Wo ein fixierter Kontext fehlt, treiben die buntschillerndsten Blüten. Manchmal zumindest. Definitiv sogar bei soaring wayne phoenix story the earth and sky (RVNG Intl., 15. September), dem Lower-Case-Debüt des britischen Multikünstlers Wayne Phoenix. Frei wuchernde Signifikanten konvergieren in zarte Electronica mit Spoken-Word-Poetry in wechselnden Anteilen von Pop und Avantgarde. Ein Werk, dem man jede Sekunde einer über zehnjährigen Reifephase anhört, das im besten Sinne außerhalb der Konventionen spielt, ohne sie zu verletzen. Eine Rebellion des Zarten.
Dazwischen und anders – der zartbittere, elektronische Avant-Folk-Pop der Berlinerin Elena Herrmann, die sich Eddna nennt, teilt eine schwebend-flüchtige Kraft des Feinen und Zarten, die doch völlig organisch und selbstverständlich in ausgewachsene Techno-Tracks münden kann. Auf ihrem Debüt Cut in Half (NIA Records, 28. Juli) geht es ja nicht zuletzt um Körperpolitiken und Traumlogiken, die zwischen verhallter Harfen-Archaik und bassgrummelnder Digi-Moderne oszillieren. Genau das Richtige zur richtigen Zeit tun, ist die Superkraft dieses Albums.
Das kanadische Paramorph Collective um die jungen Komponistinnen An-Laurence Higgins und Kim Farris-Manning ist eine elektroakustische Indie-Band, ein halbes Kammermusik-Ensemble, ein postrockendes Studio-Kollaborationsprojekt und eine improvisierende Neue-Musik-Combo. Es kann also alles, was immer schon komfortabel zwischen den Stühlen sitzen wollte. Ihr Debüt All we’re made of is borrowed (Redshift Records, 8. September) mischt folgerichtig Arrangements von zeitgenössischen Kompositionen mit eigenen Stücken am ruhigen, subtilen und leisen Ende der Neuen Musik. Das macht ihre Stücke mehr zu Neoklassik als fast alles, was gerne Neue Klassik wäre oder Neoklassik ist. Zurückhaltung, Konzentration, Spannung ohne Anspannung, kleine, ja kleinste Nachtmusiken ganz groß.
Dass Xiu Xiu entgegen aller Wahrscheinlichkeit zu so etwas Ähnlichem wie Rockstars und parallel noch zu Avantgarde-Ikonen geworden sind, verdankt sich nicht nur der Songwriter/Zerstörer-Instinkte Jamie Stuarts. Die nun auch schon seit 15 Jahren beteiligte, seit geraumer Zeit in Berlin lebende Angela Hyunhye Seo hat den Erfolg im Wesentlichen erst ermöglicht. Und zwar durch die unbedingte Verkörperung und unmissverständliche Vergeistigung von allem, was in strikter Opposition zum Mainstream steht. Seos Noise-Impulse haben Xiu Xiu zum kompromisslosen Erfolgsmodell gemacht.
Solo stehen ihre Arbeiten aus (meistens) atonalem Piano, lärmiger, granularer Prozessierung und schierem Volumen diesem Anspruch in keinster Weise nach. Ihr zweites Album Eel (Room40, 14. Juli) arbeitet sich an der total verständlichen Faszination für eine der ungewöhnlichsten Tierspezies überhaupt ab, den Aalen, die sich in ihrem Leben von Süßwasser zu Salzwasserfischen metamorphisieren und einmal um den kompletten Globus wandern, um sich in der Sargassosee fortzupflanzen – oder aber in einer ewig-juvenilen Form zu verbleiben, die praktisch nicht altert. Seos zweiteiliger Soundscape ist angemessen komplex, angemessen heftig, angemessen laut. Um aus Faszination etwas Interessantes zu machen, braucht es eben nicht nur Können und technische Klugheit. Es braucht auch einen Körper, fragil und robust zugleich, wenn auch nicht unsterblich.
Salò (Kuboraum Editions, 8. September) vom gleichnamigen Bandprojekt ist unter anderem eine Kunstedition des Berliner Projekts Kuboraum, Ergebnis einer „Digital Residency”, zugleich ein Album edler Avantgarde-Pop-Klänge. Salò sind definitiv nicht die erste Band, die sich von Pier Paolo Pasolinis Marquis de Sade in die Zeiten des Faschismus übersetzenden Film Die 120 Tage von Sodom inspiriert gibt und sich sogar nach ihm benannt hat. Dennoch ist es ein Debüt, sowohl der Band wie des Labels. Nach den ziemlich prominent besetzten Residencys von etwa Space Afrika, Ziúr, Moin, and μ-Ziq ist Salò ein Genre-überschreitendes Projekt, dem es gelingt, die volle theatralische Performance-Breitseite zu liefern und dabei doch feinen, elektronischen Pop zu machen.