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Motherboard: Oktober 2022

Musiker:innen, die üblicherweise in experimentellen Zusammenhängen, Improv, Free Jazz, Elektroakustik arbeiten, aber zusammenkommen, um Pop zu machen, sind keine Ausnahme, keine Seltenheit mehr, aber doch immer wertvoll und willkommen. Wie das Trio Delish, dessen Mitglieder aus der norwegischen Improv- und Experimentalszene stammen, aber auch in Jazz-Ensembles und Indie/Pop-Projekten gespielt haben, das all diese Erfahrungen nutzt (diese alle auch irgendwie ein wenig wegwirft), um auf ihrer Debüt-EP The Dip (Sheep Chase Records, 23. September) Shoegaze und Lo-Fi-Pop so zu verbinden, dass das Experimentelle noch irgendwie hörbar ist, sich aber zu keiner Zeit in den Vordergrund drängt. Also ein tolles, gänzlich unprätentiöses Pop-Projekt, das einfach unglaublich viel kann und weiß, ohne dieses Können und Wissen je auszustellen.

Klein Zage ist richtig weit vorangekommen. Das Albumdebüt Feed The Dog (Rhythm Section, 28. Oktober) der Londoner Produzentin Sage Redman hat mit den typischen Soundmerkmalen des Lo-Fi/Outsider-House, mit dem sie bekannt wurde, kaum noch etwas zu tun. Ihre Produktion ist trennscharf und gleißend geworden. Vor allem aber hat sie zusammen mit dem Sound noch die zum Klischee gewordenen Standards des Genres (etwa clevere Samples in hoher Rotation) hinter sich gelassen und tatsächlich etwas ziemlich Eigenwilliges und offen Klingendes probiert, etwas, das in und mit und genau zwischen den Trip-Hop-Neunzigern und den Post-Club-Zwanzigern spielt. Mit Stilen, denen sie auf eine Weise nahekommt, dass sie von den jeweiligen Konventionen dieser Zusammenhänge ungefähr gleich weit entfernt bleiben. Also Distanz und Intimität, wohldosiert vereint in hochmoderner Electronica und zukunftsweisender Popmusik.

Die in London lebende Australierin Princess Diana Of Wales oder bürgerlich Laila Sakini ist für ihre vierte LP Paloma (Modern Love, 21. Oktober) bei dem nicht riesigen, aber doch immens einflussreichen und breitenwirksamen Label Modern Love aus Manchester untergekommen. Das erscheint absolut folgerichtig, obwohl Sakini oberflächlich so gar nicht dem Labelsound folgt. Angefangen mit elektronischen Klängen zwischen Indie, R’n’B und Electronica, hat sich Sakinis Output zu einem konsequenten Experimentierfeld entwickelt, in dem luftige Pop-Songs und elektroakustische Sound Art ungefähr dasselbe bedeuten. Es geht um Hoffnung: Nichts ist vergeblich, erst recht nicht die Kunst und das Ausprobieren. Schön. dass es hin und wieder noch Erfolgsmodelle gibt, die diese Annahme bestätigen können.

Das universell nichtbinäre Post-Internet-Universalgenie Angel Marcloid alias Fire-Toolz hat ja vor nicht mal einem Jahr mit dem doppelten Triple-Album Eternal Home samt angegliederter Versions und Remixe schon mal (wiederholt) ein Statement abgegeben, das markanter kaum sein könnte. Die selbstverlegte CD I will not use the body’s eyes today (Fire-Toolz, 11. Oktober) ist da verhältnismäßig zurückgenommen im Umfang, aber nicht im Inhalt. Im Gegenteil, die Stücke können als komprimierte Einführung in Marcloids endlos faszinierendes Sounduniversum dienen.

Es gibt ja besonders häufig in den USA so Provinznester, die für die Musikhistorie irgendwann unverhofft zu einer zentralen Instanz werden. Ann Arbor, Michigan war und ist so etwas für Techno, als erweitertes Suburbia-Detroit, und ebenso für Noise-Rock, Free Jazz und Freak-Sounds aller Art. Und James Marlon Magas hat sich zwischen all den Szenen immer gerne und frei bewegt, seine Band Couch (nicht zu verwechseln mit den Münchner Postrockern gleichen Namens) war in den frühen Neunzigern so ein Kondensationskern, von dem aus sich einiges entwickelte, was bis heute in der experimentellen Szene wichtig und relevant bleibt. Solo gibt Magas auf Confusion Is My Name (Midwich Productions, 21. Oktober) den junggebliebenen Entertainer mit leichten Abnutzungserscheinungen, der zwischen Suicide und DAF einen DIY-Electro-Pop baut, der auch mal Techno sein möchte. Wie bei Viktor Marek alias Mr. Subtitle im vergangenen Monat haben wir es hier mit einem notorischen Kollaborateur zu tun, der hier mal den Lo-Fi-Alleinunterhalter an Beatbox und Heimorgel gibt, selbstverständlich mit einigen prominenten (Asia Argento, Electronicat) und prominösen (Quintron, Miss Pussycat) Gästen.

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