Wenn Drummer durch die Decke gehen: Musikprojekte, die allein von Schlagzeugern getragen werden, sind oft sehr speziell, aber darin eben auch ziemlich einzigartig, vor allem wenn sich Virtuosen ihres Fachs außerhalb ihres Bandzusammenhangs austoben wie im Fox Millions Duo. Darin sprengen Greg Fox, New Yorker Extrem-Drummer bei den Konzept-Black-Metallern Liturgy sowie diversen Experimental- und Improv-Combos, und John Colpitts (Kid Millions),
Drummer von Oneida und zig anderen Neo-Psychedelic Rockbands, die einhegenden Genregrenzen ihrer Bands in einer gewaltigen Eruption. Biting Through (Thrill Jockey) fügt die verbliebenden Fragmente, das Geröll von Schlagwerken jeder Art in einen elektronischen, rhythmisch entgrenzten Free Improv-Neo-Prog für starke Nerven und Ohren. Diesen Sound, der historische Begegnungen von Rockmusik, Avantgarde und Free Jazz nochmal neu erzählt, anstrengend zu nennen, ist eine fahrlässige Untertreibung. Ihn anregend, abgefahren, großartig zu nennen, eher nicht. Tim Thornton alias Tiger Village aus der ewig unterschätzten amerikanischen Flyover-Metropole Cleveland, Ohio bastelt auf Modern Drummer (Hausu Mountain) eine digitale Variante der freidenkerisch-rhythmischen Freak Out. Die IDM Beats der Neunziger als Free Improv-Percussion-Geklapper ins Extrem geglitcht. Dass das Ganze dann doch beinahe so ähnlich wie Post Club-Synthpop klingen kann, ist das Absurde daran. Das Schlagzeug-Elektronik Duo BANG! BROS aus den Tiefen der US-Provinz verwurzelt seinen Sound noch stärker im Free Jazz und der Collage-Ästhetik der frühen Moderne. Die zwei Tapes von Big BANG! Theory (Hausu Mountain) quietschen hibbelig und nervös, ballern den Klangraum aber nicht so voll wie etwa das Fox Millions Duo. Sie klappern sich spartanisch und luftig frei.
Cinematischer Postrock findet bevorzugt im Breitwandformat (und mit einer großen Menge verzerrter Gitarren) statt. Soweit das Klischee des Genres. Dynamik und Wucht geht aber auch kleiner, intimer, sparsamer und zarter. Zum Beispiel beim kammermusikalisch besetzten französischen Quartett astrïd. Ihre Neoklassik-nahen Postrock-Oden sind nicht weniger episch und dynamisch als die ihrer prominenteren Kollegen, aber schon in der Besetzung intimer. E-Gitarre und Schlagzeug clashen und verwinden sich bei astrïd mit den viel „schwächeren” akustischen Klängen von Klarinette und Violine. So finden sich astrïd meist eher auf der Seite der Schönheit als der erhabenen Überwältigung. Für A Porthole (I) (Gizeh), den ersten Teil ihrer neuen Reihe von Mini-LPs, gilt das jedenfalls sehr. Im Zusammenspiel der vier Akteure ist jede Menge Luft und Raum und doch ist es nahtlos. Der Brite David Sheppard spielt meist ebenfalls auf der leiseren Seite des Postrock. Sein Duo-Projekt Snow Palms hat er für die EP Everything Ascending / Circling (Village Green) allerdings mit einer Stimme und diversen Loop- und Effektmaschinen erweitert. So folgen die erweitert kammermusikalischen Tracks eher dem scharfen, klaren Sound der Minimal Music als dem üblichen spätromantisch-nostalgischen Klangbild. The Pirate Ship Quintet aus Bristol machen dagegen Postrock nach Betriebsanleitung. Emitter (Denovali) oszilliert regelmäßig von leise zu laut, von zart zu derb, von Wohlklang zum E-Gitarren-Feedback. Kein bisschen originell, aber akkurat umgesetzt. Ein sehr gutes Album, welches das Genre nicht überwinden will, sondern bedient. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Ein feines und relativ junges Reissue, das vieles vom weiter oben gesagten zusammenbringt, kommt von Brian Harnetty. Für den US-amerikanischen Musikethnologen und Sound Art-Künstler spielt das gesprochene Wort fast immer eine tragende Rolle. Harnettys Methode ist das Collagieren, Umspielen und musikalische Neuerfinden historischer Aufnahmen. Er hat dabei schon aus so unterschiedlichen Archiven geschöpft wie denen von Jazz-Freidenker Sun Ra und ethnographischen Aufnahmen aus Schul- und Gemeindezentren im mittleren Westen der USA, vor allem aus der Herkunftsgegend in den Appalachen. In letzteren ist Harnetty in die Provinzstadt Shawnee, Ohio (Karlrecords) zurückgekehrt. Dafür arrangierte er historische Feldaufnahmen von Coal Miners Songs und Interviews mit ehemaligen Zechenkumpeln, die nach dem Ende des Kohleabbaus gezwungen waren, in der neuen Boomwirtschaft des Fracking zu arbeiten. Er kontrastiert diese mit Stimmen von Ökoaktivist*innen und Hobby-Heimatforschern und unterlegt das Ganze mit selbst eingespieltem, stimmungsvollen Kammerfolk und archaischem Country. So entsteht das komplexe Bild einer spezifischen Gegend, deren Bewohner sich nicht auf das Klischee reaktionärer Rednecks und bildungsferner Hinterwäldler festlegen lassen wollen, aber doch jederzeit auf eine heute seltene Verwurzelung mit dem Ort und der spezifischen Kultur ihrer Herkunft bestehen. Der japanische Instrumental-Hip Hop-Wizard Yoshimi Hishida ist seit Mitte der Achtziger aktiv, macht vor allem Soundtracks zu Filmen und Computerspielen. In den vergangenen drei bis vier Jahren hat er ein kleines Comeback als Produzent nichtfunktionaler Tracks gehabt, das ganz ähnliche Gefilde exploriert wie zuletzt Meitei, nämlich eine explizit japanische Gestimmheit und kulturelle Verwurzelung, die verdrängte, verschüttete und verlorene akustische Traditionen wieder ausgräbt und zu neuem Leben erwecken will. Dass dieses neue Leben eines von Geistern ist, haben Meitei und Hishida genau verstanden. So sind die Failed Stories (Kudatah) Hishidas fragmentarische Gespenstergeschichten Kwaidan-Nachfolge, welche von einem Dark Japan erzählen, das es so wohl nie gab, aber die Vorstellung hegen, wie stimmungsvoll, unheimlich und dunkelschön ein solches Japan gewesen sein müsste. Eines Japans, das es vielleicht einmal gegeben haben könnte. In einer vergangenen Vorstellung von einer goldenen Zukunft in der Bubble Economy der Achtziger, die dann aber niemals kam, niemals kommen konnte.