Alle Fotos: Märta Thisner
Geht es darum, Pop und House auf möglichst kunstvolle Art zu einer Einheit zu verflechten, fällt Kornél Kovács’ Name zwingend. Spätestens mit seinem Debütalbum The Bells von 2016, das mit Jeff Mills’ genredefinierender Hymne nur wenig gemein hat, hat sich der Schwede als Spezialist für samplelastigen, melodischen House etabliert. Tracks wie „Pantalón”, „Szikra” oder das adäquat betitelte „Pop” verfolgen eine betont positive Vision, driften trotzdem immer wieder ins Nachdenkliche ab und stoßen sich gleichzeitig nicht an Pop-Appeal und Mitsing-Passagen in rauen Mengen. Auf diese bewährte Mixtur hat sich Kovács weitestgehend auch auf seinem Zweitling Stockholm Marathon verlassen. Wieso das Album jedoch unter gänzlich anderen Bedingungen als das erste entstand, was ihm seine Heimatstadt bedeutet und wie hingebungsvoll er sich das Auflegen beibrachte, hat er uns im Gespräch offenbart.
Mit Stockholm Marathon wollte Kornél Kovács seine Trennung verarbeiten. Entstanden ist dabei der Soundtrack des Sommers. Stockholm für immer. Weniger eine Maxime, war es vielmehr eine Selbstverständlichkeit, wenn er über seine Geburtsstadt sprach oder an sie dachte. Wegziehen in ein anderes Land, in eine andere Stadt, die Künstler*innen wie ihm mehr bietet, die näher dran ist an der vermeintlichen „Szene” – so wie Berlin oder London vielleicht – das kam für den Studio Barnhus-Mitgründer nie in Frage. Kovács war glücklich in Schweden. Das Label lief, er war gefragt als DJ. Immer noch, muss man sagen, wenn man bedenkt, dass der 33-Jährige seit mehr als einer Dekade durch die Clubs zieht. Sein eigentlicher Fixpunkt im Leben aber – das, was alles zusammenhielt – war seine Freundin, mit der er in Stockholm in einer gemeinsamen Wohnung lebte. Dann plötzlich der Knall. Alles ist aus. Die Beziehung: kaputt, vorbei. Für immer. „Das war eine harte, verrückte Zeit. Ich war total aufgewühlt”, blickt er zurück. „Ich bin zurück in meine alte Wohnung gezogen, die ich untervermietet hatte. Noch in derselben Woche habe ich mich an die Arbeit an meinem neuen Album gemacht. Stockholm Marathon ist ein absolutes Trennungsalbum.“ Im doppelten Sinne: Trennung von seiner Freundin, aber auch von „seiner” Stadt. „Ich bin damals sicher gewesen, dass ich aus Stockholm wegziehen würde.” Gekommen ist es aber ganz anders.
„Ich glaube, die Älteren hielten mich für ihr Maskottchen. Ich war immer dabei, stellte ständig Fragen. Rückblickend muss ich ziemlich nerdy rübergekommen sein!“
Dass er heute am Flughafen von Bristol sitzt und über sich und den Nachfolger zu seinem Debütalbum The Bells spricht, ist bemerkenswert. Nicht, weil die Nacht davor extrem kurz war, sondern weil beide Alben, seine vorangegangenen EPs, eigentlich seine gesamte Musik beinahe gar nicht auf die Welt gekommen wären. „Bevor wir Studio Barnhus ins Leben gerufen haben, war ich sehr frustriert”, erinnert sich Kovács. „Ich habe zu der Zeit schon relativ erfolgreich in Stockholm aufgelegt. Aber irgendwie ging es nicht weiter. Ich wurde älter, das Publikum in den Clubs aber nicht. Der Klassiker halt. Ich war nicht sicher, ob ich so weitermachen wollte.” Kovács ist zu dem Zeitpunkt ein reiner DJ, ohne eigenen Output. Dabei liest sich seine Kindheit wie die von vielen, die später zu erfolgreichen Produzent*innen wurden.
Seine Eltern, die Anfang der Achtziger von Budapest nach Stockholm emigrierten, übernehmen die musikalische Sozialisierung, als er noch klein ist. Sein Vater spielt ihm Kraftwerk vor, aber auch Hip Hop, Dub und Reggae. Davor liefen im Kinderzimmer nur Michael Jackson und Roxette. Seine Mutter ist es schließlich, die es ernst meint, und anfängt, das Talent ihres Sohnes zu fördern. Sie schickt ihn zum Klavierunterricht, später kommt Schlagzeug dazu. Der Schritt, ihn mit zehn Jahren auf eine Musikschule zu schicken, ist nur folgerichtig. Als prägend beschreibt er diese Zeit heute, auch wenn er um den Chorunterricht gerne herumgekommen wäre.
Stream: Kornél Kovács – Pantalón
Als er zwölf Jahre alt ist, entdeckt er Drum and Bass. Er fängt an, Magazine über elektronische Musik zu lesen, und hängt – obwohl noch extrem jung – in Stockholms Plattenläden ab. Kovács muss lachen, wenn er daran zurückdenkt: „Ich glaube, die Älteren dort, von denen damals schon einige echt bekannt waren in der Szene, hielten mich für ihr Maskottchen. Ich war immer dabei, stellte ständig irgendwelche Fragen. Rückblickend muss ich ziemlich nerdy rübergekommen sein!”
Ein Schlüsselerlebnis, das ihn zum DJ macht, gibt es nicht. Während andere Kinder an Computerspiele denken, träumt Kovács von Clubs und der Rave-Kultur. Die ersten DJ-Gehversuche macht er zuhause im Wohnzimmer. Ermöglicht hat das einmal mehr seine Mutter, wenn auch dieses Mal unabsichtlich. „Sie hatte eine Stereo-Anlage mit CD-Deck und Plattenspieler. Aber die konnte man nicht zur selben Zeit abspielen. Ich habe dann einen Drum and Bass-Track laut über CD abgespielt und parallel dazu eine Platte aufgelegt. Die konnte man natürlich nicht hören. Aber wenn ich nah genug mit dem Ohr an die Nadel ging, war es möglich, trotzdem den Beat wahrzunehmen. So habe ich das Angleichen der Geschwindigkeit gelernt.” Kovács legt recht schnell recht erfolgreich in Stockholm auf. Anfang der 2000er entdeckt er Künstler wie Erol Alkan und die musikalische Offenheit von Kompakt. Sein Stil passt sich an, er legt vielschichtiger auf. Immer noch als jemand, der bis dato kein eigene Musik veröffentlicht hat. In Stockholms Nachtleben ist er eine feste Instanz, doch was fehlt ist – wie gesagt – eine Entwicklung. Er zweifelt, und driftet allmählich ab in die Phase, in der er mit dem Gedanken spielt, ganz aufzuhören mit dem Auflegen.
Gamechanger Studio Barnhus
„Dann habe ich Axel und Petter kennengelernt“, sagt er. Ein einfacher Satz, für ihn aber der Wendepunkt in seinem Leben.
Er meint Axel Boman und Petter Nordkvist. Viel ist geschrieben worden über sie und Kovács, über ihr Kennenlernen, über die Idee, mit Studio Barnhus ein Label zu gründen, weil man dachte, das „mache jetzt gerade Sinn.” Und über dieses beständig gute Händchen für Geschmack. Seit 2010 existiert Studio Barnhus. Eine stattliche Zeitspanne in der modernen Labelzeitrechnung. In all den Jahren sind sie vorne mit dabei, immer anders, aber immer erfolgreich. Studio Barnhus schimmert hell in der House-Landschaft, ihre knalligen Cover spiegeln den Sound des Labels wider und nicht zuletzt auch das Auftreten von Axel, Petter und Kornél selbst: bunt, vielfältig, streckenweise albern, aber immer ehrlich, immer sie selbst. Als sich viele vor einiger Zeit wieder in den Techno-Zug setzten, weil es en vogue war, blieben die drei draußen am Gleis stehen und machten weiter House. Für Nachwuchskünstler*innen in Stockholm ging kaum ein Weg an Studio Barnhus vorbei. Bella Boo oder Baba Stiltz wurden durch das Label groß.
Ein Verdienst, den Kovács kleinredet, er schreibt den Erfolg ihrem unsichtbaren vierten Partner zu: Der Stadt, in der die Drei leben. „Stockholm war nie bekannt als internationales Drehkreuz für elektronische Musik wie London oder Berlin”, versucht er zu erklären. „Wenn du in solchen Städten Musik machst und veröffentlichst, dann hast du immer auch einen direkten Draht zum lokalen Nachtleben. Es gibt eine gewisse Funktionalität, die durch die Clubs kommt; Was toll ist! Wenn du vor zehn Jahren in London Dubstep produziert hast, dann hast du dir deine Tracks vermutlich im Plastic People vorgestellt. In Berlin in den Neunzigern war es vielleicht der Tresor. Axel, Petter und ich sind total weit weg von dieser Welt. Weil wir in Stockholm leben. Hier gibt es nicht dieses Verständnis von Clubmusik, die irgendwo funktionieren muss. Was nicht heißt, dass unsere Musik nicht ankommt. Ich denke, dass man sich hier einfach mehr kreative Freiheit nimmt.”
Video: Kornél Kovács – On Roofs
Kovács, der zur Zeit der Labelgründung auf seinem Laptop nur eine Demoversion von Ableton hatte, mit der man nicht speichern konnte, hat durch das gemeinsame Studio plötzlich Zugriff auf das Equipment von Axel und Petter. Alles wurde in einen Raum geschmissen, angeschlossen und war für jeden nutzbar. Schon bei seinen ersten Produktionen fällt der Hang zum Sampling auf. Oft zieht er seine Vocals aus 90er-Jahre-Tracks, mit der Konsequenz, dass seine Arbeiten aktuell klingen, und gleichzeitig wie aus der Zeit gefallen. So beschreibt ein Nutzer auf Discogs seine Baby Step-EP beispielsweise als „old school House new school produziert.”
Für sein neues Album Stockholm Marathon wollte er diesen Weg verlassen. Ein Stück weit, so der Plan. „Ich wusste, dass ich mich in irgendeine Richtung weiterentwickeln musste”, gibt Kovács zu. „Zum einen wollte ich abstrakter sein, mehr mit Soundcollagen arbeiten. Und es sollte extrovertierter klingen. Ich wollte schon immer etwas machen, das in Richtung Pop geht.” Bei der Umsetzung half ihm Freund Matt Karmil. „Ich habe mich quasi in sein Studio eingemietet, deshalb ist ein Teil des Albums neben Stockholm in Köln entstanden. Ich hatte großes Glück, dass ich so eine Studio-Umgebung vorfinden konnte. Dort stand echt das beste Equipment, das man sich vorstellen kann. Ein bisschen besser als eine Demoversion von Ableton”, lacht er.
Musik und der Interpretationsspielraum
Herausgekommen sind acht Tracks, die in ihrer Abwechslung und Unbekümmertheit seine bisherige Musik übertreffen. Zwar kommt auch Stockholm Marathon nicht ohne Sampling aus, doch bedient sich Kovács hier wesentlich verhaltener. „Purple Skies” und „Marathon” etwa sind keine Tracks mehr, es sind Songs, die an heißen Sommertagen im Radio laufen könnten: Poppige Vocals treffen auf eine Hook, die schon nach dem ersten Hören im Ohr kleben bleibt. Dabei besaß das Album in seiner Ursprungsversion keine einzige Gesangsspur. „Ich war zufrieden mit allem, dachte
aber, dass ich es vielleicht gut ist, die Tracks ein wenig liegen zu lassen. Einfach, um ein bisschen Abstand zu bekommen. Ich habe dann mit Rebecca und Fiona (Rebecca Scheja und Fiona FitzPatrick, ein Pop-Duo aus Stockholm, d. Red.) abgehangen, weil wir uns ein Studio teilen. Irgendwie hatten wir dann diese super kreativen und intensiven Sessions. In denen sind viele der Vocals auf Stockholm Marathon entstanden.”
Stream: Kornél Kovács – Purple Skies
Obwohl das Album aus einer Trennung heraus entstanden ist, klingt es nicht danach. Kovács überrascht das wenig, auch wenn er mahnt, die Lyrics auf Stockholm Marathon nicht zu vernachlässigen. „Ich begreife langsam, dass Musik, die für mich traurig klingt, andere total glücklich macht. Hör dir meinen Track „Szikra” an. Für mich klingt der richtig traurig. Aber viele meinten zu mir, es sei der fröhlichste Track, den ich je gemacht hätte. Was ich damit sagen will: Lässt du Emotionen in Kunst einfließen, werden die Leute auch Emotionen herausziehen. Aber es muss nicht die gleiche Emotion sein. Das ist das Schöne an Musik.” Die Trennung, sie hat nicht nur ein starkes zweites Album verursacht, sondern ihm auch die Augen geöffnet. „Ich habe mich neu in Stockholm verliebt. Dieser ganze Prozess, beginnend von der Trennung über den Umzug bis zum Fertigstellen des Albums hat mich die Stadt neu entdecken lassen.” Im Sommer will er deshalb nur in Europa auflegen, und das sehr reduziert. Damit er mehr Zeit hat für sich, und mit seinen Freunden. Fürs Fahrradfahren und das Schwimmen im See. Diese Ideen hat er im Kopf schon ausformuliert. Stockholm für immer also? Vermutlich.
Stream: Kornél Kovács – Szikra