Woran Bergling genau gestorben ist, steht zu diesem Zeitpunkt noch nicht fest und ist vermutlich auch unerheblich. Die Geschichte des Produzenten, der mit 19 Jahren erstmals auf sich aufmerksam machte und in Windeseile zum Aushängeschild eines Millionengeschäfts wurde, ist allerdings symptomatisch in einer Zeit, in welcher sich der DJ-Beruf laufend weiter professionalisiert. Die NutznießerInnen dieser jüngsten Entwicklungen sind vor allem die zahlreichen Mittelsmenschen – all die ClubbetreiberInnen, PromoterInnen und BookerInnen dieser Welt, denen sich im szeneweiten Aufschwung der letzten Jahre zunehmend mehr Einnahmequellen erschlossen. Einnahmequellen, das heißt in diesem Fall DJs, genauer: Menschen.

Die Figur des DJs ist mittlerweile kaum noch von dem zu unterscheiden, was in der ökonomischen und politischen Theorie als “human capital” bezeichnet wird. “Als human capital ist das Subjekt zugleich für sich selbst zuständig, für sich selbst verantwortlich und doch ein instrumentalisierbares und potenziell entbehrliches Element des Ganzen”, schreibt etwa die Wissenschaftlerin Wendy Brown in ihrem Buch Undoing the Demos: Neoliberalism’s Stealth Revolution. (Übersetzung K.C.) Das gilt ebenso für DJs, die nach zwei Stunden Schlaf und vielleicht einem Drink zuviel in der vorherigen Nacht ihre UDG zum Taxi schleppen, ins Flugzeug taumeln und zur nächsten namenlosen Stadt reisen, um dort wieder zwei bis höchstens vier Stunden lang Vollgas zu geben – gerade weil jemand anderes diesen Job genauso gut erledigen könnte. Denn DJs stehen jederzeit miteinander in Konkurrenz, ob nun im EDM-Zirkus oder der Techno-Szene, und müssen sich deshalb schonungslos selbst auf Kosten ihrer Gesundheit und ihres geistigen Wohlbefindens ausbeuten, um am Ball zu bleiben. Das lässt sich bestimmt auch als Freiheit auslegen und -leben, ist im Kern aber nichts anderes als ein kapitalistischer Sachzwang, der vor unseren Augen zum unüberwindbaren Paradigma gefriert.

Techno-Kapitalismus: So läuft der Tanz ums große Geld

Bergling war neun Jahre lang einer der größten Stars der weltweiten Dance-Szene und nicht wenige sahen in ihm einen personifizierten Sündenbock für den Ausverkauf von Underground-Werten. Mit seinem Tod allerdings und in Anbetracht seiner persönlichen Geschichte jedoch wird umso dringlicher deutlich, dass er im selben Boot saß wie die zahlreichen DJs, zu deren Sets wir Wochenende für Wochenende in krediblen Clubs tanzen. Denn die leben ein sehr ähnliches Leben, das von einer Mischung aus rauschhafter Entgrenzung und beinhartem Jet Set geprägt ist. Sicherlich: Viele von ihnen mögen das lieben. Wer es aber nicht tut, kann das nicht ohne Weiteres sagen – es könnte sich schließlich negativ auf die nächsten Bookings auswirken.

Als Publikum tragen wir eine Verantwortung, die uns nur selten bewusst gemacht wird. Denn wer sich erschöpft von einem Gig zum nächsten schleppt, bestimmen immer noch wir als KonsumentInnen, die implizit die Nachfrage und damit den Preis des jetsettenden Humankapitals regeln. Der Tod von Avicii geht uns also auch in unserer komfortablen Underground-Bubble etwas an. Denn die Strukturen darin gleichen sich immer weiter denen des Mainstreams an. Darunter leiden bereits DJs, die mit Berufskrankheiten wie Tinnitus oder Depressionen zu kämpfen haben und sich den Sachzwängen dennoch nicht entziehen können, ohne dabei ihre finanzielle Absicherung zu riskieren. Es bleibt noch abzusehen, welche Folgen das in den nächsten Jahren haben wird. Dem entgegenzuwirken sollte aber unser aller Anliegen sein, und sei es aus bloßer Solidarität mit den Menschen, die unser Leben Nacht für Nacht bereichern.

Es wäre beispielsweise schon viel damit getan, den Fokus wieder auf lokale Acts zu legen und statt des nächsten Festivals doch lieber drei Mal in den Club zwei Straßen weiter zu gehen. Das würde nur wenigen international tourenden DJs die Existenzgrundlage entziehen, sondern vielmehr für mehr Ausgeglichenheit im DJ-Business sorgen. Denn die zunehmende Monopolisierung der Szene durch einige wenige Namen lässt sich allein aus den Headliner-Slots des diesjährigen Festival-Zirkus herauslesen und trägt zu eben jenen geschilderten Prozessen bei. Wenn unsere Szene also wirklich für die egalitären Grundsätze einstehen sollte, die sie sich so gerne auf die Fahne schreibt, sollte mit beidem Schluss sein: Der zunehmend breiter aufklaffenden Schere zwischen oberem Underground und dem prekärem Rest sowie den teilweise verheerenden wirtschaftlichen, gesundheitlichen und psychischen Folgen, die sich daraus ergeben.

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Kristoffer Cornils war zwischen Herbst 2015 und Ende 2018 Online-Redakteur der GROOVE. Er betreut den wöchentlichen GROOVE Podcast sowie den monatlichen GROOVE Resident Podcast und schreibt die Kolumne konkrit.