burger
burger
burger

Die Platten der Woche im Roundtable mit Airdrop, DJ Europarking, map.ache, Eversines und Nicolai Colesnicov

Seit dem Start der digitalen GROOVE im Januar 2019 unterstützten uns in unserer Redaktion bereits mehr als 30 Praktikant:innen. Die meisten von ihnen kamen über eine schnöde Bewerbung zu uns. Nicht Felix Meßmer. Er war Fan – allerdings nicht der GROOVE, sondern von Jonas Hellberg, dem früheren Chefredakteur von rap.de. Dabei begeisterte Felix weniger Jonas’ musikjournalistische Arbeit als Deutschrap-Kenner, sondern die Musik, die er als Teil des Trance-Duos DJ Heartstring produzierte.

„Was hat er dann bei der GROOVE zu suchen?”, werdet ihr fragen. Schon ein paar Tage nachdem Felix sein Praktikum in den Redaktionsräumen von rap.de begann, fällte unser Verlag den überraschenden Entschluss, den Titel nach mehr als 20 Jahren einzustellen. Felix wanderte kurzerhand zu uns in die GROOVE-Redaktion rüber, um dort seinen Dienst zu schieben, meist mit knallgrünen Kopfhörern auf den Ohren, auf denen der rasend schnelle Trance lief, der zur Zeit so polarisiert.

Felix stieg ins News-Geschäft der GROOVE ein, das vom Struggle der Festivallandschaft mit hohen Energiekosten und Inflation geprägt war. Es gab aber auch Erfreuliches zu berichten: Carl Cox veröffentlichte ein neues Album, IKEA produziert in Zusammenarbeit mit Swedish House Mafia einen USB-Plattenspieler. Felix’ erster längerer Text war ein Konzertbericht zur Albumreleaseparty von MCR-T.

Ferner erwies sich Felix als aufmerksamer Gesprächspartner, der die Persönlichkeiten von Szenefiguren wie Tinko Rohst von OYE oder Ulrich Wombacher vom Watergate zum Strahlen brachte. Wir wünschen Felix alles Gute für seine berufliche Zukunft. Ihr dürft euch auf seinen Roundtable freuen, der neben den obligatorischen Dancefloor-Smashern bisweilen auch überraschend bedächtige Töne anschlägt.

Airdrop – ⑆ (CloudCore)

Airdrop CloudCore

Airdrop –  „⑆”

Alexis: Eine erfrischende Trance-Nummer, die angenehm durchlässig produziert ist, ohne viel Druck in Bass und Bassdrum.

Felix: Ein tranciger Track mit vielen Happy-Elementen.

Alexis: Als Ein-Track-Release auch eine Premiere bei unseren Platten der Woche. Weißt du was über Künstler:in und Label? Ich habe keine Ahnung, wer sich hinter Airdrop verbirgt, und auch CloudCore ist mir noch nie untergekommen.

Felix: Auf Bandcamp steht nichts über den:die Künstler:in. Ich bin zufällig drüber gestolpert.

Alexis:Mir gefällt der Track. Nicht aufdringlich, aber doch stark in der Auswahl der Sounds und besonders der Melodie, die im letzten Drittel schön variiert ist.

Felix: Die Melodie hat mich von der ersten Sekunde an mitgenommen.

DJ Europarking aka DollkrautBitte Everyday (UFO Inc.)

DJ Europarking – „Boompahpah”

Felix: Ich kann das „Boompahpah” aus dem Bass förmlich raushören haha.

Alexis: Hinter DJ Europarking verbirgt sich ein alter Bekannter, Dollkraut, der unter anderem auf den Labels von Jennifer Cardini veröffentlicht hat.

Felix: Eng getaktete Beats.

Alexis Waltz: Da war er eher muckermäßig unterwegs, mit 70s-Rock-lastigen Sounds. Jetzt zeitgeistig mit humpelnden Kirmes-Techno-Groove und „Huch”-Sample. Albern, aber dennoch sorgfältig umgesetzt.

Felix: Ich finde, der Sound hat etwas Ursprüngliches.

Alexis: Die Spaß-Version von Chicago House. Mega ursprünglich, ja.

DJ Europarking – 20inch Chrome”

Felix: Das ist jetzt ein Vibe-Wechsel. Die Vocals könnten so auch auf einem Ghetto-Tech-Track sein. Die, die jetzt hinzugekommen sind, haben eher was Tribalartiges.

Alexis: Voll. Er wechselt ins Technoid-Funktionale. Ja, das Vocal klingt nach Ghetto-Tech. Weniger später kommt allerdings eine durchgedrehte Flöte dazu, dann trancige Pads. Ein wilder Mix, der aber doch einen roten Faden hat.

Felix: Höre ich da Spuren von Goa und Psy raus?

Alexis: Absolut, ja.

Felix: Eine ungewöhnliche Kombination mit den Ghetto-Tech-Elementen.

Alexis: Die Tracks sind definitiv die Kampfansage an den guten Geschmack, die den Dancefloor von 2022 so gefährlich machen.

Felix: Haha, im positiven oder negativen Sinne?

Alexis: Kann man so oder so sehen, hier ist es amüsant.

DJ Europarking – „Bitte Everyday”

Alexis: Jetzt die obligatorische Breakbeat-Nummer, die nach überdrehtem Breakcore mit – wer hätte es gedacht – humoriger Note klingt.

Felix: Wieder ein abrupter Stilwechsel.

Alexis: Direkt nacheinander spielen lassen sich die Nummern definitiv nicht.

Felix: Die Vocals hören sich nach fünftägigem Durchmachen an – mit angeschlagenem Sprachzentrum.

Alexis: Total. Ihm gelingt es, bei aller Albernheit noch eine ernsthafte psychedelische Note reinzubringen.

DJ Europarking –  „Like Trampolines”

Felix: Die metallischen Drums kommen überraschend zu diesem tiefen, mächtigen Bass.

Alexis: Ja, die kraftvollste Nummer bisher.

Felix: Mir gefällt die Nummer, Vocals und Rhythmus haben etwas Einprägsames.

Alexis: Düster und fordernd mit einer heruntergepitchten Männerstimme, die nach Geisterbahn klingt. Dazu dann aber ein agiles Vocal, das nach Spätachtziger-Hip-House klingt. Zusammengehalten wird das Ganze von schmetternden Snares, einer monotonen Bassline und einer klassischen, technoiden Fanfare.

map.ache – So Oder So (Giegling)

map.ache – So Oder So (Giegling)

map.ache – „Tabac”  

Alexis: Im Plattenhandel erregte diese Giegling einiges an Aufsehen. Wahrscheinlich gehören sie zu den wenigen Labels, die noch gut verkaufen. Das ist zeitloser Minimal-House mit psychedelischen Sounds, der in Zeiten des 145-BPM-Diktats charmant aus der Zeit gefallen klingt.

Felix: Der Track ist prädestiniert für eine entspannte Afterhour.

Alexis: Exactly!

map.ache – „Alba”

Alexis: Dieser Track ist ungewöhnlich, klanglich introvertiert und vertrackt im Rhythmus. Die stehenden, leisen Orgeltöne verbreiten im Hintergrund eine stille Melancholie. Wie die Hi-Hats dann zu laut gemischt sind, wie die ganze Mischung ein wenig off ist, erinnert an Ricardo-Villalobos-Tracks.

Felix: Die unterschiedlichen Klangfarben der Drums sind auffällig.

map.ache – „4kon”

Felix: Ein kühler Wind zum Start.

Alexis: Erst ein Stimmengewirr, dann ein perkussiver Breakbeat und jazzige Samplesplitter.

Felix: Das Stimmengewirr hat etwas Bedrohliches. Trotz der geringen Geschwindigkeit vermittelt der Track etwas Hektisches.

Alexis: Leicht spooky. Total, hier geht es darum, verschiedene Bewegungsmodi miteinander zu verschränken, das macht die Spannung des Tracks aus.

Felix: Das Läuten der Glocken lockert das Ganze ein bisschen auf.

map.ache – „Love (S.O.S.)”

Alexis: Das ist der Banger der Platte, etwas mehr auf den Punkt produziert, mit einem gebündelten Groove und zielsicherer Bassline und schönen, driftenden Pads.

Felix: Der Track ist wunderschön und hat sich den Namen redlich verdient.

Alexis: Wie das Vocal im Hintergrund mitläuft, erinnert an DJ Metatron. Auf gebrochene Weise hymnisch.

map.ache – „Leftovers” 

Alexis: Hier noch die zwei Minuten und 36 Sekunden lange Coda. Auch da wird das Giegling’sche-Pathos, das sich durch die gesamte Platte zieht, spürbar, in einem zerrissenem, verhallten Vocal-Sample. Driftet sehr schön weg, die Nummer.

Eversines – New Place (Nous’klaer)

Eversines – „New Place” (Short Version) 

Alexis: Der Track beginnt mit einer Twin-Peaks-Soundtrack-Anmutung.

Felix: Sehr dreamy.

Alexis: Die Melodie wird von The-Black-Dog-Pads umspielt. Die Bassdrum sagt dann unmissverständlich Rave.

Felix: Die Bassdrum gibt dem Track den notwendigen Groove.

Alexis: Im Vergleich zu map.ache ist interessant, wie konventionell fett die Produktion klingt.

Eversines – „Whirlpool”

Alexis: Jetzt wird es langsamer und trippiger. Die Sounds haben einen Goa-Vibe, setzen diesen aber klanglich auf sehr komplexe und subtile Weise um.

Felix: Auf jeden Fall. Es klingt in keinster Weise trashig.

Alexis: Paradoxerweise entsteht der trippige Sound durch einen nüchternen Blick auf die Sounds.

Felix: Und durch die spacigen Synths, die sich nach einem sich nähernden Raumschiff anhören.

Eversines – „Nymber”

Alexis: Jetzt geht es ohne Soundscapes zur Sache, zumindest am Anfang der Nummer.

Felix: Vom Raumschiff hin zum galoppierenden Pferd.

Alexis: Seine klangliche Komplexität erzeugt er über das Drumming, auf das er einen Halleffekt gelegt hat, der sich in einem Echo verliert.

Felix: Der Song erinnert mich ein Stück weit an „Arcadia Magik” von Prometheus.

Alexis: Okay, interessant. Der Groove will treibend sein und ist damit auch ein wenig Tech-House – von gängigen Produktionen des Genres unterscheidet er sich, weil er nicht auftrumpft, sondern ganz bei sich ist. Die Raverin, die sich in sich verliert.

Eversines – Gliding

Alexis: Das Finale ist meisterlich.

Felix: Die unterschiedlichen Sounds gehen eine perfekte Symbiose ein.

Alexis: Hier kommt nochmal alles zusammen: Der vielschichtige Sound, der doch vor einer verhaltenen, minimalen Folie stattfindet, der Exzess, der gerade durch einen nüchternen Umgang mit den Klängen möglich wird.

Nicolai Colesnicov – 2022 (Self-released)

Nicolai Colesnicov – 2022 (self-released)

Nicolai Colesnicov – „Tokyo”

Felix: Hektische Breaks mit einprägsamen Vocals.

Alexis: Jetzt nochmal was ganz anderes: Nämlich ein geradliniger Drum’n’Bass-Track ohne Schnörkel, der mit Vocals eine poppige Note setzt.

Felix: Die Vocals erinnern an den gerade besprochenen Track von DJ Europarking: „20inch Chrome”.

Nicolai Colesnicov – „Deep Voices”

Felix: Weniger hektisch als der erste Track.

Alexis: Ja, etwas blass. Die Sounds klingen ungewöhnlich dumpf, was weder gut noch schlecht ist. Man versteht nicht ganz, wo er damit hinwill.

Felix: Finde ihn auch ein bisschen nichtssagend.

Alexis: Hier noch etwas Überraschendes: Einem Nicolai Colesnicov wird vorgeworfen, persönliche Daten gestohlen und mit deren Verkauf Millionen verdient zu haben.

Felix: Das kommt für mich jetzt ziemlich überraschend.

Alexis: Dennoch: Insgesamt eine starke Auswahl, vielen Dank dafür!

In diesem Text

Weiterlesen

Reviews

Motherboard: November 2024

In der aktuellen Nischen-Rundschau hören wir schwermetallgewichtigen Rock, reife Popsongs und Werner Herzogs Vermächtnis.

Lunchmeat 2024: Der Mehrwert liegt im Imperfekten

Auch in diesem Jahr zelebrierte das Lunchmeat die Symbiose aus Musik und Visuals bis zum Exzess. Wir waren in Prag mit dabei.

Motherboard: Oktober 2024

Unser Autor würde sich gern in Kammerpop legen – in der aktuellen Avantgarde-Rundschau hat er das sogar getan.

Waking Life 2024: Der Schlüssel zum erholsamen Durchdrehen

Das Waking Life ist eine Anomalie in der Festival-Landschaft, was programmatischen Anspruch und Kommerzialität anbetrifft. Wir waren dabei.