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Februar 2025: Die essenziellen Alben (Teil 3)

Teil 1 der essenziellen Alben aus dem Februar findet ihr hier, Teil 2 hier.

Monolake – Gravity (Field) [Reissue]

Monolake-Platten sind ja nichts weniger als Musik gewordene Tagebucheinträge langer Beobachtungssitzungen unter dem Elektronenmikroskop. In jeder Millisekunde Sound stecken mehrere Gigabyte an Informationen, die es zu entschlüsseln gilt. Tatsächlich galt das bei dem Projekt von Robert Henke und Gerhard Behles von Anfang an, war und ist also keine Konsequenz des technologischen Fortschritts, sondern integraler Bestandteil der künstlerischen Idee.

Gravity erschien erstmals 2001 und markierte eine Zäsur in der Monolake-Geschichte. Behles konzentrierte sich voll und ganz auf Ableton, das Album ist zu großen Teilen ein Solowerk von Henke. Und drückt auch heute noch, 24 Jahre später, alles an die Wand. Gravity ist dringlich, raffiniert, klanglich vielfältig und trotz über weite Strecken vorherrschender Zurückhaltung im Screengaze-Modus derart euphorisch, dass es keine planetare Umlaufbahn beschreibt, sondern den Mittelpunkt eines eigenen Sonnensystems bildet. Davon abgesehen, dass das Titelstück zum Besten gehört, was die weltweiten Dancefloors je zu Gehör bekommen haben: Jede Bassline atmet mehr Funk, als die Monorail in Detroit am Tag transportieren kann. Jede Fläche schiebt mehr pointierte Tiefe vor sich her, als der Schildvortrieb selbst bei Flutlicht wegbaggern könnte. Und jeder Groove strudelt unberechenbarer, als es die Geister des Bermudadreiecks je planen könnten. Zeitlose Zeitgeschichte. Die nun erstmals auf Vinyl erscheint. Wurde Zeit. Thaddeus Herrmann

Om Unit – Acid Dub Studies III (Self-released)

Mit seinen Acid Dub Studies und den begleitenden Acid Dub Versions hat der britische Produzent Jim Coles alias Om Unit eine Nische gefunden, in der er zwei im Vereinigten Königreich bestens etablierte Erscheinungsformen von Clubmusik auf nahezu bescheidene Weise miteinander kombiniert. Der Acid-Stil der späten Achtziger passt sich dabei der ruhigeren Gangart von traditionellem Dub und den in den Neunzigern hinzugekommenen Digi-Dub-Spielarten an. Seine 303 blubbert entsprechend nicht hemmungslos vor sich hin, sondern sendet gezielt einzelne Bläschen in den Raum. Auch der dritte Bericht aus seiner Forschungsreihe folgt diesem durch den Titel klar vorgegebenen Kurs. Hier kommt dann ein House-Rhythmus stärker zum Einsatz, da tritt eine dominanter pluckernde Melodie in Gedenken an Projekte wie Zion Train in den Vordergrund. Dass der Ansatz begrenzt ist, versteht sich von selbst. Für puristischer gehaltene Genre-Beiträge gilt andererseits, allgemein gesprochen, Ähnliches. Om Unit braucht keine Revolution auf dem Dancefloor auszulösen, er weiß einfach, wie er die Dinge zum Rollen und Hallen bringt und dabei seine persönliche Züchtung überzeugend weiter pflegt. Tim Caspar Boehme

Raven – Gnosis (Incienso)

2017 erblickt Incensio in New York das Licht der Welt. Von Anfang an tut sich das von Anthony Naples kuratierte Label durch träumerische, anspruchsvolle IDM-Musik hervor. Naples beweist mit fast jedem Release ein ausgezeichnetes Gespür für avantgardistische Strömungen, ohne sich dabei zu weit von einer DJ-freundlichen Spielbarkeit zu entfernen. DJ Pythons Album Dulce Compañia zum Beispiel, die Katalognummer 1, begründet quasi im Alleingang das Subgenre Dembow-House und bringt Label wie Künstler postwendend Ruhm ein. Ein ähnlicher Erfolg ist Huerco S‘ Meisterstück Plonk aus dem Jahr 2022 vergönnt.

Die Gnosis-LP von Newcomer-Produzent Raven reiht sich mit ihrer smoothen Grundtextur schnörkellos in die Tropen des Labes ein, die da wären: Synthesizer-generierte endlose Flächen, die immer wieder, wie Wellen, an den Strand branden, mystisch, schön, aber nie verkitscht. Vinyl-Usability-freundlich passen die acht Tracks auf eine einzige Platte, die also nur einmal gewendet werden muss. Nicht selten sind solche Listening-LPs genau mit diesem Anspruch komponiert: die einzelnen Tracks nicht selektiv zu hören, sondern als Teil von etwas Größerem zu verstehen. Gnosis hebt als Ambient-Platte ab: dahinströhmend, immer wieder verpuffend, sich neu aufwallend; aber sie endet als House-Platte, treibend, wirkmächtig, irgendwie materialisiert. Das wird spätestens bei den großartigen „Unlimited Edition” und „Final Fade Sync” spürbar.

Die Lehre der Gnosis sagt, dass eine oberste Gottheit sich in vielfachen Abstufungen und Ausströmungen entfaltet. Erlösung findet, wer sich auf die Suche nach dem sich langsam offenbarenden kosmischen Geschick begibt. Ob Ravens Gnosis die oberste Gottheit entdeckt, sei dahingestellt, kosmische Geschicke allerdings lassen sich hier mit ein wenig Ausdauer ganz sicher erspüren. Nathanael Stute

s8jfou – Dognip (Parapente)

Mit Dognip katapultiert der französische Produzent s8jfou seine Fans und solche, die es werden wollen, gnadenlos in ein auditives Kaleidoskop, das gleichermaßen für den Club wie für introspektive Nächte geschaffen ist. Veröffentlicht auf Parapente, demonstriert dieses Album eine ziemlich klasse Fusion aus technischer Präzision und spielerischer Leichtigkeit. Der Starter „Hope You’re Ok” zieht sofort in seinen Bann: Schicht um Schicht entfalten sich synkopierte Rhythmen, die subtile Melodien durchziehen. In „Toupi The Pigeon” verschmelzen organische Klänge mit elektronischen Texturen zu einem pulsierenden Klangteppich, der sowohl zum Tanzen als auch zum Träumen einlädt. Ein besonderes Highlight ist „Keep Coming Back”. Hier trifft eine nostalgische Grundstimmung auf treibende Beats, die den Track bei einigen DJs zum unverzichtbaren Bestandteil ihrer anspruchsvollen Playlist machen dürfte. Abgerundet wird das Album von „It Do Go Down”, einem Track, der mit seinen unerwarteten Wendungen und komplexen Arrangements die Vielseitigkeit von s8jfou eindrucksvoll unter Beweis stellt. Dognip ist mehr als nur ein Album; es ist eine klangliche Reise durch Erinnerungen und Emotionen, die in ihrer Tiefe und Raffinesse lange nachhallt. Liron Klangwart

Terre Thaemlitz – Snowflakes & Dog Whistles: Best Electroacoustic Ambient & Sexpanic, 1995-2017 (Comatonse)

Eingepackt in eine von Terre Thaemlitz persönlich handmontierte Spezialbox einschließlich zwei doppelseitiger Einlegekarten, zwei Postern auf Zeitungspapier und eine 9000 Wörter langen Essays, taucht Snowflakes & Dog Whistles: Best Electroacoustic Ambient & Sexpanic, 1995-2017 verführerisch in den Läden auf. 29 Tracks auf zwei CDs. Zwei Stunden und 39 Minuten elektroakustischer Ambient. Vieles seit langem vergriffen, wie Stücke von seinen Mille-Plateaux-Alben Love For Sale: Taking Stock In Our Pride von 1999 oder Interstices aus dem Jahr 2000. Zudem einiges in frischer Edit-Neubearbeitung erstmals erhältlich. Eine fesselnde Sammlung. Leise, eindringlich, produziert mit einem Ohr für ganze besondere Audioschnipsel aus der Popkultur, die zum Teil zu abwegigen Frequenzen tanzen. Wie immer bei Terre Thaemlitz hat alles doppelten Boden, ist intellektuell aufgeladen und politisch motiviert. Laut eigenem Bekunden steht die Musik in Relation zum „non-spiritualism, constructivism, historical materialism, social organizing, the AIDS crisis, sexual perversity, and gender deviance.”

Und das ganz explizit, wie auf der als Dog Whistles bezeichneten CD 2, auf der Interviews, Debatten und Dialoge über Gender und Sexualität teils drastisch collagiert werden. Seine avantgardistische Ideenwelt und politische Haltung sind trotz allem verträglich verpackt. Nichts wirkt aufdringlich. Eher inspirierend, aufrüttelnd, zugleich hineinwinkend, berauschend und sexy. Mit bannenden psychoakustischen Frequenzen, rumpelnden Subbasstönen, spannungsgeladenen Klangschleifen und einfachen, kurzen, klaren, gleichwohl äußerst fantasievollen Klavierphrasen. Stets positiv konventionell, egal wie unkonventionell alles gestaltet ist.

Immer wieder erstaunlich, wie anziehend sehnsüchtig sich Terre Thaemlitz in seine Musikeinschreibt. Wer mehr über den Hintergrund zu allem wissen will, sollte die Notes in diesem Discogs-Link lesen. Michael Leuffen

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