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März 2023: Album des Monats

Tzusing – 绿帽 Green Hat (PAN)

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Fünf Jahre ist es her, dass Tzusings gefeiertes Debütalbum 東方不敗 erschienen ist. In der Zwischenzeit veröffentlichte er eine Split-EP mit M.E.S.H., die den Wechsel zu PAN markierte, nachdem seine Labelheimat lange L.I.E.S. gewesen war, und Beyoncé benutzte einen Track von Tzusing in einem Werbespot für ihre Sportmodemarke. Nun erscheint seine zweite LP 绿帽 Green Hat – erneut auf PAN. Beyoncé und PAN, das sind zwei gegensätzliche Pole, die bei Tzusing Sinn ergeben.

Nicht dass 绿帽 Green Hat Pop wäre: poppige Lead-Melodien spielen hier keine Hauptrolle. Aber so aneckend einige Harmonien und Geräusche klingen, so sehr kann man sich die mächtigen Drums und die spannungsgeladene Atmosphäre als Musik in einem Action-Blockbuster vorstellen. Und das ist im besten Sinne gemeint. Denn Green Hat schafft Momente von cinematischer Größe: Angst, Bedrohung, Spannung, Beklemmung.

In „Idol Bagge” etwa empfangen unheilvolle Streicher und die verängstigte Schnappatmung einer weiblich klingenden Person. Irgendwann setzt ein hallendes, spooky Gelächter ein und es entspinnt sich ein Track, der den Wahnsinn einer zum Mord entschlossenen Person vertonen könnte. Oder „Clout Tunnel” feat. Suda: ein langsamer Breakbeat und eine rotzige Melodie erinnern entfernt an The Prodigy und lassen eine Matrix-Kampfszene vor dem inneren Auge erscheinen.

Green Hat schafft Momente von cinematischer Größe: Angst, Bedrohung, Spannung, Beklemmung.

Es könnten alles auch Szenen aus der Neuverfilmung der Geschichte sein, die Tzusing dem Album zugrunde gelegt hat und in der der titelgebende grüne Hut vorkommt. Sie stammt aus dem China des neunten Jahrhunderts: Ein Geschäftsmann ist viel auf Reisen, seine Frau alleine zuhause. Sie findet im verwitweten Nachbarn einen Liebhaber. Die Affäre wird erschwert, als ihr Ehemann doch mal länger zuhause ist. Sie näht ihm einen grünen Hut, den er tragen soll, wenn er die Stadt verlässt – dieser ist das geheime Zeichen für ihren Lover, dass die Luft rein ist. Die Geschichte fliegt auf, der grüne Hut ward zum Symbol für Untreue.

Tzusing denkt auf Green Hat über toxische Männlichkeitsbilder im zeitgenössischen China nach, die sich leicht auf Europa ausweiten lassen.

„To wear a green hat is the chinese symbol of a cuckold” sagt im Intro des Albums eine maschinelle Stimme. Wer als Mann in China einen grünen Hut trägt, droht zum Gespött zu werden, weil er zu verstehen gibt: „Meine Frau betrügt mich”. Dieses Gespött, die Abschätzigkeit, die das Wort „Cuckold” beinhaltet, ist die Brücke von sexueller Untreue zu traditionellen Männlichkeitsvorstellungen. Tzusing denkt auf Green Hat über toxische Männlichkeitsbilder im zeitgenössischen China nach, die sich leicht auf Europa ausweiten lassen. Auch hier gibt es das Bild des heterosexuellen, entmännlichten weil betrogenen Mannes. Eine betrogene Frau hingegen gilt nicht als weniger weiblich.

Die Aggressionen, die diese Vorstellungen in sich tragen und auslösen, kann man auf Green Hat erfühlen. Außerdem finden sich auf diesem Album, das voller beunruhigender Geräusche ist, viele Sounds, die an klischeehafte Männlichkeitsbilder denken lassen: Tiefe Männerchöre, knurrende Tiere, schreiende Affen, Alarmsirenen, Automotoren.

All das klingt nach mehr Theorie, die sich beim Hören aber nicht aufzwingt. Die Stimmungen sind mitreißend. Auch den Club vergisst Tzusing nicht: „Gait” ist Techno mit tribalistischen Trommeln, „Endure Ruthless” langsamer, wilder EBM (Matrix grüßt wieder). Die auf 147 BPM stampfende, trockene Kick des Closers „Residual Stress” kann man sich gut in einem konzentrierten DJ-Workout vorstellen. Der Track und somit das Album schließen mit einem keuchenden Aufschrei, als hätte jemand ein Messer in den Bauch gerammt bekommen. Vielleicht ein Versuch, symbolisch das Patriarchat abzustechen.

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