Alle Fotos: Phil Sharp (Apparat)
Seit fast zwei Dekaden gehört Apparat mit seiner emotionalen Electronica fest zum Inventar der Berliner Szene. Er gründete als Elektropunk das Label Shitkatapult mit, kooperierte mit Ellen Allien und tourte die letzten Jahre mit Modeselektor als Moderat über die großen Bühnen dieser Welt. Mit LP5, der ersten Solo-Platte in sechs Jahren, und einer Europa-Tournee meldet sich Sascha Ring nun lautstark wie gefühlvoll zurück – nur ein paar Wochen nach Modeselektors neuem Album Who Else. GROOVE-Autor Raoul Kranz hat sich mit ihm über den fragmentarischen Entstehungsprozess, Kitsch und Melancholie unterhalten – aber auch über Livity Sound und Wim Wender-Dokus.
Kaum ist Sascha Ring ins gemütliche Monkeytown-Büro in Kreuzberg hereingeschneit, weist er mich auf ein Nonsens-Gedicht hin, das er in der U-Bahn erstanden hat. Der charismatische Lockenkopf mit strahlenden Augen lässt sich von allem inspirieren, worauf wir noch zu sprechen kommen. Ein aufgeweckter Geist, der Substanzielles zu sagen hat. Star-Allüren sucht man vergeblich: Er gießt mir Mineralwasser ein und entschuldigt sich für die Spülmaschinen-Flecken am Glas. Bemitleidet mich dafür, das Gespräch transkribieren zu müssen, und fragt nach meinen Lieblingsclubs. Ja, die Griessmuehle fände er auch ganz cool und wäre dort direkt mal bis drei Uhr nachmittags an der Bar hängen geblieben. Kaum habe ich mit meiner Lobhudelei über die neue Platte LP5 angefangen, da sind wir schon mitten im Gespräch:
Das letzte Moderat-Album III ist jetzt drei Jahre her. Hast du in der ganzen Zeit an dem neuen Album gearbeitet?
Ja, ich habe die LP5 zwei, drei Monate nach der letzten Moderat-Platte angefangen. Ich habe nicht die ganze Zeit daran rumgewurschtelt, aber immer mal wieder. So hatte ich den Luxus, dass ich mir die Tracks immer wieder nach kurzen Tour-bedingten Pausen mit Abstand anhören konnte. Das wäre auch noch länger gegangen, denn irgendwann kommt man in einen Wahn und findet kein Ende mehr. Viele Leute brauchen Deadlines: Wenn du Gernot Bronsert von Modeselektor keine Deadline gibst, der wird nie eine Platte fertig kriegen. Bei mir war’s aber so, dass ich mir die dann irgendwann selbst gegeben habe. Es gibt so einen Euphorie-Moment, der stellt sich ein, wenn du merkst, dass die Songs tatsächlich ein Album geworden sind. Ich schiebe meine Skizzen immer in einer iTunes-Playliste umher. Dann hast du irgendwann zehn Skizzen, die zusammen Sinn machen, und du denkst: Uh das könnte eine Platte sein! Da gehst du zum ersten Mal richtig glücklich aus dem Studio nach Hause. Dann rufst du irgendwen an und sagst: Okay, können wir vielleicht einen Release-Termin für die Platte auskaspern? Der war dann aber natürlich immer noch zu früh.
So läuft das also bei dir: Du bastelt an dieser Playliste herum und irgendwann ergibt sich daraus ein Album?
Weil ich auch einfach nach wie vor ein totaler Album-Fan bin. Wenn ich nur Songs raushauen würde, fände ich es noch viel schwieriger, zu sagen, wann die fertig sind. Bei mir sind Songs erst im Album-Kontext fertig. Als ich die roughen Versionen der zehn LP5-Dinger hatte und die richtige Reihenfolge stand, bin ich nochmal an jeden Song gegangen und habe geguckt, ob die Parts an der richtigen Stelle und wie die Übergänge sind. Also auch das hat Einfluss auf die Songs selbst.
Wenn du so ein Album-Fan bist, gehen dir Spotify und Co wahrscheinlich ganz schön gegen den Strich?
Naja, es gibt ja auch Leute, die hören auf Spotify Alben durch. Nur dieses Playlisten-Ding ist nicht so meins. Ich finde es okay, wenn Leute das machen, whatever. Aber ich höre Musik anders. Ich habe Bock drauf, 45 Minuten in eine Welt einzutauchen und herauszufinden, wie der Künstler drauf war.
“Wenn ich mit Modeselektor im Studio sitze, kann ich auch nicht immer sagen: Ich finde das scheißE, was ihr da macht.”
Das mit den Parts und Übergängen erinnert daran, wie du der GROOVE gegenüber mal meintest, du bist ein perfektionistischer Kontroll-Freak und gehst ewig oft wieder an Tracks ran. Das hat sich also nicht verändert?
Toll, ab und zu an solche Aussagen erinnert zu werden. Also das hat sich ein bisschen verändert. Ich habe immer noch einen perfektionistischen Zwang, dass ich so lange am Album sitze, bis ich wirklich denke, das ist jetzt fertig. Aber der Kontroll-Freak ist mittlerweile nicht mehr so vordergründig. Ich kann jetzt sehr viel besser mit anderen Leuten zusammenarbeiten. Das ist natürlich auch ein Prozess, der sich durch Moderat wahnsinnig weiterentwickelt und beschleunigt hat. Wenn ich mit denen im Studio sitze, kann ich auch nicht immer sagen: Ich finde das scheiße, was ihr da macht. Dann brauche ich’s gar nicht erst zu machen. Das setzt ein gewisses Vertrauen und Respekt voraus. Ich habe ziemlich viele Leute für die neue Platte eingeladen und die einfach machen lassen. Auf diese Weise sind am Ende coole Sachen rausgekommen.
Also siehst du deine Mitstreiter mittlerweile eher als Inspirationsquelle ?
Ja, man zapft die halt ein bisschen an, das ist auch völlig okay. Ich hab’s eigentlich aus der anderen Perspektive gelernt: Ich habe angefangen, Filmmusik zu machen, und mein dritter Score war mit einem Regisseur, der sich dann auf einmal als ein totaler Kontroll-Freak herausgestellt hat. Da war ich auf einmal nur noch ein Dienstleister und musste andauernd genau das machen, was er sich vorgestellt hat. Das war für mich zum einen ein totaler Kackjob – wer hat da schon Bock drauf? Und zum anderen dachte ich: Alter, warum hast du überhaupt mich gefragt? Am Ende hätte das doch wirklich jeder machen können – oder viele andere. Der Regisseur hat die Chance einer Synergie zwischen seinen und meinen Ideen verschenkt. Im Umkehrschluss habe ich realisiert, dass das bei mir auch öfters mal zutrifft: Wenn ich jemandem viel zu doll erkläre, was er machen soll, verschwende ich sein Potential.
Du meintest zur neuen Platte: “Pathos ist verboten!” Wie wolltest du dich neu erfinden nach all den Jahren Moderat?
Naja, wenn du jetzt mit Modeselektor reden würdest, die würden auch sagen, dass du nach so einer intensiven Erfahrung – fünf Jahre Moderat – erstmal den größtmöglichen Kontrast willst. Ich kann ja keine Country-Platte machen, aber hatte da verschiedene Konzepte. Doch keines habe ich bis zum Ende durchgezogen. Einerseits, weil drei Jahre eine wahnsinnig lange Zeit sind. Da musst du schon sehr versessen darauf sein. Andererseits, weil du irgendwann merkst, dass das Quatsch ist. Du hast eine geile Idee und lässt ihr ihren Lauf, vielleicht wird es episch und dann lässt du’s auch zu: Fuck it. Es ist ja doof, mich im Studio permanent selbst zu zensieren. Dann verwerfe ich vielleicht Sachen, die Potential haben. Deswegen ist diese Phrase ‘Kein Pathos’ auch mit einem Sternchen zu versehen. Alles darf einmal passieren. Aber wenn ich es damit übertreibe, werde ich das vielleicht in ein paar Jahren bereuen.
Hast du dich im Studio einsam gefühlt nach der ganzen Zeit mit Moderat?
Meine Grundidee war, wieder eine ganz kleine, intime Platte zu machen, weil Moderat für mich das Projekt der großen Gesten auf den großen Bühnen geworden ist. Interessanterweise hatte ich dabei total viel Spaß. Ich habe auch nicht gewusst, dass das in diesem Maße in mir steckt. Seitdem wir diese großen Gesten bei Moderat ausformulieren konnten, habe ich bei Apparat viel weniger das Bedürfnis danach. Das wirkt sich dann relativ gesund auf den Studio-Alltag aus. Also zumindest hat das bei mir den Wunsch hervorgerufen, auch einfach mal Sachen klein zu lassen. Einfach mit nur drei oder vier Tönen zur gleichen Zeit eine coole Geschichte zu erzählen und nicht immer zwanzig Layer für einen interessanten Sound zu brauchen.
Die neuen Tracks haben Titel wie „Heroist” oder „Outlier”, du singst Sachen wie „I could have drowned last night” oder auf „Dawan” immer wieder „Too high, too high”. Singst du da über dich, übers Feiern und Hedonismus?
Jein. Das ist ein bisschen schwierig bei der Platte, weil die Lyrics genauso fragmentarisch wie die Musik entstanden sind. Also in dieser langen Zeit habe ich natürlich oft einen Song dekonstruiert und wieder mit einem anderen Part zusammengebaut. Da hingen natürlich auch Lyrics dran und das wurde dann immer abstrakter. Die Grundessenz ist schon selbstreferentieller Stuff. Wie schon immer sind das meistens kleine Momentaufnahmen aus meinem Erfahrungsschatz, die mir wichtig waren. Außerdem hilft mir ja noch Simon Brambell seit langer Zeit beim Texten. Insofern sind die Lyrics nicht unbedingt direkt mit einer Bedeutung versehen. Das finde ich aber gut, weil jeder pickt sich Phrasen raus und hat dann eine subjektive Erklärung für den Song. Eines meiner ersten Interviews war mit einem Typen aus der Filmwelt. Der hat meine Platte als Soundtrack zu Stanley Kubricks „Odyssee im Weltraum” gehört. Das war sehr schmeichelhaft und total schön, weil er das in seiner Welt ansiedelte, mit seinen Erfahrungen und Erinnerungen assoziierte. Ich finde Platz für Assoziationen bei Musik sowieso schön. Es gibt Musik, da passt das nicht, die muss ehrlich sein und eine Message haben. Aber das ist bei meiner Musik nicht unbedingt der Fall. Ich meine, die Stimme war ganz am Anfang sowieso nur ein Instrument und nach und nach kam dann mehr Message dazu.
“Ich bin nicht mehr der Typ, der sich jetzt auf Speed auf den Floor stellt und dann acht Stunden lang durchtanzt.”
Zurück zum Hedonismus: Gehst du denn selber noch feiern?
Mhh, das ist lustig: Wenn ich die Sehnsucht danach habe, nehme ich einfach DJ-Gigs an. Vor solchen Phasen sage ich immer: Naja, Clubmusik finde ich echt langweilig mittlerweile. Nachdem ich wieder an der verbotenen Frucht genascht habe, sage ich: Ja, man muss nur ein bisschen suchen und dann findet man den geilen Scheiß. Das letzte Mal habe ich gerade Bristol-Techno entdeckt und Livity Sound. Diese zerbrochenen Sachen, die du trotzdem auf einem großen Floor spielen kannst. Wenn, dann interessiert mich sowas nicht allzu Geradliniges, weil ich nicht mehr der Typ bin, der sich jetzt auf Speed auf den Floor stellt und dann acht Stunden lang durchtanzt. Ich brauche nicht nur eine körperliche Stimulation und da gibt’s auch in der Dance-Musik viel abseits davon. Das ist aber auch schon ein, zwei Jahre her. Da habe ich eine Menge DJ-Sets gespielt. Weil ich jetzt wieder in diesen wahnsinnigen Live-Kosmos eingetaucht bin, habe ich mich null mehr damit beschäftigt. Aber irgendwann kriege ich wieder einen Rappel und finde irgendwelche interessanten, neuen – was weiß ich – polnischen Labels.
Dass du offen für alle möglichen Musik-Strömungen bist, hört man ja auch im allerersten GROOVE-Podcast. Zum Track „Brandenburg”: Ist das ein Tribut an die Phase, wo du angefangen hast mit dem Raven?
Eher das Gegenteil: Brandenburg ist eine Hommage an das ungeliebte Umland von Berlin. Ich habe hier immer so eine Sehnsucht danach. Das ist der nächste, einfachste Exit. Da ist man draußen aus dem Stress und es ist sofort so leer. Zumindest, wenn du hier im Norden raus fährst, plötzlich stehst du im Wald. Das gibt’s nicht in jeder Großstadt und ist schon ziemlich abgefahren. Sowieso fühle ich mich mittlerweile in Berlin mehr zuhause und habe hier auch mehr Zeit verbracht als in meiner Heimat in Sachsen-Anhalt. Vor ein paar Jahren ist es mal umgekippt und ich habe realisiert: Wow, jetzt bin ich eigentlich ein Berliner. Nicht unbedingt ein Brandenburger. Das sind die von Modeselektor, die wollen’s nur nicht wissen. Aber das darf ich nicht mehr in Interviews sagen, da kriege ich immer Ärger.
Bei der letzten Nummer „In Gravitas“ kommt dieses Zitat: „Children point fingers, objects fall down, question mark lingers, reason dissected.” Das wird ganz eisig, roboterhaft vorgetragen und hinterlässt ein total beklemmendes Gefühl, finde ich. Wolltest du das so zum Abschluß des Albums?
Naja, auf der Platte sind ja nicht so viele Beats drauf und viele Songs sind ein bisschen heavy geworden. Am Ende der Produktionsphase ist der „In Gravitas” passiert. Das war fast ein Witz: Ah guck mal, hier gibt’s endlich mal einen Dance-Beat. Das fand ich ganz geil als letzten Track. Quasi als Wiedergutmachung nach dieser schweren Platte, dass man ein bisschen beschwingt rausgeht. Dass du jetzt aber das Gedicht genau gegenteilig empfindest, ist auch interessant. Das war dann wahrscheinlich die Intention von uns, dass man auch nicht zu beschwingt rausgeht (lacht). Die Lyrics sind von David Roeder, einem kanadischen Kumpel von uns. Da geht’s um ein Bild, wo ein Stalin-Denkmal in Russland abgerissen wurde, also mit einer Ära abzuschließen und deren Bilder zu eliminieren. Ich hab’s gemacht wie immer, wenn ich mit wem anders zusammenarbeite: Ich nehme nur ein Stück von den Lyrics und bau das immer weiter um. Aber sein Text war so lang, dass mein Kollege Philipp Thimm auf die Idee eines Spoken Word-Parts kam. David hat den dann auch eingesprochen, weil er so eine coole Stimme hat. Wir haben das oldschool mit meinem alten Sony Walkman aufgenommen. Dann wird das automatisch gleich so kaputt und auch ein bisschen langsamer, da kann man pitchen. Und dann war das das Ende der Platte, nochmal mit einer Message.
Du vereinst viele Gegensätze in deiner Musik. Die neue Platte wirkt nicht kitschig, aber emotional.
Das ist gut, wenn die nicht kitschig geworden ist. Denn das ist immer ein schmaler Grat und manchmal bin ich nicht auf der richtigen Seite geblieben. Mittlerweile kann ich das aber einigermaßen einschätzen. Früher war es auf jeden Fall schwieriger. Da habe ich das erst gemerkt, wenn der Song draußen war. Ich spiele ihn ein paar Mal live, lasse ihn ein bisschen wirken, bekomme mehr Abstand, dann denke ich: Nee, das war jetzt zu over the top. Insofern ist ein bisschen Erfahrung auch nicht schlecht.
In jedem Track verbindest du Ruhe und Bewegung, Ekstase und Melancholie. Sind das überhaupt Gegensätze oder gehören die auch immer zusammen? Kann es Melancholie ohne Ekstase geben?
Also es bedarf immer eines gewissen Kontrasts, damit man überhaupt merkt, dass sich was verändert. Und insofern: Natürlich kann es eigentlich keine Ruhe ohne Hektik geben. Bei Melancholie: Ich weiß nicht genau, ob es einen Gegensatz von Melancholie gibt. Euphorie ist das jetzt auch nicht unbedingt. Ich habe mich eine Weile mit Melancholie beschäftigt. Das ist ein Begriff, der hat sich ziemlich über die Jahrhunderte verändert. Das war früher eine Krankheit.
Melancholia.
Genau. Heutzutage wird das durchaus nicht mehr so negativ empfunden, sondern hat eine gewisse Sehnsucht und romantische Traurigkeit in sich. Da gibt’s aber auch extreme Unterschiede in der Wahrnehmung: Manche Leute hören eine Melodie als bitter-sweet, für manche ist die schon glücklich, für andere eher melancholisch und traurig. Aber anyway, ich glaube, Melancholie ist schon immer eine Grundessenz in meiner Musik gewesen. Das kommt aus meinem Verständnis für Harmonien, ist auch einfach eine Stimmung, die mir liegt. Als Mensch bin ich halt so. Wahrscheinlich sollte ich einfach echt happy Musik machen, dann hätte ich diesen Kontrast. Aber für mich ist das keine Intention, ich mache einfach. Das ist und war schon immer eine Möglichkeit, meine Angelegenheiten zu verarbeiten, weil ich selten mit Leuten darüber spreche. Musik ist meine Art und Weise, damit zu dealen.
Brauchst du denn besondere Momente, um so emotionale Musik zu machen, oder ist das daily business?
Mh, das ist echt schwer zu sagen, weil die Frage ist: Was war zuerst da, Ei oder Henne? Wenn ich schon emotional ins Studio gehe, wird das nicht unbedingt eine tolle Session. Aber wenn ich merke, ich bin da an irgendwas dran, komme ich sehr wohl in eine besonders intensive Stimmung. Das geht bis zu dem Punkt, dass ich danach regelrecht erschöpft bin. Weil das irgendwie aus mir raus muss und danach bin ich froh: Oh geil, ich hab’s geschafft! Und ich hör’s mir immer wieder an und denke: Wow, wie habe ich das geschafft? Das hängt durchaus zusammen und ist auch total wichtig. Also alleine schon dieser Belohnungs-Moment. Da schüttet man auch unglaubliche Endorphine aus. Deswegen mache ich ja auch Musik, um überhaupt erst in diese Stimmung zu kommen. Leider muss ich sagen, das passiert immer seltener, je länger ich das mache. Weil ich öfter das Gefühl habe, das schon alles erlebt und gemacht zu haben. Das kickt dann halt nicht mehr so leicht und ich komm nicht mehr so schnell in einen Emo-Film.
“Es ist ja nicht alles schlecht, was ich früher gemacht habe. Ich darf mich auch an diesem Schatz bedienen. Aber ich glaube, wenn ich’s übertreibe, ist das das Ende.”
Sucht du dir dann immer wieder neue Herausforderungen, anstatt den sicheren Pfad zu gehen?
Ich weiß gar nicht, ob ich das mit Absicht mache, aber ich habe immer die Sehnsucht nach Sachen, von denen ich überhaupt keine Ahnung habe. Wie zum Beispiel Jazz. Nicht, dass ich jetzt Jazz machen will. Aber mich interessieren spezielle Aspekte wie die Freiheit im Umgang mit Tonleitern und das andere Harmonieverständnis. Und ich bin wirklich nicht besonders bewandert in Sachen Musiktheorie und auch kein Naturtalent. Ich muss immer sehr viel probieren: Trial and error. So habe ich auch erstmal Frustrations-Erfolge. Natürlich gibt’s Teile auf der LP5, die sind sentimental rückwärtsgewandt zu früheren Sachen, wie das Sound-Design und kleine Frickeleien. Die Magie ist, das gut zu kombinieren. Es ist ja nicht alles schlecht, was ich früher gemacht habe. Ich darf mich auch an diesem Schatz bedienen. Aber ich glaube, wenn ich’s übertreibe, ist das das Ende.
Da hast du einen hohen Anspruch an dich selbst.
Naja, es ist auch oft genug frustrierend, aus dem Studio nach Hause zu gehen. Aber das ist halt so (lacht).
Hast du denn manchmal Lust, an deine Shitkatapult-Anfänge wie Multifunktionsebene zurückzukehren und wieder rotzigere Musik zu machen?
Eigentlich wollte ich das. Eines meiner Konzepte war, ein total elektronisches und verfrickeltes Album ohne jeglichen Gesang zu machen. Wenige Beats, eher eine Drone-ige Platte. Aber nach ein paar Wochen am Modularsystem hatte ich keinen Bock mehr. Denn ich bin immer nach Hause gegangen und habe gedacht: Was war das denn jetzt für ein Scheiß? Das passiert mir zwar oft, aber ich habe die Regel, diese Skizzen trotzdem in einen Ordner zu legen und erstmal nicht mehr anzuhören. Damit ich die nach zwei Wochen, bereinigt von allen schlechten Gefühlen, nochmal neutral bewerten kann. Das habe ich damit auch gemacht und trotzdem gedacht: So what? Dann habe ich angefangen, hier und da mal wieder eine Gitarre drüber zu spielen. So wurde es irgendwann wieder Apparat und dann sage ich ja nicht: Das darf ich jetzt nicht machen, ich verbiete mir jetzt Instrumente.
Naja, vielleicht machst du den Ordner in zwei Jahren auf und denkst dir: Ja okay, jetzt ist die Zeit dafür.
Passiert andauernd. Nichts ist für die Katz. Oder ich bring das mit ins Moderat-Studio, gebe es Gernot und Szary und guck mal, was passiert. Das ist auch interessant.
Nochmal zurück zum Punkt, du müsstest eigentlich total happy Musik produzieren. Versuchst du das manchmal aus Spaß?
Ehrlich gesagt, habe ich’s nie ernsthaft versucht. Ich probierte mal einen Nachmittag lang aus Spaß: Kann ich EDM machen? Und danach dachte ich: Mh nee, kann ich nicht, weil mir wird einfach schlecht.
Das wäre bestimmt witzig zu hören. Du performst die neue Platte jetzt auch wieder live mit einer Band. Wie muss man sich das vorstellen? Ich habe dich mal vor Ewigkeiten als Rocktruppe im Lido gesehen.
Das war aber wirklich vor Ewigkeiten. Naja, eine Platte, die man am Rechner zusammen gefrickelt hat, wieder auf eine Band zu verteilen, ist grundsätzlich immer problematisch. Weil’s erfahrungsgemäß viel zu viele Spuren sind für die Musiker. Deswegen hatte ich erstmal gar keinen Bock zu touren. Aber wir haben jetzt Proben angefangen und irgendwie funktioniert es doch, weil da viel Spielraum ist. Also wenn du einen Loop-basierten Song von vorne bis hinten in der Band durchspielst, ist das oft frustrierend, weil dann eine Person die ganze Zeit dasselbe spielt. Das ist auch eine Verschwendung von Kapazitäten, könnte auch ein Computer machen. Bei der Show jetzt geht es mehr um musikalische Ereignisse. Wie die passieren, kann man echt dem Musiker überlassen. Dass es jedes Mal ein bisschen anders ist, macht eine Show auch fürs Publikum spannend und ist das Potential einer Band. Deswegen habe ich jetzt auch auf einmal wieder Bock drauf. Und es hat überraschenderweise gut geklappt, die Songs auf fünf Leute zu verteilen. Es sind halt allerhand verschiedene Instrumente und dann muss man ab und zu mal wechseln, aber das geht gut. Da hat auch die Technik mitgeholfen, weil man einfach mehrere Sachen auf einem Keyboard liegen haben und dann noch mit Fußschaltern loopen kann. Das hätte vor fünfzehn Jahren wahrscheinlich noch nicht funktioniert oder wie lange das Lido jetzt her ist.
Im Jahr 2008 müsste das gewesen sein. Jetzt hast du unter anderem den Battles-Schlagzeuger John Stanier dabei?
Ja, wir wollten schon länger was zusammen machen und eigentlich sollte da noch viel mehr bei rauskommen. Ist es auch, das habe ich alles noch auf der Festplatte. Aber bei den neuen Songs habe ich am Ende einfach kein Schlagzeug mehr gehört. Das ist eben dieser Prozess der Reduktion: Erstmal hast du so einen krassen Epos vor dir, wo die ganzen Aufnahmen übereinander liegen – hier ein Orchester, da Schlagzeug, die Bläser und so weiter. Dann musst du dich entscheiden. Bei vielen Songs musst du Sachen rausschmeißen, die du eigentlich gut findest, weil du irgendwie alles cool findest. Und dann ist auch oft das Schlagzeug wieder gemutet worden. Bei den Liveproben konnte ich diese Parts wieder rauskramen. Da werden wahrscheinlich in zwei Jahren neue Songs draus gebaut.
Willst du denn ewig weitermachen mit dem Musikmachen…
Absolut.
… oder denkst du manchmal: Jetzt so langsam könnte ich auch mal ruhig machen?
Naja (lacht). Ich habe schon vor der LP5 gedacht, dass ich keine Platte mehr in mir habe. Also ich muss mich jedes Mal unglaublich anstrengen, wieder was zu finden, was mich kickt. Ich würde das nicht machen, wenn ich währenddessen nicht das Gefühl habe, dass es was Cooles wäre, was ich brauche und am Ende vielleicht auch die Welt braucht. Das will ich mir eigentlich nicht anmaßen, aber dass es halt relevant ist. Wenn man jetzt was macht, das es eins zu eins in der Art schon gibt, dann ist es einfach nicht relevant. In der Dance-Musik ist das gerade noch akzeptabel. Das ist so ein wahnsinnig schnelllebiger Markt und die Leute brauchen einfach wieder Stoff. Aber bei Alben: Whatever. Deswegen ist es jedes Mal ein Kampf und immer schwieriger, an diesen Punkt zu kommen, wo ich merke: Das hat eine Substanz, das will ich jetzt ausformulieren und habe sogar noch Spaß dabei. Ich weiß nicht, wie oft ich das noch hinkriege. Es wird wahrscheinlich immer länger dauern. Außerdem habe ich ja noch andere Spielplätze: Filmmusik oder dann mache ich wieder DJ-Shows oder Moderat. Das ist toll, dass ich von dieser Abwechslung Gebrauch machen kann, wenn mir eins zu viel wird. Das geht schon noch eine Weile.
Wenn du dich weiterhin kicken kannst, dann bis zum Ende?
Man muss auch Sachen sehen und hören, die einen inspirieren, mit offenen Augen und Ohren durchs Leben gehen. Das ist auch das Problem, weil erfahrungsgemäß ist es bei Leuten oft so, dass die irgendwann Familien haben und nicht mehr so oft raus gehen. Dann sinkt die Bereitschaft, Sachen aufzusaugen. Das darf nicht passieren. Wenn ich auf Tour bin, gehe ich in Museen oder hole mir anders Input. Davon zehre ich im Nachhinein. Ich glaube, das ist ganz wichtig.
Was war denn deine letzte Inspiration?
Naja, also das sind nicht unbedingt Sachen, die ich direkt umsetze. Aktuell beschäftige ich mich stark mit Filmen. Gerade habe ich mir einen japanischen Regisseur namens Yasujirō Ozu erschlossen. Das kommt fast ein bisschen prätentiös daher. Der macht sehr langsame Filme, die aber ziemlich ästhetisch sind und ganz simpel auf einer minimalistischen Geschichte basieren. Den habe ich nur wegen einer alten Wim Wenders-Dokumentation gefunden. Ozu war seine große Inspiration. Total süß, wie er eine Hommage an seinen Lieblings-Director gemacht hat. Man muss Wenders’ Filme jetzt nicht unbedingt mögen, aber er macht wahnsinnig tolle Dokus. „Das Salz der Erde” über den brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado ist auch toll.
Bist du ein Doku-Fan?
Ja, also das kommt auch viel durch meine Frau. Mit der sitze ich da und die sagt dann: Okay, wir gucken jetzt nicht Netflix, sondern was, wovon wir langfristig was haben. Aber Inspiration kann ja überall herkommen. Eine unglaubliche Inspiration war auch Talk Talk und Mark Hollis, der ja gerade erst gestorben ist. Ihr letztes Album Spirit Of Eden ist eine unglaubliche Platte. Die habe ich ziemlich spät entdeckt, ist jetzt aber auch wieder acht Jahre her. Keith Flint war jetzt nicht so eine dolle Inspiration. Das fragen mich die Leute nämlich immer. Weil ich Elektroniker bin, der hat bestimmt Prodigy gehört.
“Wenn das Licht erstmal aus ist und keine Ahnung was knallt oder die Musik knallt für dich schon doll genug, bist du in deiner Blase.”
Hast du eine Vision, wie sich das Feierngehen in der Zukunft verändern wird?
Ach du Scheiße. Sag du mir das mal, gehst du noch viel raus? Ich frage mich die ganze Zeit, ob’s am Rande von Berlin, wo alles noch billig ist, ein Paralleluniversum gibt und da so Leute rumackern wie wir vor zwanzig Jahren. Aber ich fühle mich echt alt dabei, wenn ich darüber palaver, wie die Clubszene sich professionalisiert hat und die Romantik verloren gegangen ist. Whatever. Ich meine, am Ende ist es den Leuten, die jetzt in die Clubs gehen, auch völlig egal. Denn einerseits haben die keinen direkten Vergleich und andererseits: Wenn das Licht erstmal aus ist und keine Ahnung was knallt oder die Musik knallt für dich schon doll genug, bist du in deiner Blase. Das wird das gleiche Gefühl sein, das ich früher hatte. Auch wenn die Rahmenbedingungen anders sind.
Also ich meinte jetzt auch eher sowas in die Richtung wie: Übernehmen bald Roboter das Auflegen?
Also ich persönlich habe unglaublich Angst vor Cloud-DJing. Wenn du irgendwann in den Clubs wirklich Zugriff auf 80 Millionen Tracks hast: Hölle, wer braucht das denn? Bei meinen verdammten USB-Sticks ist es ja schon schwer, den Überblick zu behalten. Unglaublich, mit tausenden von Songs unterwegs zu sein. Da bin ich ziemlich sentimental, was den Purismus eines DJ-Koffers und diese beschränkte Auswahl angeht. Aber ich glaube, das wird in näherer Zukunft der nächste heiße Scheiß.
Die offensichtliche Frage zum Abschluss: Wird’s denn mit Moderat weitergehen oder ist das Projekt tatsächlich vorbei?
Nee, wir haben auch nie gesagt, dass es total vorbei ist. Das wäre ja doof. Wir sind ja nicht abgenervt auseinander gegangen, sondern haben uns auf dem Höhepunkt dieser ganzen Moderat-Erfahrung auf einer Welle der Euphorie getrennt. Das hat so gut funktioniert, dass danach alle einen Kater hatten und erstmal zwei Monate zum Klarkommen gebraucht haben. Das ist natürlich die bestmögliche Voraussetzung, um sich in drei, vier oder was weiß ich wie vielen Jahren wieder zu treffen und zu sagen: Ey geil, wir wollen da jetzt weitermachen. Natürlich passiert viel in der Zwischenzeit. Gerade, weil wir so wahnsinnig gegensätzliche Sachen machen. Das wird bestimmt toll, wenn sich jeder mit seinem Päckchen ins Studio begibt und wir gucken, wie wir das connecten. Das war nämlich bei der zweiten Platte II so. Deswegen klang die dann auch so anders, verglichen mit der ersten. Weil es halt wahnsinnig viele separate Einflüsse gab, die dann wieder moderat geworden sind (lacht).