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Motherboard: Oktober 2022

33 nennt sich das schwer ambitionierte Berliner Projekt von Billy Bultheel und Alexander Iezzi. Ihr ausladendes Debüt 33-69 (C.A.N.V.A.S., 21. Oktober) tritt an, die Kategorien von Ernst und Spaß, Kunst und Anti-Kunst, Club und Post-Club zu sprengen, vor allem technisch-interpretatorisch aufzuheben, was Neoklassik und Techno als Klischees und Wahrheitskern jeweils ausmacht. Das hört sich dann erst mal nach dekonstruiertem Hyper-Club an, nach der Auflösung und Selbstaufgabe komplexer Strukturen in Chaos, Disruption und Noise. Diese Anmutung von Klang als Krieg könnte aber falscher nicht sein. Die tiefere Wahrheit liegt in der vergrabenen Schönheit der Klänge und Strukturen, in der immer durchscheinenden Wohlgesetztheit ihrer Emotionen. Eleganz, könnte man das nennen. Aber ist es nicht viel mehr Liebe? Strenge Liebe, brutalistische Zuneigung, zugegeben.

Die in Schottland lebende kanadische Komponistin Bekah Simms, die ansonsten durchaus elektronisch und digital mit Samples und Loops arbeitet, lässt es auf Bestiaries (Centrediscs, 28. Oktober) vollanalog krachen. Ist das ein ultimativ disruptiv-expressiver Post-Club-Sound mit anderen Mitteln, also rein analog gebaut aus den chaotischen Fragmentarien klassisch-modernen Krachs? Oder ist das die No-Wave-/Post-Goth-Avantgarde, die sich in den frühen Achtzigern ankündigte und dann doch nicht kam? So ein trötender bis brüllender Frei-Knarz mit kaputter Kuckucksuhr und Tribal-Boller und operaeskem Gestöhn ist jedenfalls dringend nötig gewesen. Zu jeder Zeit.

Treffen sich zwei britische Techno/House-Expats in Berlin, was machen die dann? Klaro: Doom und Sludge-Metal mit extra brutal verzerrten Vocals und brachialen Feedback/Gitarren-Noise zum Abwinken. So gehört sich das. Persher nennt sich das Projekt der bislang nicht als speziell Metal-affin aufgefallenen Blawan und Pariah. Aber ihr Debüt, die Mini-LP Man With The Magic Soap (Thrill Jockey, 21. Oktober) liefert ebendiesen in den krasseren Spielarten, bis die Ohren bluten.

Treffen sich ein Drone-Gitarrist aus dem Iran und ein US-amerikanischer Autor pessimistischer Aphorismen virtuell auf einem Post-Industrial-Label in der Schweiz, was machen die dann zusammen? Klaro, nihilistischen Gitarren-Drone mit Industrial-, Noise- und Metal-Anklängen und einer Inspiration aus den Zeilen berühmt-berüchtigter Poètes Maudits. So beschrieben kommen die Songs For Sad Poets (Hallow Ground, 23. September) von Siavash Amini & Eugene Thacker als konzentrierte schlechte Laune rüber, was aber nur einem Teil der Wahrheit dieser Klänge entspricht. Denn wie Thackers Texte sind die Klänge ebenso lyrisch wie brutal, ebenso poetisch wie resigniert.

Treffen sich zwei, ne, das wird so langsam alt. Außerdem haben sich Lotus Eater sowieso schon vor vielen Jahren getroffen und mittlerweile ihre jeweils alten Identitäten als Techno-Veteranen Lucy und Rrose bzw. Sutekh ebenso so gründlich verflüssigt wie geschlechtliche oder andere Zuschreibungen. Die Freiheiten und Reibungen, die sich aus diesen Liquifizierungen ergeben, haben sie in das dunkel-elektrische Plasma (Stroboscopic Artefacts, 11. November) gegossen. Hochviskose Ströme zähflüssiger Finsternis, die sehr gut ohne geraden Beat existieren können, diesen aber doch immer wieder in sich aufnehmen, zu ihren eigenen Bedingungen, als pulsierendes, organisches Leben ohne Punch, ohne Druck, in tiefer Dunkelheit geborgen, in der sich Kontur und Inhalt kaum noch unterscheiden ließen, wäre da nicht die brillante, extrem trennscharfe Produktion, in der die langjährige Erfahrung und die technologischen Skills der beiden Produzent:innen doch wieder offenbar werden.

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