burger
burger
burger

[REWIND2024]: Die 20 besten Singles des Jahres

Dieser Beitrag ist Teil unseres Jahresrückblicks REWIND2024. Alle Artikel findet ihr hier.

Was tat sich 2024 im Dance-Music-Kerngeschäft? Wir haben 20 Singles und EPs zusammengetragen, die das Jahr prägten.

Adam Port, Stryv – Move (Keinemusik)

47 Millionen Klicks. In sechs Monaten. Das hat fast schon Taylorswifttragweite. Aber ok, nur fast. Jedenfalls haben Keinemusik mit „Move” den Sommerhittresor geknackt. In Griechenland und Nigeria und eigentlich überall, also wirklich überall muss das zumindest einmal in der Strandbar gelaufen sein. Sonst weiß ich auch nicht, was die Leute da unter das Video schreiben. Vielleicht echte Gefühle. Berührend, ich meine: bewegend. Christoph Benkeser

Altinbas – Parallel (Observer Station)

Sechs Uhr, Augen zu, das wird lang. Und länger. Wie viele Stunden können in einem Track vergehen, unendlich viele, du weißt es doch. Altinbas, der vom Fuse-Club in Belgien, ist auch einer, der weiß, wiee das geht. Stunden vergehen lassen, die Welt verdrehen. Mit vier Beats, die alle nur die nächste Kickdrum kennen, die weiterwollen, immer nur weiterwollen. Christoph Benkeser

Âme, Curses – Shadow Of Love (Innervisions)

Das Revival, von dem wir alle wussten, dass wir es brauchen, es ist noch nicht da. Aber die Grundpfeiler, die stecken. Âme hat sie reingehämmert, also schön sachte eingelassen in das Fundament, das LCD Soundsystem ausgegossen haben. Damals, vor einer gefühlten Ewigkeit, die unsere Jugend war. Da fangen wir jetzt wieder an, würde ich sagen. Christoph Benkeser

CCL – The Plot Thickens (feat. D. Tiffany) (!K7)

Euphorie ist schön, an der Börse, in der Hose, im Club. Die Sache ist: Euphorie gibt es nirgends gratis. Euphorie ist eine Rechnung. Eine, die immer kommt. Manchmal rechnet man nach, hui, das ist aber viel. Oder man freut sich, weil man mit weniger rechnen darf. Dazwischen stellt CCL ihre eigene Rechnung aus, Kostenpunkt: Bounce. Bezahlt wird dann morgen. Christoph Benkeser

D.Dan – sequence.01 (summerpup)

Hier pumpt die Bassdrum ohne viel Federlesen geradeheraus, während sich Schicht um Schicht ein neues Element um diese Basis legt. Sei es die Clap auf Taktschlag zwei, die offene Hi-Hat auf Drei, die geschlossene wiederum, die sich nähmaschinengleich durch den Track tackert – man kennt das Spiel. Dazu eine bleepende Synth-Sequenz als Dreingabe, fertig ist der Track. Genauer gesagt: die Sequenz, rührt doch daher wohl der EP-Titel. Dass jedes Stück nämlich nur eine Sequenz ist, die ihre hypnotische Kraft aus der Kombination ihrer Elemente bezieht. Siebenmal exerziert D.Dan hier dieses Prinzip, siebenmal kompromisslos minimaler Techno im Stile eines Robert Hood oder frühen Jeff Mills. Für zuhause ist das freilich nichts, aber in ihrer Loophaftigkeit sind die Tracks perfekte Mix-Tools für die Tiefe der Nacht. Tim Lorenz

DJ Babatr – The Journey (Paryìa)

Während der venezolanische Raptor-House-Patron DJ Babatr gerade seine dreiwöchige Residency im Razzmatazz in Barcelona absolviert hat, erscheint seine neue EP überraschenderweise bei Marie Montexiers Label Paryìa.

Sein zweites Vinyl-Release überhaupt bringt erneut globale Clubmusik mit Latino-Elementen in Einklang, paart auf dem Titeltrack Deep-House-Chords mit Vocals und Drums, die Babatrs Nationalerbe entsprechen. „In The Groove” ist propulsiver und birgt einen massiven Breakdown, der in schon fast comichafte Sirenensynths mündet. „Xpansion Move” überrascht mit Eurodance und schwergewichtigen Drums für eine ungewöhnlich überzeichnete Dancefloor-Euphorie. Was für hiesige Ohren vielleicht zu dick aufgetragen wirkt, kann jedoch als wichtiger Schritt gesehen werden, um die bislang kaum vertretenen lateinamerikanischen Stimmen in der globalen Szene der elektronischen Musik zu verankern. Für ein eingängigeres Hörerlebnis gibt es ja noch den dubbig-perkussiven „Deep In The Jungle”-Remix der New Yorkerin AyeshaLeopold Hutter

Felix – Don’t You Want Me (Ki/Ki Remix) (Armada Music)

„Don’t You Want Me” von Felix von 1992 ist einer der unvergesslichsten britischen House-Tracks der Neunziger. Das Original spiegelt die naive Begeisterung eines Teenagers für den US-House der Achtziger und verbindet die hypnotischen Grooves eines Steve Hurley mit einem originär britischen Pop-Gespür. Der kongeniale Remix von Red Jerry & Rolo entfesselt den psychedelischen Wahnsinn der Orgelfigur von Felix’ Version mit Eurodance-, Progressive-House- und Trance-Klängen und erschuf damit ein eklektisches Monster, das eine Generation europäischer Raves prägte. Anders als Charlotte de Wittes „Age of Love”-Version bewegt sich KI/KIs Remix von „Don’t You Want Me” auf Augenhöhe mit den früheren Versionen der Nummer. Entscheidend dabei ist der minimalistische Fokus, den die Holländerin auf die Trance-Figur richtet, der auch ihre Sets so fesselnd macht. Alexis Waltz

Gigi FM – Moviemento (Sea-rène)

Wer Techno hört, sollte eigentlich Jazz hören. Ihr wisst schon, diese Musik mit dem Saxofon und der Trompete. Absolute Musik, sagen manche, die sagen, dass sie es schon immer gesagt haben – bevor sie dir den Discogseintrag von Miles Davis vortragen. Das ist nicht so charmant. Das kann man auch besser machen. Sagt GiGi FM. Und macht es einfach. Christoph Benkeser

Head High – 2nd-Hand Bassline (Power House)

Ich weiß nicht, wie er es macht, aber das ist ja der Trick: Shed baut einen Beat, und du weißt noch vor der Zwischenzeit, das ist Shed. Oder, ja: Head High. Es ist das Rumpelige, ich meine, das sagt er ja selbst. Die samtigen Riesenkicks, der Mittendrinstattnurdabeibass, alles so eigen, war es immer. Da ist es dann auch egal, wenn sich das immer gleich, sagen wir: ähnlich anhört. Christoph Benkeser

Holden Federico – Dust (SK_eleven)

Wenn jemand in der allgemeinen Aufregung auf die Idee kommt, durchzuatmen, alle Teile vor sich aufzulegen und anschließend in Ruhe zusammenzusetzen – ja, dann kann man nur stehend gratulieren. Denn genau so könnte das wieder was werden mit dem Techno. Oder mit der allgemeinen Aufregung. Christoph Benkeser

Nick Léon x Erika de Casier – Bikini (TraTraTrax) (Pop)

Wie heißt das Jugendwort des Jahres? Die ARD sagt Aura. Dein Studium will da ein Wörtchen mitreden, aber komm’, niemand will von Walter oder Benjamin hören, das ist wirklich egal, wenn man 16 ist und das erste Mal weiß, was Sommer heißt. Also, genieß es, Sportsfreund. Und sei doch so lieb und spiel’ den Song nochmal ab, ja? Christoph Benkeser

Objekt – Chicken Garaage (Kapsela)

Hallo, Dubstep. Schön, dass du wieder mal vorbeischaust. Schon viel zu lange nix mehr gehört. Gut siehst du aus, fast wie damals, bisschen angesetzt untenrum. Aber das ist der Wohlstand, irgendwann kriegt er uns alle.  Da kann man nix machen, da kann man nur in größere Subwoofer investieren. Und dann ordentlich pumpen. Immer schön pumpen. Christoph Benkeser

Polygonia – Da Nao Tian Gong (Midgar)

Inspiriert von der klassischen chinesischen Legende Die Reise nach Westen um die Abenteuer des Affenkönigs Sun Wukong, die Lindsey Wang alias Polygonia im Kindesalter in Form einer Anime-Serie kennenlernte, wird auf Da Nao Tian Gong daraus eine Abfolge von vier sehr modernen Tracks elektronischer Tanzmusik, verortet irgendwo zwischen Techno und Electronica. So interpretiert das erste Stück Wukongs Reisegefährt, eine Wolke, als Kaskade auf Kaskade verspielt durch die Luft flirrender Arpeggio-Linien. Tribale Rhythmen verkörpern im folgenden Stück Suns magisches Haar, der hypnotisch-technoide dritte Track seinen beliebig seine Größe verändernden Kampfstab. Der über einem treibenden Beat sich mannigfaltig entfaltende Electronica-Tune, der die EP beschließt, steht wiederum für die 72 Verwandlungen, zu denen Sun Wukong fähig ist. Und ja, auch abseits der Literatur-Bezüge ist diese EP von Anfang bis Ende eine runde Sache. Tim Lorenz

Sam Goku – Glistening Club Music Vol. 4 (Permanent Vacation)

Im wahrsten Sinne des Wortes schrauben sich die Kompositionen von Sam Goku auch in die allerletzte Gehirnwindung – einfach Glistering Club Music auf Permanent Vacation. „Pearl Jab” macht da keine Ausnahme. Los geht es reduziert, damit sich oszillierender IDM – tricky unterbrochen von Sphärenflächen – erneuern und steigern kann. Endet leider viel zu schnell. Intelligent Dance Music ist ein älterer, nicht so fest umrissener Begriff, und Sam Goku passt mit seinen sophistizierten Tracks perfekt zu diesem Genre. „Tales Of The Tiger And Moon” verwebt treibende Garage-(Tech)-House- mit Harfen-Eso-Klängen. Geht ja eigentlich gar nicht – doch, doch, geht, und zwar durch die Decke. Ebenso für Endorphin-Ausschüttung sorgt „Swamp Signal”, bei dem sich Tribal-Rhythmen mit – könnten das Elefanten im Hintergrund sein? – einem dubbig-verzerrten Xylophon vermengen. Unique – und das macht Spaß. Liron Klangwart

Skee Mask – ISS010 (Ilian Tape)

Es gibt Producer, die machen eine gute Platte und dann zehn schlechte. Und es gibt Skee Mask, der macht einfach immer gute Platten. Jedenfalls hab’ ich noch keine schlechte gehört, vielleicht war da irgendwann mal was, aber egal: Die neue auf Ilian ist nämlich wieder eine sehr gute. Ich könnt euch jetzt volllabern, wie geil: Dubtechnovibes und so weiter. Hat halt niemand was davon außer ChatGPT. Und die mögen wir hier nicht. Aber bitte, wenn hier wer von treibenden und wabernden und, am allerschlimmsten, jackenden Grooves lesen will: Die Faze ist dort drüben! Der Rest hört hin und erlebt Skee Mask in der Vollhocke – so tief, wie es noch geht mit zwei musikalischen O-Beinen. Was eigentlich unmöglich ist. Da sträubt sich alles dagegen, bloß kein Taktetrommeln! Aber dann doch, nur gut versteckt. Hinter Hühahot und Hopphopphopp. Und in sieben Tracks, die heute funktionieren und gestern, und in 20 Jahren werden die auch noch gehen zum Bouncen. Das haben gute Platten zum Glück so an sich. Christoph Benkeser

Spekki Webu – Tenzan EP (Blue Hour Music)

Kürzlich wieder das schöne Wörtchen Marschflugkörper gelesen. Gut, der Anlass ist problematisch, aber das kann man ja, Obacht, re-kon-tex-tuali-sieren, das heißt: Ein Marschflugkörper muss nicht schlecht sein, ein Marschflugkörper kann auch ein Technotrack sein. Zielgerichtet, präzise, kabumm! Spekki Webu kalibriert hier viermal Kanonenfutter für die längsten Langstreckenmärsche. Christoph Benkeser

Siu Mata — Amasia (Nervous Horizon)

Ein jeder der sechs Tracks auf Siu Matas neuer EP ist benannt nach einer Formationsperiode der erdgeschichtlichen Kontinente – „Vaalbara”, „Ur”, „Rodinia” und so weiter –, dergestalt symbolhaft für immerwährende Fusion und Evolution stehend. Und das passt ausgezeichnet zum Klang der Bass-Tunes. Schiebt sich dort doch das Bassfundament, tektonischen Platten gleich, gegen- wie auch ineinander, während gleichzeitig endlos rollende Percussion-Lines ebendieses Fundament luftig leicht in ewig mäandernder Veränderung umflirren. Dazu ein paar Stimmsamples, ein paar atmosphärische Klangfetzen, mehr braucht es gar nicht. Die Magie liegt darin, wie Mata aus diesen karg-rudimentären Elementen Stücke erschafft, die auf unwiderstehlich zwingende wie swingende Art die Beine in Bewegung versetzen. Mit anderen Worten: Bass Music par excellence. Tim Lorenz

TSVI – Mediterraneo EP (Nervous Horizon)

Der italienischstämmige Produzent und Nervous-Horizon-Gründer Guglielmo Barzacchini alias TSVI hatte wie so viele seiner Kollegen während der Pandemie eine kleine Sinnkrise. Auf seiner ersren Post-Covid-Produktion nach einigen Jahren des Infragestellens und Ausprobierens neuer Methoden des Musikmachens hat er sich schließlich dazu bekannt, wofür er nun einmal steht: vorwärtsgewandte, funktionale Clubmusik, geprägt von Rhythmen und Samples regionaler Nischen.

Für die Mediterraneo EP verneigt er sich vor seiner Mittelmeer-Herkunft und dem dort in den späten Neunzigern und frühen Nullerjahren angesagten Progressive-Sound à la Gigi D’Agostino oder Mauro Picotto. Das bedeutet: emotionale Synths, trancey Breakdowns (Progressiva) und natürlich italienische Vocal-Samples, die anheizen. Auf „Vitamina H” stehen perkussive Patterns im Vordergrund, ebenso auf „HHG” mit dem Venezolaner DJ Babatr; beide Tracks verneigen sich vor dessen Heimat und dem dort entstandenen Genre Raptor House, das TSVI schon lange inspiriert hat. Die beiden letzten Tracks gehen dann weg von Samples, fokussieren sich stattdessen auf Sounddesign und tauschen wilde Drums gegen hypnotische Synths. Leopold Hutter

Verraco – Breathe… Godspeed (Timedance) 

Nach seiner formidablen EP Escándaloo auf Karenns Voam landet der kolumbianische Techno-Futurist Verraco auf Batus Timedance. Im Gepäck: vier Tracks unbegreiflicher Grenzgänge entlang der diversen Arten elektronischer Tanzmusik. Dies ist Techno in seiner weitesten, freiesten Form, den Blick in die Zukunft gerichtet statt in retro-klischierte Vergangenheit. Mal fusioniert Verraco seine Sequenzen mit Cumbia-Beats, mal scheint Italo-Disco durch, mal verschieben sich die verschrobenen Rhythmen und Sequenzen derart gegen- und ineinander, dass einem alle Genre-Zuweisungen einfach mal aus dem Gehirn gepustet werden und man seine Kinnlade irgendwo auf dem Tanzboden sucht. Pure, experimentell-avantgardistische Tanzmusik fürs 21. Jahrhundert. Und genau das, dass man dazu tatsächlich noch tanzen kann, zeigt die Brillanz Verracos in ihrer reinsten Form. Tim Lorenz 

Wallace – Papertrip (Rhythm Section International) (House/Dub)

House zum Bouncen: klare Sache, gute Sache. Wallace ist da keine Ausnahme, er ist nur die Regel, die sich irgendwo noch bestätigen muss. Deshalb, vier Teile, am besten zum Frühstück nach zwei Kibas. Da schüttelt es sich am besten, da steckt der Groove noch in den Beinen. Da empfängt man Pianochords im Wartezimmer des Vorhofflimmerns. Christoph Benkeser

In diesem Text

Weiterlesen

Reviews

[REWIND2024] Die 20 Alben des Jahres

Wieder ein Jahr vorbei. Und die Alben? Manche waren schlecht, manche so mittel, manche sehr gut. Hier sind unsere Favoriten.

[REWIND2024]: Die besten Mixe des Jahres

Wieder ein Jahr rum, auch auf dem Dancefloor und in der immer aufgeblähteren Podcast-Sphäre. Mit diesen zehn Sets behaltet ihr den Überblick.

[REWIND 2024]: Die 10 besten Compilations des Jahres

Was wurde 2024 so kompiliert? Wir haben eine stilistisch breite Auswahl getroffen, die Ambient, House, Techno und alle Zwischenstufen berücksichtigt.

Motherboard: November 2024

In der aktuellen Nischen-Rundschau hören wir schwermetallgewichtigen Rock, reife Popsongs und Werner Herzogs Vermächtnis.