiatischen Künstler:innen Lynn Nandar Htoo und rEmPiT g0dDe$$ werden ihr für das CTM Radio Lab 2025 produziertes Werk präsentieren. Die Performance soll sich auf die Erfahrungen von Personen, die durch die politischen Unruhen in Myanmar vertrieben wurden, sowie auf die strengen Vorschriften, denen queere Gemeinschaften in Malaysia ausgesetzt sind, konzentrieren.
„Menschenartige Kreaturen, Nahaufnahmen von Maschinen und Feuer tauchen immer wieder auf.”
Ich betrete die große Halle und setze mich auf die Treppe. Auf der Bühne ist eine DJ-Booth aufgebaut, die mit durchsichtigen Tüchern umspannt ist. Dazwischen: Htoo und g0dDe$$. Sie beginnen ihr Set mit Ambient-Sounds, es wird zunehmend düsterer, fast noisy. Die Tücher werden mit schwingenden Überwachungskameras bestrahlt, die in diesem Fall keine Bilder aufnehmen, sondern leuchten. Menschenartige Kreaturen, Nahaufnahmen von Maschinen und Feuer tauchen immer wieder auf. Je dekonstruierter die Sounds klingen, desto zerstückelter sind auch Bilder. Nur der grüne, sphärenartige Schimmer im Hintergrund bleibt.

Die Performance ist reich an dramatischen Höhepunkten und Abwechslung – ein Zusammenspiel diverser Synths und Echos. Aber auch harte Techno-Bässe, Gitarren und Glockenklänge prägen das Set. Mein persönlicher Favorit: der verzerrte, emotionale Gesang von rEmPit g0dDe$$.
Nach einer kurzen Pause beginnt der zweite Teil des Abends. Neben dem DJ-Pult steht nun ein Schlagzeug und ein großes Glockenspiel, an den Instrumenten: Nídia & Valentina. Geprägt von synkopierten Schlagzeugmustern, pulsierenden Marimbalinien und melodischen Zwischenspielen erzeugen sie eine Atmosphäre, die keine Ruhe gestattet.

Anfangs noch zögerlich, dann von Nídia aufgefordert, verwandelt sich das Parkett schnell zu einem Dancefloor. Aufgewärmt und aufgeladen mit Energie von Kuduro-esquen Sound verlasse ich das Radialsystem. Elaine Sobolewski
29. Januar 2025, Berghain, Berghain Night 2
„Hey, Arschloch! Hey, Arschloch!”, flötet es vergnügt aus der Schlange vor dem Berghain. Die Worte kommen von einem stämmigen Herren mittleren Alters, der kabellose In-Ears trägt, und richten sich an einen deutlichen jüngeren CTM-Aficionado, der die Ticket-Holder-Schlange überspringen will und ganz vorne links versucht, ein Reißverschlussverfahren einzuleiten. Erst nach und nach wird gewahr, dass es sich hier um keine derbe Neckerei unter Kumpels handelt. Der Mahner hat seinen Hass nur auf die süffisanteste Art und Weise verpackt und ist sichtlich zufrieden, als der Störenfried ans Ende der Schlange verwiesen wird.

Drinnen spielen an diesem CTM-Mittwoch bereits Runhild Gammelsæter & Lasse Marhaug und lassen keine Zweifel daran aufkommen, dass sie in der Tradition disruptiver Musik stehen. Gammelsæter bezieht ihre Inspiration aus dem Underground-Metal, was sie vereinzelt mit gutturalen Gesangseinlagen kundtut, die als quiekende Schlieren, gesampelt, verfremdet, geloopt von den Wänden des Berghain widerhallen. Marhaug lässt darunter pechschwarze Drones anschwellen, bis zu einem kaskadischen Crescendo, das die gar nicht mal so leisen Unterhaltungen der Personengruppen neben mir verschluckt. Auf dem Höhepunkt durchschneidet die Stimme einer Mitarbeiterin des Clubs den zähflüssigen Klang, begleitet vom Kegel einer Taschenlampe. Ein bärtiger Herr mittleren Alters und mit Motörhead-Mütze hat offenbar den Auftritt mitgefilmt und wird nun unter lautstarken Kommandos aus der Menge bugsiert. Bald darauf endet das angenehm spärlich beleuchtete, unspektakuläre Set unter Applaus.

Ein paar Meter weiter beginnt nach kurzer Pause Caterina de Nicola, deren Noise anfangs noisiger klingt als der der beiden Norweger:innen zuvor, genauer gesagt an eine quietschende Schuppentür auf einem Brandenburger Anwesen erinnert. Zum dunklen Sound turtelt ein schwules Pärchen, der größere der beiden mit lederner Hundemaske, wie man sie sonst eher im Normalbetrieb des Clubs zu Gesicht bekommt. Momente lynchesker Qualität, es gibt das echte Berghain im falschen. Währenddessen machen es sich die Gäst:innen auf der Bühne bequem, auf der gleich Bendik Giske spielen wird. Eine Frau wippt vor und zurück, als ob sie gleich den Verstand verliert, und legt sich dann beseelt rücklings auf die Bühne.

Nachdem zweimal die Dunkelheit regiert hatte, warten nun alle gespannt auf das Licht. Das dürfte die zugrundeliegende Überlegung des Abends gewesen sein: Erst die zähen Drone-Klopper auffahren, damit Bendik Giske mit seiner körperlichen Präsenz und poppigen Saxofon-Klängen im Anschluss umso stärker strahlt. Das Kalkül geht auf: Unter unregelmäßig aufbrandendem Geschrei des Publikums presst der zirkularatmende Norweger situativ zerbrechlich helle Gesangseinlagen wie in „Void” aus seinem Körper und abgehackte Ton-Salven aus seinem Instrument, mit dem er zugleich flüchtige Rhythmen klopft. Das hat schon 2019 funktioniert, das funktioniert auch an diesem Abend. Maximilian Fritz
30. Januar 2025, d&b Soundscape Workshop, Sonnenraum
Der Sonnenraum, ein kleiner Club zwischen Kreuzberg und Treptow, liegt in gedämpftem Licht, die Luft vibriert voller Erwartung. Wo sich sonst Platten drehen, steht heute das Zuhören im Mittelpunkt. Kein DJ, kein Beat, sondern ein 90-minütiger Vortrag über Klang in dreidimensionaler Form.
„Die Instrumente spielen live um einen herum.”
Der Abend wird von d&b Soundscape gehostet, den Machern eines immersiven, objektbasierten Audio-Systems, das durch spezielle Algorithmen eine immersive 3D-Klanglandschaft erzeugen soll. Das wollen offensichtlich viele erleben – alle Sitzplätze sind belegt, viele stehen, als Ralf Zuleeg, der Entwickler von d&b Soundscape, die Technologie mit Charme erklärt. Immer wieder macht er zwischendurch einen kleinen Witz, um die Runde aufzulockern und die sonst eher trockene Theorie von objektbasiertem Audio zu vermitteln. Objektbasiertes Audio behandelt Klänge wie einzelne Objekte. Diese Objekte können sich autonom in einem 3D-Raum bewegen.

Um das zu verdeutlichen, präsentiert er einen Song einer Band im Stereoformat und danach mit d&b Soundscape Audiosystem. Der Unterschied ist verblüffend. Weil über den Teilnehmer:innen ganze 25 Lautsprecher im Quadrat aufgereiht sind, können Instrumente und Stimmen anders positioniert werden, was sich viel natürlicher anhört. Die Instrumente spielen live um einen herum.
Nachdem ein weiteres eindrucksvolles Beispiel mit einem Chor präsentiert wurde, nimmt Brigitta Muntendorf das Mikrofon in die Hand. Die deutsch-österreichische Komponistin integriert in ihre Arbeit Konzepte wie Radical Listening, Environmental Storytelling und Social Composing. In Zusammenarbeit mit d&b audiotechnik versucht sie, in ihren Werken die Grenzen von 3D-Audio und AI-Voice-Clones zu erweitern.

Als Brigitta Muntendorf Auszüge aus ihrem Werk ORBIT präsentiert, werden Unterschied und Kraft objektbasierten Audios bewusst. Körperlose KI-generierte Stimmen gehen um im Publikum und unter die Haut.
Obwohl der Workshop anfangs fachlich orientiert ist, erweist er sich durch die zahlreichen Hörbeispiele auch für einen technischen Laien wie mich als äußerst lehrreich und horizonterweiternd. Durch 3D-Audio wird mehr Räumlichkeit und Tiefe geschaffen. Ich konnte so Instrumente, Stimmen und Geräusche deutlich klarer und räumlicher wahrnehmen. Klang entfaltet sich neu, und eine völlig neue Art des Hörens entsteht. Jacob Runge
30. Januar 2025, Berghain, Berghain Night 3
Eine der wenigen Veranstaltungen im Berghain mit Ticketing – was erwartet dort? In der Schlange vor der Garderobe liegt eine fast physisch greifbare Unruhe in der Luft. Blicke wandern über die Kunstwerke, als überlegten die Anwesenden, wie man sich an einem so renommierten Ort verhält.
Nachdem ich meinen Mantel abgegeben habe, zieht es mich in die Säule. Ich setze mich an die Bar und lasse das Lichtspiel und den beeindruckend klaren Sound auf mich wirken. Die britische Jungle-DJ yungfya spielt eine interessante Kombination aus Breakbeat und Techno mit knackigen Percussion-Sounds. Eingetaucht in wirbelndes rotes Licht wecken die basslastigen Tracks Erinnerungen an UK-Grime, was eine treibende, federnde Atmosphäre erzeugt.

Oben, im eigentlichen Berghain, erwartet mich eine ungewohnte Szenerie: Eine Bühne mit Schlagzeug ist direkt im vorderen Teil des Raumes aufgebaut. Auf dem relativ leeren Dancefloor tummelt sich ein bunt gemischtes Publikum, das auf den nächsten Act wartet.
Als Murderpact endlich loslegen, trifft mich der abrupte Einstieg in ihre dekonstruierten Klangwelten unvorbereitet. Rasende Drums, chaotische Obertöne – dieser Sound verschiebt die ohnehin schon überzeichneten Grenzen experimenteller Musik noch weiter. Verzerrte Tempi und ein echter Hardcore-Vibe hauen nicht nur mich, sondern auch das Publikum aus den Socken. Tanzen? Kaum möglich. Die meisten stehen einfach nur da, manche mit geschlossenen Augen, völlig vertieft in den brennende Sound, der sich vor ihnen entfaltet.

Noch eine Treppe höher finde ich mich schließlich in der gemütlichen Panorama Bar wieder. Auch hier erzeugt rotes Licht eine dichte Atmosphäre, doch im Gegensatz zu unten wirkt der Raum lebendiger. Auf der verrauchten Tanzfläche wird jetzt richtig getanzt. alys(alys)alys taucht ein in experimentelle Clubmusik, die sich in alle Richtungen entfaltet. Langsam wird es frech. Mit einer Genre-Mischung aus housigen Feiermomenten und ausgedehnten Basslines schüren die langen Build-ups eine spürbare Erwartungshaltung.
Ich mache mich auf den Weg nach Hause. So vielfältig der Abend auch war, es entstand eine gewisse Einheit, denke ich, als ich mich in der S-Bahn niederlasse und der Ostbahnhof an mir vorbeizieht. Das lag auch an den Menschen. Diese Offenheit für neue Erfahrungen und für experimentelle, grenzverschiebende Musik bot ein faszinierendes Spektakel – und eine Gelegenheit, in Genres einzutauchen, die ich so noch nie in einem Club erlebt habe. Jacob Hession