Stream: Salaam For Yemen – Maiya Hershey – Glasshouse
Kein Wunder, dass nicht wenige jüngere Veröffentlichungen in diesem Feld versuchen, solche gefühlten Traditionen umzuwerfen oder aufzubrechen und gegen die Ermüdung anspielen. Und zwar Anspielen im Wortsinn. Auf dem multimedialen Kunstprojekt Drawing in Sound (Klanggold) von Andreas Usenbenz & Christoph Lammers ist jedes kleine Sounddetail sorgfältig geplant und in einer einzigen langen Improvisations-Session ein- und ausgespielt. Und doch funktioniert es bestens als puristischer Ambient. Das gilt ähnlich für Monty Adkins epischen Soundtrack zu Andy Warhols achtstündigem One-Shot Empire. Music For Empire (Line/12K) wurde von ihm quasi live am Modularsynthesizer improvisiert und auf fünfzig Minuten kondensiert. Adkins klingt hier nach einem, der sich seine eigenen Klänge sehr genau anhört, bevor er entscheidet, wie es weitergeht. Und diese behutsame wohlüberlegte Entwicklung macht die wenigen Elemente, die sich in einem seeehr langsamen Prozess ausformen, zu kleinen Preziosen. Hier sitzt jedes Detail, hier stimmt einfach alles. Das Adkins ebenso lässig ein klassischeres Verständnis von (Pop-)Ambient bespielen kann, zeigt sein zeitgleich erschienenes Album Still Juniper Snow (Huddersfield Contemporary). Darauf unterzog er vier Stücke für Streichquartett einem akribischen digitalen Alterungs- und Verwischungsprozess (in Analogie zur Maltechnik Gerhard Richters), der die entfernt keltisch-folkig anmutenden akustischen Originale zu einer mürbe perlmutten schimmernde statische Klangfläche transformierte.
Stream: Monty Adkins – Music For Empire
Die menschliche Stimme, ob sie nun singt, summt oder spricht, Wort- oder Klang-Inhalte vermittelt, mag in Ambient und Verwandtem noch immer als Dealbreaker gelten. Unwillkommen muss sie dennoch nicht sein. Denn es gibt eine lange Tradition des nicht-songorientierten Einsatzes menschlicher Stimmen, vom spirituellen Mantra über schamanischen Trance, zu Scat im Jazz und Vocal-Drones in der Minimal Music. Die Klangkünstlerin Stephanie Pan aus Den Haag verbindet in ihrem Debüt Have Robot Dog, Will Travel (Arteksound) Elemente aus all den oben genannten Zusammenhängen in einem topaktuellen Sounddesign von Improv-Elektronik und Glitch. Ihre Stimme ist das Hauptinstrument, das von lautmalerischen Stimmimprovisationen à la Sidsel Endresen bis zu Dead-Can-Dance-artigem gotischen Drone-Pop und IDM-Gehoppel keine Kontakte scheut und keine Anknüpfpunkte unbespielt lässt. Ein tolles Debüt, das die akademischen „Neue Musik“-Zusammenhänge von denen PAN herkommt respektiert, aber dann doch beeindruckend weit hinter sich lässt. Standing Waves, das Quasi-Electronica-Pop Projekt des Bristoler Klassik-Violinisten Roger Huckle mit dem Choristen und Komponisten Marcus Davidson verquickt brit-folkiges psychedelisches Songwriting mit indischen Tabla-Rhythmen, Sitar-Drones, Naturgeräuschen und virtuosem wortlosem Gesang zwischen spirituellem Jazz, Schamanen-Chant und (ja!) Enya. The Wave (Standing Waves, VÖ 15. Februar), das späte Debüt der seit Mitte der Nullerjahre aktiven Kombo, beweist (hoffentlich), dass sich Qualität früher oder später durchsetzen kann ohne auf fahrende Trendzüge aufspringen zu müssen. Boom und Flaute gibt es beim (Wieder-)Entdecken bestimmter Stile selbstverständlich trotzdem. Für akustische World-Music-Electronica in Nachfolge etwa des Penguin Café Orchestra der frühen achtziger Jahre, einer Ahnenkette der die Standing Waves ganz klar folgen, sieht es zum Beispiel gerade richtig gut aus.
Stream: Standing Waves – Tabla Dance
Und wenn es dunkel wird im Kopf übernimmt der Körper. Elektrische Finsternis und schwermütige Poetik sind wie füreinander geschaffen. Die in vielfacher Hinsicht übergroße Kompilation In Death’s Dream Kingdom (Houndstooth) nimmt T. S. Eliots zivilisationsmüdes Langgedicht „The Hollow Men“ von 1925 als Inspiration, die nachtschwarzen Schattenwelten der aktuellen Elektronik in allen Graustufen trübe auszuleuchten. Wohlweislich zitiert der Titel der Kompilation nicht den berühmten Schlusssatz des Poems, welcher der Apokalypse die Luft ablässt – „This is the way the world ends, not with a bang but a whimper“ -, sondern den psychologischen Trip durch eines der drei Königreiche des Todes. Diese Reise zwischen Horror, Depression und Katharsis ist von den meisten beteiligten Künstler*innen angemessen düster im Limbo schwebend vorwiegend instrumental umgesetzt. Die Qualität der 26 meist überlangen Tracks ist dabei durchwegs hoch und führt von körnigen Drone und Dark Ambient (z.B. von Otto Lindholm, Sophia Loizou und Ian William Craig) zu dekonstruiert ruinöser Tanzmusik (Spatial, Kangding Ray und Gazelle Twin) und wieder zurück. Einige Beiträge, wie etwa die von Pan Daijing oder Peder Mannerfelt, sind sogar so mit das Beste, was sie jemals veröffentlicht haben. In dieser Hinsicht ist In Death’s Dream Kingdom eine würdige aktuelle Nachfolge der einflussreichen Polyelektronik-Kompilationen Mono No Aware (PAN, 2017) und I Could Go Anywhere But Again I Go With You (Posh Isolation, 2018).