Teil 1 der essenziellen Alben aus dem Februar findet ihr hier.
Kilbourne – If Not To Give A Fantasy (Hammerhead)
Die Weltsituation verlangt nicht nur nach Versuchen, in konstruktive Gespräche zu finden, sondern auch nach kreativen Möglichkeiten, sich dem Gegenüber verständlich zu machen. Mit ihrer Version von Hardcore tut Kilbourne es auf eine Weise, die den düsteren Realitäten zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vermutlich am angemessensten ist: laut, entschieden und brachial. Mit If Not To Give A Fantasy reicht Künstlerin ihre Arbeit endlich auch in Albumform ein: Als röhrenden Siebenender mit allem, was ihr Repertoire so hergibt.
Der Sound reizt durch hypnotische Riffs und stumpfe Kicks auf der einen Seite, während Geschwindigkeitswechsel und andere Brechungen immer wieder aufhorchen lassen und Spannung erzeugen. „Loon Call” mit seinen Vogel-Samples bei gleichzeitiger Schranzbeschallung kombiniert Humor und Kampfgeist. Es geht voran, aber bitte mit Spaß. „Double BBL” ist industrial, wie man es mag, die Acid-Einsprengsel lockern etwas auf. „Honeycrisp” und „Bald Boys” klingen für Kilbourne-Verhältnisse wieder fast lieb und gediegen. „Sugarbee” hingegen holt zurück auf den Boden der Rave-Tatsachen. „Deer Stomps Its Hooves In Warning” überrascht mit Ambient und EDM-Nuancen. Wut und Euphorie finden gleichzeitig statt. If Not to Give a Fantasy ist gewohnt minimalistisch, aber deswegen nicht einfach. Die Musik ist aufs Wesentliche beschränkt; das Aussparen von Gesten und Ornamentik verstärkt die Strahlkraft und Energie, wie man es vom Punk kennt. Lutz Vössing

Lab Rat XL – Mice Or Cyborg (Clone Aqualung Series) [Reissue]
Was soll man schon sagen – ein Album der leider viel zu früh verstorbenen Drexciya-Hälfte James Stinson unter einem seiner zahlreichen Pseudonyme ist natürlich immer eine Bank. Quatsch, Bank, ein Monolith, ein dunkel dastehendes Klangwerk von kaum zu erreichender Größe, vor dem man sich nur verneigen kann.
So auch dieses erstmals 2003, ein Jahr nach Stinsons Tod, posthum auf Clone veröffentlichte Album, auf dem er als Laborratte in sechs auralen Versuchsanordnungen eine Cyberpunk-Welt erforscht. Die funkelt mal in düsteren Electro-Grooves wie ein abgefetztes Starkstromkabel auf feuchtem Asphalt, dann wieder durchstoßen wärmende Funken die futuristische Nacht – Lichtblicke voller Schönheit in ewiger Dunkelheit. Überhaupt: Funk. Der sitzt hier natürlich in jeder Nische, lässt selbst bei einem robotisch humpelnden Technotrack wie „Lab Rat 5” den Gesang der Maschinen funkisch überspringen, um die Düsternis zu erhellen. Denn düster, aber auch human anheimelnd klingt diese Sci-Fi-Musik, dass man nie die Hoffnung gänzlich verliert. Folkmusik für Androiden, komponiert im Übermorgen. Frequenzen der Zukunft, die Stinson schon vor 22 Jahren in seinem Kopf schwingen hörte. Ein Meisterwerk, nicht weniger. Tim Lorenz

Markus Guentner – Black Dahlia (Affin)
Black Dahlia beginnt mit bedrohlichem Geknatter und explosionsartigen Sounds, die Klangszenerie könnte ein Feuerwerk, aber auch eine Schlacht nachbilden. Feststeht, dass dieser Einstieg wenig mit den Klischees von Ambient zu tun hat. Auch der folgende Track klingt eher nach einer Industriehalle voller Stahlplatten, durch die sich eine mächtige Klangprozession walzt, und Song Nummer drei steht genauso in Moll wie die Stücke davor und verwandelt sich gegen Ende in einen langsam zerberstenden Schiffsrumpf kurz vor dem Auseinanderbrechen. Und so müssen die Fans der beruhigend-versöhnlichen Seite von Markus Guentners Musik bis zum vierten Track warten, um auf ihre Kosten zu kommen, wobei auch hier eher eine ernste Stimmung vorherrscht, ebenfalls Moll regiert und gegen Ende wieder beunruhigender Donner und ungemütliches Rauschen die Sound-Wolldecke wegziehen. Aber Reibung und Brüche sind nichts wirklich Neues in Guentners Schaffen. Der Regensburger hat in den letzten Jahren zunehmend die dunkleren Seiten des Genres ausgekundschaftet. Neu oder zumindest stärker betont als bisher ist auf diesem Album die bereits angedeutete metallische Seite in seinem Soundspektrum, unter anderem durch Hallkonstruktionen, die Kälte klanglich nachempfinden und an Industrial-Produktionen erinnern. Song-Namen wie „System Seizure”, „Shattered Remains”, „Humanity’s Shadow” oder „Downfall” und natürlich der bezugsreiche Albumtitel Black Dahlia sprechen zudem eine eindeutige Sprache – hier steckt einer nicht den Kopf in den Sand angesichts der Weltentwicklung. Mathias Schaffhäuser

Marie Davidson – City Of Clowns (Deewee / Because Music)
Die Showtreppen-Version von Electro: Schritt um Schritt führt Marie Davidson die Dinge vor statt auf. Tipp, tipp, tipp, und sie legt los. Das Intro setzt das Programm, und mit „Demolition (V2)” hauen die gestählten Bassdrums rein, zusammen mit Power-E-Pads und Slogans wie „I do what I do/ And I do it well”. Das Titelstück glänzt mit ohrwurmförmigen Synths, sich beschwerende Vögel im Acid-Rausch. Das erzeugt einen reizenden Sog hinein in die Hysterie. Mit Italo-Basslines, Hi-NRG-Sounddesigns sowie detroitigem Electro setzt sich das Album fort.
Die Franko-Kanadierin veröffentlicht seit mehr als zehn Jahren Alben. Mit City Of Clowns gelingt ihr der Electro-Techno-Italo Disco-Mix ganz besonders kickend, wenn auch hier bewusst jegliche Deepness nur an der Oberfläche zu holen ist. Kein Mensch taucht hier ein, alle gehen ab. „Y.A.A.M.” kickt derbe, „Contrarian” veitstanzt in Strobo-Gewittern. Die Slap-Bass-Collage „Unknowing” zeigt ein letztes Mal, dass die Liebe zur Musik nicht die Liebe zum Original sein muss. Christoph Braun

Michael J. Blood – Spaces In Between (BLOOD)
Mit „Aknew” eröffnet ein wunderbar uneindeutiges Stück dieses Album: Ein triolisches Synthie-Gegacker hoppelt durch zunehmend dichter auftretende Akkordwolken, wird gegen Ende von diesen weggedrückt. Dann klart der Himmel auf, und mit „Xpnder” beginnt eine sternenklare Clubnacht. Klingt ein wenig romantisch-plakativ, zugegeben, was aber auch daran liegt, dass dem Autor ausnahmsweise der Sinn nach Eskapismus steht – und da kommt Spaces In Between gerade recht. Denn das Album ist verspielt, ideenreich und mutig, weil Michael J. Blood keine Lust hat, sich festzulegen, sondern die Zwischenräume auslotet, die Spaces In Between. Beats wechseln von gerade zu gebrochen oder kaum vorhanden, die Stimmungen von clubbig zu tiefenentspannt. Und überall ist Luft zwischen den musikalischen Elementen. Blood weiß zu haushalten mit seinen zahlreichen Ideen, er weiß, wie wichtig es ist, dass die Tracks atmen, dass man ihnen Raum lässt. Das alles entwickelt sich auf selten selbstverständliche Art, höchst organisch trotz des komplett elektronischen Sounddesigns. Fast alle Stücke nehmen eine subtil-untypische Entwicklung, man hört ihnen an, dass hier nicht plumpes Copy- and Paste-Spiel getrieben wird und lange Parts Eins zu Eins wiederholt werden. Diese Musik will weder experimentell noch avantgardistisch sein – und ist vielleicht gerade wegen dieser Uneitelkeit so gelungen. Nur die beiden letzten Stücke tanzen etwas aus der Reihe, was den Gesamteindruck aber nicht trübt. Mathias Schaffhäuser
