Weit gekommen, nie angekommen. Die Musik der Berliner Theresa Stroetges hat sich in den vergangenen 15 Jahren immer wieder umgeformt, neu gefunden, anders ausformuliert, hat im Kern von den frühen Lo-Fi-Heimorgelversuchen über den dekonstruierten Überwältigungs-Pop der Zehnerjahre bis hin zur jüngsten, Club-kompatiblen Electronica immer einen Do-It-Yourself-Spirit bewahrt, eine Unabhängigkeit und Selbstgenügsamkeit, die kein Außen, keine Referenzen braucht und doch von grundlegender Offenheit zeugt. Oval Sun Patch (Karaoke Kalk, 8. Dezember), jüngste Emission ihres Soloprojekts Golden Diskó Ship, führt ihren sowieso schon extrem expansiven elektronischen Avantgarde-Pop in ungeahnte Diversität, in das Gegenteil von Beliebigkeit. Atari-Basslinien, Drumcomputer-Presets, geniale Melodien und celestiale Gesänge, gerne geloopt und sich in sich selbst vervielfältigend. Kompatibel mit der fragmentierten Hyperpop-Aufmerksamkeitsökonomie, und doch als großes Ganzes konzipiert und als Songs eingängig, so macht Indie 2023 und darüber hinaus noch Sinn.
Wie passend, dass auch Daniela Weinmann aus Zürich ihren Odd Beholder wieder hervorgeholt hat. Ebenfalls ein Projekt, das sich auf inzwischen drei Alben immer wieder neu dezentriert und neu kalibriert, eine leere Mitte wiedergefunden hat, ein unmögliches Gleichgewicht zwischen elektronischer Avantgarde, Aktivismus in Klima- und Musikpolitik, Melancholie und stadiongroßem Mitsing-Pop. Feel Free (Sinnbus, 1. Dezember) kehrt nun zurück zu den Anfängen: Kleinstadtbefindlichkeiten und große Gefühle, Klaustrophobie und Ängste, Depression und weltumspannenden Hoffnungen. In Synth-Pop und Lo-Fi.
Auf der anderen Seite der Welt, Pazifikküste, Kalifornien, Bay Area von Oakland nach San Francisco, hat sich das Duo Loveshadow eine ähnlich eigenlogische Welt aus elektronischem Pop gebaut. II (Dark Entries, 17. November) bringt ein exzellentes Gefühl dafür mit, was aus den vergangenen vier, fünf Dekaden – speziell den einklammernden Achtzigern und Zwanzigzwanzigern – gut zusammenspielen könnte, wie zum Beispiel japanischer City Pop, J-Funk und ungefähr alles, was das Yellow Magic Orchestra damals richtig gemacht hat (und was heute noch gilt). Allerdings findet man hier auch Italo-Disco, und die Mainstream-Smoothness von Sade und den späten Wham! Alles in aktueller Produktion, in den besten Momenten von der Qualität, die Róisín Murphy jüngst mit DJ Koze erreicht hat, Angel Marcloid in ihren Nonlocal-Forecast- und Fire-Toolz-Projekten oder, ganz auf der anderen Seite des Globus, NTsKi mit ihrer Modernisierung des urbanen J-Pop der Achtziger. Das alles mit präzisem Instinkt dafür, was gerade noch nicht zu retro klingt, was Schwelgen ohne Reue erlaubt, im Sound des Früher, aber im Sentiment des Post-Internet-Zeitalters.
Hat man einen Masterplan, muss es schnell gehen. Das junge Berliner Trio YELKA aus den altbewährten Diskursrock- und Dub-Kräften Yelka Wehmeier, Christian Obermaier und Daniel Meteo möchte zehn Alben in drei Jahren herausbringen, da ist die dritte (Mini-)LP Krieg & Ferien (Fun In The Church, 27. Oktober) dieses Jahr, nach dem Debüt Nowhere Jive im März und 1976 im Juni, quasi überfällig. Vielleicht nicht überraschend, aber definitiv erfreulich, dass es nicht noch mehr vom selben Dub-infiltrierten Postrock mit zurückhaltend-funky Krautmotorik liefert, sondern den Sound in Richtung rumpeligen Neo-Vintage-Post-Punk weiterentwickelt, ein wenig so, wie es Anfang des Jahres V/Z, Valentina Magalettis Projekt mit Zongamin vorgelegt hat – nur dass YELKA definitiv die perlenderen Bass- und Gitarrenlinien (Khruangbin-Style) hat, und dass sie mit klugen Vocals arbeiten, Anthropozän, Flugreisen und gewaltsame Auseinandersetzungen reflektieren und nebenbei noch überaus souverän die Münchner Freiheit covern: „Tausendmal Du”. Nicht die einfachste Aufgabe, das unironisch und doch Cringe-befreit rüberzubringen. Wir dürfen gespannt sein, wie es weitergeht.
Das britische Hardcore Continuum und Chill-out waren historisch betrachtet nie besonders weit voneinander entfernt. Gerade in der ruralen Mitte und im postindustriellen Norden Großbritanniens hat das partielle Zusammendenken von Rave, Jungle, Grime, Dubstep und Breakbeats aller Art mit ruhigeren, ambient-ozeanischen Klängen eine Tradition, die jüngst das Manchester-Duo Space Afrika in einer weitgefassten Ästhetik der Klangcollage neu belebt und mit ungewöhnlichen Inhalten gefüllt hat. Auf A Grisaille Wedding (Fixed Abode, 16. November) erweitern sie ihr Projekt nun um den experimentellen Produzenten (u.a. von Noise-Rapper Blackhaine), Beatschneider und Labelmacher Rainy Miller, der zusammen mit zahlreichen Gästen aus Indie und Elektronik den Space-Afrika-Sound organisch erweitert, zu einem universell melancholischen Ambient-Trap-Pop-Ding, in dem sich die collagierten Samples, die Field Recordings, die schwebende Flächenmelodik mehr als je zuvor in tieftraurige Songs kondensieren.