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Oktober 2022: Album des Monats

XINDL – 11 (Subject To Restrictions) 

Wenig bis gar keine Informationen lassen sich auftun über XINDL. Scheinbar aus Zürich kommend, veröffentlicht das anonyme Künstlerpseudonym auf dem dortigen Label Subject To Restrictions Discs aus dem Nichts heraus eine Reihe an analogen Electro-, EBM- und Wave-Tracks, die in ihrer puristischen Verschwurbeltheit direkt aus den Neunzigern stammen könnten, dafür dann aber doch ein wenig zu sauber abgemischt und druckvoll klingen. Viel ist in diesem Feld in jüngster Zeit erschienen, von Reissues über Neuinterpretationen, und nicht alles scheint das Vinyl wert zu sein, auf das es gepresst daherkommt. Doch diese Platte ist der real deal.

Auf dem glitchigen Opener „A.o.W.D.” geht es noch zurückgelehnt und dubbig zur Sache. Trip-hoppig erinnert es an den Vibe der immer noch legendären K&D Sessions, mit einer bestechenden Mischung aus düsteren und bekifften Beats. Selbst das mit einer Minute Laufzeit kürzeste Stück der 12-Inch – „Cat Café” – bleibt mit seinen wabernden, wirren Bläsern und blubbernden Synths im Gedächtnis, bevor „Macintosh 1948” erstmals klar in Richtung Dancefloor marschiert. Spaciger, analoger Electro, mit viel Acid und wenig Voraussehbarkeit.

XINDL schafft es, den schrägen Charakter der Wave-Ära mit Bravour in einem technisch sauberen Rahmen abzuliefern.

Das macht auch den Charme von XINDLs Produktionen aus: In guter alter Analog-Manier piept und fiept es dauernd hin und her, scheinen die Maschinen sich im ständigen Dialog miteinander austauschen zu wollen. Kaum erscheint hier ein grollendes Bass-Geräusch, schon antwortet dort die 303 mit einem neuen Sound-Ruf. Dass die Platte bei all dem Hin und Her dennoch aufgeräumt genug zum Tanzen klingt und alles seinen Platz im Mix hat, ist die große Kunst des Produzierens.

Kurz(weilig) sind die Stücke außerdem: selten reichen sie an die Fünf-Minuten-Marke heran, sind oft sogar kürzer. Alles Hinweise auf einen angestrebten Mixtape- oder Heimgebrauch-Charakter der Platte, die auf einem seit 2019 operierenden Label erscheint, wo sich bisher hauptsächlich EPs für Break-affine DJs fanden. Aber auch auf 11 geht die Party ab. „Ghost Town” macht Tempo mit Jungle-Drumbreaks und bouncigen Bässen, die leiernde, geisterhafte Synth-Line gibt dem Track seinen Charakter und Namen.

Diese teils gewagten, abseits der normierten DJ-Tauglichkeit liegenden Ideen sind die große Stärke der Platte und heben sie vom übrigen Neunziger-Nostalgie-Wischwasch der letzten Jahre ab. XINDL schafft es, den schrägen Charakter der Wave-Ära mit Bravour in einem technisch sauberen Rahmen abzuliefern. „DMX Broth” – wohl eine Hommage an den Londoner Künstler DMX Krew – ist zwar nur anderthalb Minuten lang, trotzdem kreiert XINDL mit Leichtigkeit eine dichte Atmosphäre um präzise 808-Beats und schlingernde Synths.

XINDLs 11 überzeugt als vor Integrität strotzendes Werk, das aus sich selbst schöpft und sowohl zuhause als auch auf dem Dancefloor funktioniert.

Beim wiederholten Durchhören wird die Qualität noch unterstrichen: obgleich der kurzen Laufzeit der Tracks und der Vielzahl an miteinander kommunizierenden Elementen wirkt hier nichts gestresst, alles kann sich ganz entspannt und natürlich entfalten. Das gibt den Stücken eine erstaunliche Balance aus stetigem Drive und gleichzeitiger Zurückgelehntheit. Die organische Spannungskurve bleibt intakt, auch beim x-ten Hören.

So ist XINDLs 11 weit entfernt davon, ein weiterer Abklatsch vergangener Tage zu sein, sondern überzeugt stattdessen als vor Integrität strotzendes Werk, das aus sich selbst schöpft und sowohl zuhause als auch auf dem Dancefloor funktioniert.

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