burger
burger
burger

Das Patriarchat hat Gästeliste – Teil II: Kämpfe

- Advertisement -
- Advertisement -

„Ich dachte, ich habe den Moment, in dem man mich ernstnimmt und mit Respekt behandelt, verpasst. Hab’ ich an dem Tag geschlafen?“, sagt Judith van Waterkant. (Illustration: Dominika Huber)

Eigentlich will Judith van Waterkant einfach nur auflegen. Doch in ihrem Arbeitsalltag als DJ erlebt sie ständig sexistische Diskriminierung. Judith will über die patriarchalen Missstände aufklären und wird zur unfreiwilligen Aktivistin – mit schwerwiegenden Konsequenzen.

GROOVE-Autorin Lea Schröder ist wie Judith van Waterkant Mitglied des Leipziger Netzwerks fem*vak und hat Judith im Winter bei Online-Plena kennengelernt. Im Frühling haben sie sich zu einem sechsstündigen Realtalk über Sexismus in der Clubszene getroffen. Das Resultat ist unsere Reihe von drei Artikeln, die im Wochenrhythmus erscheinen.

Im zweiten Teil der Reihe gibt Judith einen Einblick in ihre Erfahrungen als Aktivistin. Sie beschreibt, wie belastend und schmerzhaft ihre Kämpfe gegen die patriarchalen Zustände in der Clubszene sind, welche Konsequenzen sie für sie haben, wie der Monis-Rache-Fall ihr Leben und ihre Arbeit beeinflusst und erklärt außerdem, wie ‚Quotenfrau’-Bookings und sexualisierte Gewalt zusammenhängen.

__________________________________________________________________________________

Triggerwarnung: In diesem Teil der Reihe werden Erfahrungen und Bewältigung von digitaler Gewalt und sexualisierter Gewalt – insbesondere im Monis-Rache-Fall – thematisiert und anhand kurzer Beispiele vertieft.

__________________________________________________________________________________

Egal, ob im Klassenzimmer oder im Club – die unzähligen Momente, in denen Judith wegen ihres Geschlechts abgewertet, benachteiligt, erniedrigt wird, ziehen sich wie ein roter Faden durch ihre Biografie. Doch sie glaubt, all das sei ihr eigenes Verschulden. „Ich habe das individuell auf mich bezogen: Weil ich das nicht kann, weil ich schlecht bin, wird mir zurückgemeldet, dass ich da nicht hingehöre. Ich hab lange gebraucht, um diese strukturellen Muster zu erkennen und zu checken, dass das kollektiv ist, ein gesellschaftliches Ding, wo wir alle drinstecken. Als ich das begriffen hab’, hat mir das richtig weh getan.”

Diesen schmerzhaften Moment der Erkenntnis erlebt sie im Frühjahr 2019, auf einer Erfolgswelle ihrer DJ-Karriere. „Als ich angefangen hab’, elektronische Musik aufzulegen, wurde ich überhaupt nicht ernstgenommen – ich dachte, weil ich jetzt erst anfange, vor Publikum zu spielen. Dann hatte ich die ersten Gigs, wo Leute wirklich Eintritt bezahlen und ich auf einem Line-Up stehe. Wenn man mich da nicht so ernstgenommen hat, die Artist-Care mich vergessen hat oder von oben herab mit mir umgegangen ist, dachte ich, das hängt damit zusammen, dass ich noch unbekannt bin und nicht so erfolgreich.” Für Judith ist das ein Ansporn, besser zu werden. Doch egal, wie hart sie arbeitet, wie gut sie wird – sie wartet weiter vergeblich darauf, von Männern und Frauen in ihrem Arbeitsalltag respektiert zu werden.

„Dann hab’ ich gemerkt, dass den Leuten gefällt, was ich mache – ich werde für Sets gelobt, bei Soundcloud folgen mir immer mehr. Ich dachte, irgendwann kommt der Punkt, wo ich erfolgreich bin und die Leute mich ernstnehmen. Darauf habe ich mich richtig gefreut.”

„Ich hab mich in diesem patriarchalen System erkannt” 

Stattdessen kommt der Punkt, an dem Crew-Kolleg*innen und andere DJs behaupten, Judiths bundesweiten und internationalen Bookings für Clubs und Festivals hätten nichts mit ihren Fähigkeiten zu tun – sie sei nur erfolgreiche DJ, weil man jetzt Frauen buchen müsse. Außerdem sei ihr Genre beliebt, sie bediene den Mainstream. Das von Menschen zu hören, die sie für ihre Freund*innen gehalten hatte, tut ihr verdammt weh. „Ich dachte, ich habe den Moment, in dem man mich ernstnimmt und mit Respekt behandelt, verpasst. Hab’ ich an dem Tag geschlafen? Es muss doch wenigstens mal einen Zeitraum geben, in dem man mir zugesteht, eine Künstlerin zu sein, die man ernstnimmt.”


„Dann habe ich geheult. Weil mir klar war, dass ich diesen Tag, in dieser Gesellschaft, in dieser Szene, wie wir gerade miteinander umgehen, nicht erleben werde – da kann ich mich anstrengen, wie ich will.”


Weder als Newcomerin noch als lokale Künstlerin noch als DJ mit internationalen Gigs bekommt Judith von Booker*innen, Clubbetreiber*innen, Crewmitgliedern, anderen DJs und Gäst*innen den Respekt, den diese gegenüber ihren männlichen Kollegen zeigen – geschweige denn die gleiche Gage. Schließlich realisiert Judith: Das Problem kann nicht bei ihr liegen. „Ich hab’ in den Spiegel geguckt und mich in diesem patriarchalen System erkannt. Dann habe ich geheult. Weil mir klar war, dass ich diesen Tag, in dieser Gesellschaft, in dieser Szene, wie wir gerade miteinander umgehen, nicht erleben werde – da kann ich mich anstrengen, wie ich will. Das fand ich krass. Und da wurde mir klar, dass das ein strukturelles Problem ist.”

Es ist dieser Moment, der Wut in ihr weckt. Wut gegen das patriarchale System, das es ihr und anderen Frauen, Lesben, inter, nicht-binären, trans und agender Menschen (FLINTA*) so schwer macht, ihrer Leidenschaft nachzugehen und einfach nur aufzulegen. Es ist dieser Moment, in dem ihr klar wird, dass sie nicht schweigen kann. „Entweder, du spielst dieses unfaire Spiel mit, du findest dich damit ab und nimmst die Rolle, die dir zugestanden wird ein – aber es wird niemals die Rolle sein, die ein Mann in dieser Szene innehat. Oder du lässt es bleiben und hörst auf, weil du es nicht aushältst. Oder du machst es transparent und sprichst es an. Für diese Variante hab ich mich entschieden.”

Judith van Waterkant (Foot: joeZe)

„Ich hab nicht angefangen aufzulegen, damit ich am Ende viel quatsche”

Öffentliche Aufklärungsarbeit – zum Beispiel durch Vorträge oder Podiumsdiskussionen – macht Judith schon seit ungefähr sieben Jahren. Anfangs geht es ihr vor allem um die Interessen der Clubkultur, um Antifaschismus und Antikapitalismus. Mit Begriffen wie Feminismus, Sexismus, Patriarchat kann sie noch nicht allzu viel anfangen. Als sie entscheidet, sich aktiv für die Gleichstellung von FLINTA* in der Clubszene einzusetzen, vernetzt sie sich in feministischen Kollektiven, tauscht sich in Netzwerken über Erfahrungen aus, diskutiert, liest Artikel, hört Podcasts, bildet sich weiter. Stück für Stück versteht sie, wie das System Patriarchat funktioniert, wie es mit anderen Unterdrückungssystemen zusammenhängt und wie es sich auf den Alltag der Menschen unserer Gesellschaft auswirkt.

Um ihr Wissen zu teilen, beginnt Judith vor ungefähr drei Jahren, über ihre Social-Media-Kanäle auf ihre Diskriminierungserfahrungen aufmerksam zu machen, zu erklären, was sie ihrer Einschätzung nach über die Clubszene und deren patriarchale Strukturen aussagen und was getan werden könnte, um diese Missstände zu überwinden. Erste Anfragen für Vorträge und Podiumsdiskussionen zum Thema kommen, sie nimmt an.

Judith will die Szene dazu motivieren, sich individuell und kollektiv mit Sexismus auseinanderzusetzen. Als sie zum ersten Mal als Feministin bezeichnet wird, ist sie allerdings etwas erschrocken. „In allererster Linie wollte ich ja Musik machen. Dann bin ich zu dieser Feministin, dieser Aktivistin geworden. Weil ich das Gefühl hatte, ich hab’ keine andere Wahl.” Sie ist reingeschlittert in das Aktivistinnensein, sagt sie. „Ich hab’ nicht angefangen aufzulegen, damit ich am Ende viel quatsche. Ich wollte, dass ich mixe und DJ bin und die Leute zum Tanzen bringe. Aber ich hab’ gemerkt, dass es mir schwerfällt, nichts zu sagen. Ich kann das nicht ignorieren.”

Unfreiwilliger Aktivismus: „Mir ist meine Zeit dafür auch zu schade”

Judith beschreibt sich als lebensbejahende, positive Person. Ständig auf Probleme aufmerksam zu machen, fällt ihr nicht leicht. „Ich bin dann selber in einer negativen Mood. Und ich kotze mich dann selber an, dass ich sozusagen in dieser Mecker-Laune bin und mich beschweren muss, weil das lieb Einladen nicht klappt.” Über dieses Gespräch sagt sie: „Ich finde es doof, dass ich so viel Negatives erzählen muss. Aber das müssen wir machen, um darauf aufmerksam zu machen.”

Die Frage, ob die Beschreibung ‚unfreiwillige Aktivistin’ auf sie zutreffe, bejaht sie entschieden. „Das finde ich auch spannend: Was dieses Thema angeht, sind cis Männer [Männer, die sich mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde, d.Red.] freiwillig Aktivisten. Die können sich das selbst aussuchen – es ist eine Freizeitentscheidung, ob ich mich für diese Sache, die mehr als die Hälfte der Menschheit betrifft, stark mache oder nicht.” Ein DJ-Kollege sagte ihr einmal, ihr Engagement neben ihrer eigentlichen Arbeit sei beeindruckend – ihm sei seine Zeit dafür zu schade. „Er ist ja auch nicht betroffen. Mir ist meine Zeit dafür auch zu schade, ehrlich gesagt.”

Und es ist viel Zeit, die ihre aktivistische Arbeit vereinnahmt. „Ich schlafe damit ein und wache damit auf. Es arbeitet die ganze Zeit in mir. Dagegen kann ich gar nix machen. Aber so geht es mir allgemein mit Ungerechtigkeiten.” Recherchieren, Posts schreiben, Nachrichten beantworten, sich rechtfertigen, erklären, supporten – wie viele Stunden gehen an einem Tag für diese Aufklärungs- und Care-Arbeit drauf? „Ohne Scheiß, es ist wirklich viel. Ohne Corona wäre es wegen der Lohnarbeit wohl weniger. Aber aktuell beschäftige ich mich bestimmt vier Stunden am Tag damit. Ich habe eine halbe Stelle unbezahlter Bildungsarbeit, mindestens.”

Unbezahlte Arbeit: ‚Wir dachten, dir wäre das Thema wichtig’

Auch für ihre Workshops und Vorträge wird Judith in der Regel nicht bezahlt – nur zweimal bekommt sie eine Aufwandsentschädigung, die sie vor allem für ihre Fahrtkosten und Verpflegung ausgeben muss. Als sie nach einem Honorar fragt, kommt die Antwort: ‚Wir dachten, dir wäre das Thema wichtig.’ Diese Aussage transportiert im Grunde die zynische Botschaft: ‚Du kannst doch dankbar dafür sein, dass du bei uns über Sexismus aufklären darfst und dich so für deine und die Rechte anderer FLINTA* einsetzen kannst.’


„Mir tut es richtig weh, dass ich auf einem Festival einen Vortrag halte über Sexismus, Gender Pay Gap und bitte bucht mehr Frauen, und neben mir auf der Bühne spielen zehn Typen und eine Frau.”


Selbst wenn der Subtext der Aussage ausgeklammert wird, bleibt das Gesagte problematisch: Offensichtlich ist Judith das Thema wichtig. Nichtsdestotrotz ist es Arbeit, einen Input auszuarbeiten. Arbeit, die es wie jede andere Arbeit im Kapitalismus verdient, angemessen bezahlt zu werden. Wer argumentiert, Sexismus sichtbar machen zu dürfen sei doch eigentlich Lohn genug, vertritt offenbar die sexistische Annahme, Care-Arbeit sei die natürliche Aufgabe von als Frauen gelesenen Menschen, die diese mit größter Hingabe und Dankbarkeit ausführen – selbstverständlich ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Diese Annahme trägt übrigens auch dazu bei, dass Care-Berufe wie Erzieher*in oder Pflegekraft im Vergleich zu vielen anderen Berufsgruppen unterirdisch bezahlt werden.

Im Fall von Judiths Bildungsarbeit führt das auch mal zu paradoxen Situationen: „Mir tut es richtig weh, dass ich auf einem Festival einen Vortrag halte über Sexismus, Gender Pay Gap und bitte bucht mehr Frauen, und neben mir auf der Bühne spielen zehn Typen und eine Frau.” Und die Frau, die den Vortrag zum Thema hält, bekommt dafür keinen Cent. 

Die Zeit, die Judith für das Vorbereiten von Vorträgen, die Konzeption von Workshops, das Schreiben ihrer Texte, die Auseinandersetzung mit den Missständen in der Clubszene benötigt, fehlt ihr an anderer Stelle – zum Beispiel für das, was sie eigentlich will: Auflegen. „Ich könnte mich viel mehr aufs Musikmachen konzentrieren, wenn ich nicht diese unfreiwillige Aktivistin wäre. Ich glaube, ich wäre dann auch schon ein ganzes Stück weiter. Zum Beispiel hatte ich im März gar keine Zeit, Musik zu diggen. Da war der feministische Kampftag, der Equal Pay Day, wir haben uns die ganze Zeit getroffen und ausgetauscht. Gedanklich war ich noch auf der ‚My Body is still not your Porn’-Demo, das hat mich so krass eingehüllt.” 

Nicht nur die unbezahlte Arbeit kostet Judith viel Zeit und Kraft und lenkt sie von ihrer eigentlichen Arbeit ab. Es sind auch die zahlreichen Versuche, sie einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen. Denn in Konsequenz ihres Engagements muss Judith sich Hass und digitaler Gewalt entgegenstellen.

Der „Bestrafungs-Loop” und sein Auslöser 

Als Judith eine Spirale des Hasses schildert, die sie „Bestrafungs-Loop” nennt, verändert sich ihre Stimmung merklich. Die sprudelnde, laut lachende und wild gestikulierende Judith von eben ist einer ernsten, nachdenklichen, ruhigeren Judith gewichen. Sie erklärt, wie sie vor fast zwei Jahren in den „Bestrafungs-Loop” geraten ist, dem sie bis heute nicht entkommen konnte.

Ein Booker, Veranstalter und DJ – der Judith schon mehrmals buchen wollte – veröffentlicht einen Post, in dem er prominenten weiblichen DJs und Newcomerinnen vorwirft, sie würden durch ihre Social-Media-Präsenz einen angeblichen ‚Techno-Ausverkauf’ voranbringen, bei dem Musik kaum noch eine Bedeutung habe. Der Post polarisiert: Während die einen dem Booker in der Kommentarspalte virtuell applaudieren und seiner These zusprechen, kritisieren andere, dass er nur weibliche DJs mit ‚Techno-Ausverkauf’ assoziiert.

Auch Judith stört sich daran: „Ich finde es spannend, wie weiblichen Playern vorgeworfen wird, dass sie das kapitalistische Spiel spielen. Davor haben auch schon Typen damit einen Haufen Schotter gemacht. Aber jetzt erst fällt’s auf, weil Frauen das machen.” Sie bittet den Booker in einem Kommentar unter dem Post, sie aufzuklären, weshalb er offenbar nur von Frauen genervt sei und ob besagter ‚Techno-Ausverkauf’ seiner Ansicht nach weiblich sei.

Digitale Gewalt sexistischer Männer-Mobs 

„Dann geht dieser Loop los, und du bekommst die ersten privaten Nachrichten.” Jemand schreibt ihr, sie sei ‚hysterisch’ und überempfindlich. Ein anderer schreibt, sie würde mit ihrem Verhalten die Szene spalten. „Ich hab’ mir am Anfang noch die Mühe gemacht und auf Augenhöhe erklärt, was ich meine. Mir war wirklich wichtig, dass die Leute das verstehen.”

Ohne ernsthaft auf ihre Kritik einzugehen, hat der Booker mittlerweile eine herablassende Antwort kommentiert, die er mit einem an sie adressierten Kuss-Emoji beendet. Ein paar andere Leute schalten sich in die Diskussion ein und äußern ihre Zustimmung zu Judiths Kritik.

In Judiths Nachrichteneingang sieht es inzwischen anders aus. Jemand hat ihr ein Dickpic über einen offenbar eigens dafür angelegten Fake-Account geschickt, der kurz darauf wieder verschwindet.  Ein anderer bezeichnet sie in seiner Nachricht als ‚faschistoide Emanze’. Jemand droht ihr mit sexualisierter Gewalt: „Mir wurde mitgeteilt, wie das so ist bei ‚Kampfemanzen’…”, sie stockt kurz, „…dass du mal richtig durchgenommen werden musst, damit du die Fresse hältst.” 

Die Welle aus Hass und Machtdemonstrationen, die ihr als Reaktion auf ihren harmlosen Kommentar entgegenschlägt, schockiert Judith zutiefst. Parallel zu der Gewalteskalation in ihrem Nachrichteneingang wogt die Debatte unter dem Post in überwiegend gemäßigtem Ton zwischen mehreren Kommentierenden noch etwas hin und her. Der Booker führt einige fadenscheinige Vorwände als Begründung an, weshalb er nur Frauen genannt habe, und will vehement keinen Fehler eingestehen.

In einem Kommentar fragt Judith ihn, welche persönliche Erfahrung mit angeblich schlecht auflegenden Nachwuchs-Influencerinnen ihn dazu gebracht habe, Newcomer*innen genau das vorzuwerfen. Und sie kritisiert, dass Posts wie dieser nicht-männliche DJs hemmten, aufzulegen, und sie ohnehin wieder nur auf Äußerlichkeiten reduzierten. Statt seinen Fehler einzusehen und sich für den Post zu entschuldigen – womit die Geschichte für Judith wohl abgehakt gewesen wäre –, blockiert der Booker sie kommentarlos. 

Sein Profil und der Post sind nun unsichtbar. Judith hat keinen Zugriff auf ihre Kommentare und kann sie nicht löschen, um sich vor weiteren Angriffen zu schützen. Währenddessen vibriert ihr Handy ständig, auf ihrem Sperrbildschirm ploppen weiter verstörende Nachrichten fremder Männer auf.

Langes Nachspiel

Das ist nun knapp zwei Jahre her. Der Booker hat sich nie für seinen Post und seine Ignoranz gegenüber der Kritik entschuldigt. Stattdessen landet kurz nach der Auseinandersetzung eine Mail in Judiths Postfach, in der ihr der Geschäftsführer des entsprechenden Clubs in ziemlich unfreundlichem Ton vorwirft, sie würde dem Laden wirtschaftlich schaden und die Szene spalten wollen. „Dabei schadet doch der Booker mit seinem misogynen uneinsichtigen Verhalten dem Laden, nicht ich.”

Booker und Geschäftsführer haben Judith offenbar zum Feindbild erklärt: Gegenüber anderen DJs, von denen sie kritisch auf den Post angesprochen werden, beziehen sie sich auf Judith – ‚Die soll sich einen neuen Feind suchen’. Und als sei nichts gewesen, bekommt sie von denselben Leuten weiterhin Booking-Anfragen. Judiths mehrmalige Bitte, sie endlich in Ruhe zu lassen, wird bis heute ignoriert. „Für mich fühlt sich das so an: Ich soll die Fresse halten und halt da spielen. Weil man jetzt Frauen buchen muss, nehme ich an. Das ist ein so respektloser Umgang und weiterhin so sexistisch.”

„Nur, wenn ich eine gute ‚Beweisführung’ habe, wird mir geglaubt”

Seit ihrem Kommentar unter dem Post des Bookers bekommt sie regelmäßig boshafte, erniedrigende und gewaltvolle Hass- und Drohnachrichten. Wenn sie die digitale Gewalt in ihren Social-Media-Posts thematisiert, landet noch mehr davon in ihren Nachrichtenanfragen. „Das meine ich mit diesem Loop – du kommst da nicht mehr raus. Dieses Interview führen wir ja auch gerade, weil ich darauf aufmerksam machen will, dass das gar nicht geht. Und ich rechne damit, dass dann auch wieder was kommt.”


„Ich hab’ Angst um mein körperliches Wohl. Dafür haben Menschen gesorgt, die mir solche Nachrichten geschrieben haben.”


Judith fühlt sich unwohl dabei, Inhalte der Hassnachrichten zu konkretisieren, weil sie sie nicht reproduzieren möchte. „Aber manchmal wollen die Leute ja Beweise. Und nur, wenn ich eine gute ‚Beweisführung’ habe, wird mir geglaubt und sich für mich eingesetzt.” Sie nennt ein Beispiel, das sie besonders getroffen hat: ‚Ich wünsche dir, dass du nie wieder auflegen kannst. Ich hab eine Adresse.’

„Da krieg’ ich Schiss! Ich weiß, dass jemand sehr sauer ist auf mich ist. Und ich hab auch Schiss, dass mir was passiert, wenn ich wieder vor Publikum spiele. Das meine ich ernst. Ich hab Angst um mein körperliches Wohl. Dafür haben Menschen gesorgt, die mir solche Nachrichten geschrieben haben.” In der Konsequenz hat sie ihr Instagram-Profil privat gestellt und liest, um sich selbst zu schützen, nur noch wenige Nachrichtenanfragen, die ihr fremde Leute schicken.

In diesem Text

Weiterlesen

Features

Marrøn: „Ich bin als DJ auf der Tanzfläche geboren”

Für Marrøn ging es vom Parkett auf die Tanzfläche – uns hat er unter anderem erzählt, warum er seine Profisportlerkarriere gegen die DJ-Booth eintauschte.

A100 in Berlin: Nie wieder Autobahn

Berliner Clubs und Initiativen haben wieder gegen den Ausbau der A100 demonstriert – wir haben uns vor Ort umgehört.

Waking Life 2024: Der Schlüssel zum erholsamen Durchdrehen

Das Waking Life ist eine Anomalie in der Festival-Landschaft, was programmatischen Anspruch und Kommerzialität anbetrifft. Wir waren dabei.