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Motherboard: Dezember 2023

In Marc Richters Black To Comm, nicht ganz so lange aktiv, aber in den letzten zwei Dekaden ebenfalls schon ziemlich definierend und definitiv, lässt sich die Strategie der ambienten Temperaturgradienten hingegen nicht wiederfinden. Auf At Zeenath Parallel Heavens (Thrill Jockey, 20. Oktober) bestimmen orchestrale Katharsis und schüttelfrostend mikrotonale Kälteschauer die Klangtemperatur von Anfang bis Ende – was in diesem Fall aber das Gegenteil trostloser Monotonie bedeutet. In sich sind die Stücke üppig, komplex und divers. Synthese, Klänge, Instrumente, Samples und Stimmen, so angeordnet, dass sie immer ein wenig außerweltlich und dysfunktional wirken, ohne es zu sein. Sodass sie auf eine Weise danebenliegen, die – wie Richter es benennt – an das oft unbehagliche Danebenliegen und die Kälte von KI-generierter Kunst und Musik erinnert. Nur eben, dass hier erkennbar und erkenntlich menschliche Intervention, ein barocker Geist dahintersteckt.

Auf der anderen Seite des elektroakustischen Spektrums, aber emotional-charakterlich durchaus verwandt, spielt die mikrotonale bis neoklassische Kammermusik der US-amerikanischen, in Toronto lebenden Komponistin Linda Catlin Smith. Das dort residierende Thin Edge New Music Collective hat auf Dark Flower (Redshift, 10. November) eine Auswahl ihrer jüngeren Stücke eingespielt. Fragil und luftig konstruierte, in der Wirkung aber durchschlagende und handfeste Stücke für kleines Ensemble oder Soloinstrumente, die auf weiten Strecken desolat, verlassen, dunkel wirken, aber immer einen Kern aus Wärme und Licht in sich tragen. Das Entscheidende an Smiths Kompositionen ist immer der Klang, das große Ganze, das aus Struktur und Textur entsteht. Ein Ansatz, der viel mit den Ideen zeitgemäßer elektronischer Musikproduktion zu tun hat.

Eine etwas andere Idee zeitgemäßer Elektroakustik führt der New Yorker Komponist und Synthesizer-Explorator Mario Diaz de León auf Spark and Earth (Denovali, 27. Oktober) vor. Die von ihm bekannte kristalline Maximalelektronik kombiniert er hier mit klassischem Hair-Metal-Riffing in Ultra-HD-Produktion. Rock-Überwältigung in Loops von extremer Transparenz und architektonischer Klarheit. Immer lieber zu viel als zu wenig, aber in der extremen Fülle dann doch wieder so aufgeräumt wie möglich.

Ideen zeitgenössischer Elektronik und Elektroakustik finden sich ebenfalls in den akustischen, aber dank innovativer Mikrofonierung und knuspriger Prozessierung vollelektronisch klingenden Kompositionen und Improvisationen des kanadischen Duos Eve Egoyan & Mauricio Pauly. Aus der aparten Kombination von präpariertem Piano und präparierter Autoharp (ein Zither-artiges Instrument, das im späten 19. Jahrhundert populär wurde, etwa in der Folk-Tradition der Appalachen, und gerade in allen möglichen Zusammenhängen wiederentdeckt und neu interpretiert wird – siehe etwa Motherboard vom Oktober) entstand Hopeful Monsters (No Hay Discos, 6. Oktober), eine beeindruckende Demonstration, wie aus sehr wenig sehr viel hervorgehen kann.

Ungewöhnliche akustische Instrumente in elektronischen Strukturen spielen, das ist ebenfalls die Domäne der Münchner Allroundmusiker Andreas Gerth & Carl Oesterhelt, die seit Dekaden als Musiker und Autoren aktiv sind, etwa in Driftmachine und F.S.K., aber noch weitere Zusammenhänge bespielen, etwa Hörkunst. Auf ihrer zweiten Kollaboration sind es Cembalo, Kirchenorgel und Glasröhren, die zwischen perlend und brütend für eine Music for Unknown Rituals (Umor Rex, 17. November) in treibende bis tribale Schleifen gelegt werden.

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