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Motherboard: Oktober 2022

Auf dem ungefähr gleichen Breitengrad wie Kanada, nur ein Drittel der Erdumdrehung weiter östlich in Norwegen, macht man das in der Jazz-Szene schon aus Tradition. Etwa der Gitarrist und Bandleader Kim Myhr. Der hat sich mittlerweile sehr weit vom traditionellen Big-Band-Sound, für den die Trondheimer und Osloer Jazz-Szenen stehen, wegbewegt. Sympathetic Magic (Hubro, 19. August) ist ein tiefenverfeinertes Ambient/Electronica-Album, das sich von der Masse der Elektronikproduktionen deutlich abhebt. Über das höchst souveräne Zusammenspiel, die Fusion-Instrumentierung, den semi-akustischen Sound und nicht zuletzt über die durchaus mächtige Besetzung mit bis zu acht Mitwirkenden, drei E-Gitarren und zwei Schlagwerkern (wohlgemerkt pro Track), die aber nie in die Vollen gehen, sondern sehr behutsam und elegant mit dem jeweiligen instrumentellen Raum umgehen, der ihnen gegeben ist.

Die Studio Intim Sessions Vol. 1 (Hubro, 30. September) des Osloer Gitarristen und Bandleaders Geir Sundstøl sind zumindest im Vergleich mit St. Hanshaugen Steel, seinem ersten Album für das Osloer Label Hubro vor zwei Jahren, etwas kleinformatiger geraten. Kein Big-Band-Jazz, sondern Dub-Rock Fusion mit Country-Western-Flair in Indierock-Besetzung. Macht vor allem erst mal gute Laune. Die instrumentalen Feinheiten und das immense technische Können, das hinter dem Ganzen steckt, kommen nach und nach zum Vorschein.

Ebenfalls ziemlich spannend, wie sich das paneuropäische Ensemble ABHRA unter der Leitung des französischen Saxofonisten Julien Pontvianne den altbewährten Jazz hernimmt und mit Lyrik aus allen Teilen der Welt in einen minimalistischen wie fragilen Schönklang umbaut. Die Seven Poems on Water (Onze Heures Onze, 30. September) operieren ganz nah an der Stille und könnten doch deutlicher nicht werden. Das Harte im Zarten scheint hier auf.

Immer wieder bemerkenswert, wenn Dinge einfach richtig zusammenkommen, manchmal erst nach vielen Jahren. So wie im Fall des italienischen Produzenten Daniele Guerrini. Der veröffentlicht als Heith seit ungefähr zehn Jahren regelmäßig auf den eigenen Labels Haunter Records und Saucers ergebnisoffene Elektronik, die sich gerne bei den frühdigitalen Sample- und Glitch-Formen der Neunziger und Jahrtausendwende bedient, ihren Ausdruck in Collage-Ambient, Post-IDM und Splitterbeats findet. All diesen Einflüsse und Weiterspinnungen lassen sich auf dem ersten Heith-Album für das Berliner Label PAN noch erspüren. Auf X, Wheel (PAN, 7. Oktober) allerdings in einen größeren Kontext gesetzt. Es geht um nichts weniger als das Wesen der Realität. Diese Aufgabe in Sound gesetzt, ergibt dann eben nicht (nur) Retro- oder Neo-Glitch, sondern eine neu und frisch klingende experimentelle Folk-Electronica, die sich in der zeitgeistig etwas jüngeren und aktuelleren Ästhetik des amorphen, apokryphen, fluiden und nichtbinären heimisch fühlt. Und in Texturen, die jede Verzerrung ultra-hochaufgelöst zum Glitzern bringen.

Dass am Strand von Tel Aviv die Dunkelheit von Post-Punk und Coldwave eine bleibende Heimat gefunden hat, ist spätestens seit The Beach Goths der Red Axes ein soziokultureller Allgemeinplatz, aber selbstverständlich voll wahr. Wo die Red Axes ausgehend von Freak-Techno ihre eigene Dunkelmänner-Vergangenheit in Lowest-Fi neu erfunden haben, geht Shlomi Zvi den umgekehrten Weg. Als Staghorns rekonstruiert er House im Strictly-Rhythm-Sound mit dem Sentiment von Minimal Wave und kühlem Synthpop und einer brillanten, trennscharfen, raumtiefen Produktion. Ebenfalls eine spannende Art und Weise, Deep House nach heute klingen zu lassen.

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