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Motherboard: Februar 2023

Es gibt sie noch, die guten Sachen, erstens: Wenn sich zwei Veteranen des Postpunk und New Wave treffen, wie Daniel Miller und Gareth Jones alias Sunroof, dann darf sämtlicher Legendenstatus als Gründer von Mute beziehungsweise Produzent von Depeche Mode und vielen anderen erst mal beiseite gestellt und einfach mal mit den zahlreich vorhanden Vintage-Synthesizern herumexperimentiert werden. Die Electronic Music Improvisations Vol. 2 (The Parallel Series / Mute, 17. Februar) liefern exakt das ab, was der Albumname verspricht, voraussetzungsloses freies Spiel mit fiependen, blubbernden, brummenden Modularmaschinen. Die Freude, die die beiden bei der Produktion offensichtlich hatten, überträgt sich direkt in die Sounds. Freie elektronische Improvisation macht selten so viel Spaß.

Es gibt sie noch, die guten Sachen, zweitens: Wenn sich zwei Veteranen des Postrock-Ambient und der milde ambitionierten Elektroakustik treffen, wie Loscil und Lawrence English, dann darf alles avancierte Musikprofessorentum einfach mal beiseite gelassen, einfach reuelos und unverschämt lässig in wärmsten Drone-Sounds gebadet werden. Die Kanada-Australien-Connection hat mit Colours of Air (Kranky, 3. Februar) tatsächlich das Erwartbare gemacht. Es klingt zu 100 Prozent nach Loscil und zu 100 Prozent nach English. Das aber auf einem erwartbar stellaren Produktions- und Melancholie-Niveau. Wozu noch etwas neu erfinden, wenn man exakt weiß, was zu tun ist. Das gemeinsame Album nach jeweils über 20 Jahren Soloaktivität ist der beste und sehr locker aus der Hüfte geschüttelte Beweis, dass Innovation überschätzt wird. Im Wohlbekannten noch eigen zu klingen und etwas Neues daraus zu machen, das ist die Kunst.

Für den ähnlich lange experimentierenden und sich immer wieder verfeinernden Briten Simon Scott gilt das nicht weniger. Auf Lawrence Englishs Label (man kennt und schätzt sich, eh klar) hat Scott mit Long Drove (Room40, 20. Januar) einen Deep-Listening-Trip durch die Marschlandschaft seiner Kindheit verewigt, was einerseits seine über die Jahre entwickelte und immer mehr verfeinerte Sensibilität gegenüber Stille, gegenüber dem Reichtum von gefundenen natürlichen und künstlichen Klängen, gegenüber der Ökologie von Sound an sich demonstriert, die Vergangenheit in Shoegaze, Postrock und Drone-Ambient aber keineswegs verleugnet. Und wir wissen nun, wie die Beobachtungsposten der britischen Naturschutzgebiete Holme Fen und New Decoy klingen – nämlich gemischt, vermischt, die Natur ist voll präsent, doch die Zivilisation nie wirklich weit entfernt, sie sendet ihre Signale selbst in abgelegene, schwer zugängliche Landschaften.

Nicht ganz so lange im Spiel, aber von einer Produktivität und Qualität, die so manche etablierte Ambient-Größe beschämen müsste, bringt der Kopenhagener Paw Grabowksi Jahr für Jahr, Monat für Monat hochklassigen Loop-Ambient, Tape-Drones und Verwandtes heraus, immer mit einem selbsterstellten Cover in surrealer Collage-Ästhetik, als wäre es von Max Ernst. Wie versatil und breit das Spektrum Grabowskis allein unter seinem bekanntesten Solo-Alias øjeRum ist, zeigen die drei jüngsten Tapes und Digitalveröffentlichungen: Etwa der sakrale Drone-Noise von Reversed Cathedral (Amulet of Tears, bereits erschienen), die Analogsynthesizer-Exkursionen von Butterfly Tongues More Ancient Than Flowers (Cyclic Law, bereits erschienen) und zuletzt die nach einem biblischen Psalm benannte, 20-minütige Klavier-Improvisation Vågnende Jeg Ser De Døde (Room40, 10. Februar), die mit zwei begleitenden Remixen (oder eher von øjeRum inspirierten, ganz eigenen Stücken) von Scanner erscheint und beide in Bestform präsentiert.

Im dicht belegten und eng bespielten Freiraum des Solo-Pianos zwischen leichtem Experiment, rhapsodischer Neoklassik, flüchtiger Ambient-Melodik und luftiger Jazz-Fusion einen wiedererkennbaren Ausdruck zu finden, ist nicht die leichteste Übung. Der Franzose Melaine Dalibert ist allerdings lange genug im Geschäft, um zu wissen, wie er den Stücken von Magic Square (FLAU, 20. Januar) diese gewisse Verbindlichkeit mit einer milde knarzigen, rauchigen Geschmacksnote mitgeben kann, die sie dann doch unverwechselbar machen.

Und klar, in Jazz geht so was ebenso gut. Die etablierte musikalische Sprache vollständig zu bedienen und doch etwas zu transportieren, das anderswo herkommt, anderswo hinwill. Etwas anderes als klassischen modalen Jazz, in kleiner Besetzung, zum Beispiel Postrock, Prog und skandinavischen Free Improv im Fall von Loup Vert (L’Histoire Inconnue du Disque, 17. Februar), dem Debüt des Franzosen Julien Grassen Barbe.

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