burger
burger
burger

Januar 2025: Die essenziellen Alben (Teil 3)

Teil 1 der essenziellen Alben aus dem Januar 2025 findet ihr hier, Teil 2 hier.

MCR-T – ≠ Not The Same (Live From Earth)

Robotisch verzerrt bereiten maschinelles Piepsen und eine Raumschiff-Countdown-Atmosphäre auf das Album vor. Das Piepsen zieht sich übrigens elegant in den nächsten Track. Der Albumtitel hält, was er verspricht – es ist in jedem Fall Not The Same, wenn man das Vorgängeralbum Tootsie Pop hört. Weder konsistent noch vorhersehbar, weiß man teilweise gar nicht, wie einem geschieht.

Da ist in „DIE ANGST IN MIR”, eine widerspenstige Stimme, die teuflisch kichert, oder sassy Trap-Beats, über die MCR-T in „Enter MCRT-Intro” rappt. In „1 Berliner” gehen wir „KaDeWe shoppen mit Anna und Peter”, während im Hintergrund bubbly Spielautomaten-Beats kullern.

Und nun eine sorglose Brise: „Bitter Spot Baby” beschwört mit luftig-wattigen Harmonien und brutzelnden Grooves eine süße Leichtigkeit herauf. Ich sehe mich mit einem fruity Drink am Strand entlangschlendern – smooth und irgendwie glamorous. Flirty Ghetto-Tech, für den man MCR-T kennt, lasziv und sexy in „Here I Cum”. Happy Hardcore in einem Feature mit Joost, in dem MCR-T mit holländischem Akzent rappt. Und plötzlich reißt ein punkiger, gutturaler Gesang die Atmosphäre in „KTHULU” auf und kollidiert mit einer wabernden Bassline und rollenden Hardtechno-Kicks – ein Moment, der immer noch verblüfft, aber im kontrastierenden Spiel mit (musikalischen) Persönlichkeiten zumindest jetzt doch Sinn ergibt.

Not The Same bietet kaum Orientierung – abgesehen vom relativ konstant schnellem Tempo, das durch ein Album reißt, auf dem alles erlaubt ist. Weiß man am Ende, was man denken soll? Eher nicht. Es passiert tatsächlich sehr viel – und irritiert und unterhält dabei gleichermaßen. Yeliz Demirel

Nicolas Jaar – Piedras 1 & 2 (Other People)

The Story to tell – Nicolas Jaars Piedras 1 & 2 ist ein Faszinosum, das irgendwo zwischen Musik, Hörspiel und Installation zu verorten ist. Das Doppelalbum, das auf Jaars Label Other People erschienen ist, geht ursprünglich auf ein Konzert im Museum für Erinnerung und Menschenrechte in Santiago, Chile, zurück. Das Projekt entwickelte sich weiter zu einem Hörspiel und schließlich zu einer 24-Kanal-Installation.

Thematisch kreist Piedras 1 & 2 um das fiktive Verschwinden der Musikerin und Schriftstellerin Salinas Hasbún, wobei Nicolas Jaar geschickt Wahrheit, Erinnerung und Identität in den Zwischenräumen erforscht. Diese konzeptuelle Herangehensweise spiegelt sich in der Struktur des Albums, das wie ein ständig alternierender Radiosender eingestellt ist. Wunderschön: „Piedras” ist das hellste und optimistischste Stück des Albums. Ein Lo-Fi-Klangkarussell schwebt hier über einem minimalistischen Beat. Dagegen könnte „Aqui” in einer gerechten Welt wahrlich ein Latin-Pop-Hit sein. Es fährt einen weichen Beat auf, der Jaars unwiderstehlichen Gesang trägt. Last but not least: „Rio radio correspondencia anfibia” vewebt Natural Sounds mit synthetischen Elementen zu einer ganz eigenen Komposition, die weich fallen lässt.

Das Doppelalbum lädt dazu ein, ihm einen besonderen Platz im Plattenregal zu schaffen. Jaar schafft es, eine Geschichte über Chiles blutige Vergangenheit zu erzählen und gleichzeitig subtile Verbindungen zu aktuellen globalen Themen herzustellen. Liron Klangwart

Oscar Mulero – Viaje Interior (Warm Up)

Viaje Interior von Oscar Mulero markiert die 100. Veröffentlichung seines Labels Warm Up und ist das siebte Studioalbum des spanischen Techno-Pioniers. Übersetzt bedeutet der Titel „Innere Reise”, was den Nagel auf den Kopf trifft.

Tatsächlich ist das Album eine Berg- und Talfahrt aus pulsierenden, hypnotischen und teilweise beatlosen Tracks. Das Epos beginnt mit „Aquí y ahora”, einem cineastischen Intro, das mit einer alienartigen Stimme und unter die Haut gehenden Klängen einführt. Mit einem schwungvollen Rhythmus und druckvollen Claps setzt der zweite Track die Reise fort und knüpft nahtlos an den Auftakt an.

„Diálogo con la realidad”, „Claro magnetismo” und „Inalcanzable visión” laden zum Tanzen ein und animieren schon beim Zuhören zum Mitwippen. Mit dem zehnten Track „Laberinto” nimmt Mulero das Tempo raus und schafft eine kurze Verschnaufpause. Die fühlt sich wie ein Cut an, als wäre das Album so in zwei Hälften geteilt. Die lange Tracklist mit 22 Stücken erlaubt es, mit der Dramaturgie zu spielen.

Die Berg- und Talfahrt nimmt mit dem darauffolgenden „Escape a mi lugar seguro” undCuestión desafiante” wieder an Schwung auf. Es geht energetisch weiter, bis es bei Track 13 wieder zu einem kleinen Break kommt. Er heißt „On a journey under your skin”, der einzig englisch betitelte Track auf dem Album. Mit sanften Claps und piepsigen Sci-Fi-Elementen bereitet er das folgende Stück „Presencia ausente” vor, das mit geringerer BPM-Zahl an Muleros erstes Studioalbum erinnert.

Packend wird es nochmal beim aufpeitschenden „Dos desconocidos”. Der spanische Ausnahmekünstler schnürt hier ein mitreißendes Dancefloor-Statement ins Paket. Eine perfekt eingesetzte Ride und ein pulsierender Rhythmus, bis der letzte Track Se desvanece das Ende einleitet.

Auf den 22 Tracks, die als Vierfach-Vinyl erscheinen, wiederholt sich Mulero nicht. Allein fehlt es manchen Tracks an Wiedererkennungswert. Wer sich eine unverwechselbare Soundästhetik im Mulero-Stil wünscht, findet hier ein konsequent durchdachtes, düster-atmosphärisches Techno-Statement. Jacob Runge

SHXCXCHCXSH – …..t (Northern Electronics)

Experimentellen Techno hat sich das schwedische Duo SHXCXCHCXSH aus Norrköping auf die Fahne geschrieben. Und diese Fahne wird auf dem neuen Album ……t (Northern Electronics) vom Start weg hochgehalten. Definitiv keine Kost für von durchoptimierter Fahrstuhlmusik verwöhnte Ohren. Auf dem neuen Album ist vielmehr das Erkunden und Ausloten des eigentlich Hörbaren angesagt. Wer die 14 Tracks durchlebt hat, hat nicht nur seine Ohren trainiert, sondern auch seine heiligen Schaltkreise neu justiert. Mit diesem Longplayer lässt man sich auf zumeist ungewohntes und un(er)hörtes Terrain ein. Drone-Sounds ballern um die Ohren herum, zerfetzte Vocals schlagen gnadenlos ein und schräge Sounds eskalieren zu hektischen melodischen Flächen. Mein Favorit ist das letzte Stück – einfach mal auf die Zwölf, könnte sogar auf dem Floor funktionieren.

Zur DNA von SHXCXCHCXSH gehört es, Vokale in Namen und Tracktiteln zu vermeiden, was letztlich zu fast unaussprechbaren Bezeichnungen führt. Das Duo arbeitete ursprünglich inkognito, hat aber inzwischen seine Identität teils gelüftet. ……t gehört in jeden Plattenschrank, der eine eigene Ecke für die Randbereiche der elektronischen Musik enthält. Liron Klangwart

V/Z – It’s Cold In Baltimore (Offen Music)

V/Z klingen so ultra auf Zeithöhe, weil das Duo mit Beats im Allgemeinen und britischen Bass-Geschichten spielt. Schon vor zwei Jahren hatten die Schlagzeugerin und Komponistin Valentina Magaletti und die Produzentin Susumu Makai, bekannt als Zongamin, ihr Debüt Suono Assente veröffentlicht. Auf jenem Album tasten Magaletti und Makai ihren Weg noch ab. Neben den jetzt durchweg zu hörenden Field-Dubs hatte das Duo auf Suono Assente noch auf Dream-Pop und Gitarren gesetzt. 

Auf It’s Cold In Baltimore ist jede Idee von Band verflogen. Es rauscht hier düster im Hintergrund, auch die Bässe kommen meist aus der Maschine. Lediglich Magaletti taucht immer wieder mit live gespielten Drum-Spuren auf. Diese zerstückeln die Grundentspanntheit des Offbeat-Wippens und schicken alle sie hinüber, hin zur Nervosität. Etwa im Titelstück, in dem ein Kugelbass mit perkussiven Hölzern und fauchenden Samples ringen muss, deren Ringelreihen schließlich im Land der Echo-Ewigkeiten verpufft. „Scan To Switch” wandelt sich langsam vom Grollen in ein Fiepen. Diese Tracks sind magnetisch. Christoph Braun

In diesem Text

Weiterlesen

Reviews

CTM 2025: Das echte Berghain im falschen

Trotz aller Hindernisse fand das CTM auch in diesem Jahr statt. Wir waren an fünf Abenden dabei und haben den Club auf Transmedialität abgeklopft.

Januar 2025: Die essenziellen Alben (Teil 2)

Teil 2 der essenziellen Alben im Januar – mit Chlär, Hesaitix, Spekki Webu alias Heliobolus, Michael J. Blood und Pugilist und Pod.

ARD-Serie „The Next Level”: Ein dumpfes Poltern im Keller

Die ARD-Serie zur Spiegel-Reportage über einen Tod im Berghain bleibt Oberfläche, Behauptung und Klischee.

Januar 2025: Die essenziellen Alben (Teil 1)

Teil 1 der essenziellen Alben im Januar – mit .Vril, Actress, Aksel & Aino, DJ Sotofett, Dorian Concept und Fred P & SMBD.