Was für Synergien sich hier auftun. Der Superstar des neoklassischen Pianos und der Superstar des Hi-Tech-Techno interpretieren ein definierendes Album des Minimal-Techno. Auf Consumed in Key (Turbo Recordings/!K7, 1. April) treffen sich die Innovatoren und Disruptoren Plastikman und Chilly Gonzales, um ein Werk ultimativer Relevanz von bisher ungeahntem Wert zu schaffen. Ein Gamechanger der modernen Club-Elektronik. Wo sich Kreativität und Emotion treffen, gibt es keine Grenzen.
Das Dresdner Duo Qrauer kann nicht auf einen vergleichbaren Prominenzhintergrund bauen, bastelt auf der wirklich sehr hübschen Heeded EP (Nonostar, 22. April) allerdings an einem ähnlichen Entwurf von Piano-Pop-Techno und Techno-Piano-Pop. Ohne Minimal-Vergangenheit gelingt das natürlich etwas opulenter und druckvoller. Piano und Drums, da liegen die Konvergenzen.
Robert Haigh hat dagegen definitiv ein massives Prominenz-Achievement angesammelt in 40 Jahren britischer Musikhistorie: vom Industrial-Disruptor zum Drum’n’Bass-Entscheider Omni Trio zum Klavier-Neoklassiker. In dieser jüngsten Phase dann allerdings ganz ohne Beats. Aber minimal. Auf seinem dritten dezidierten Piano-Only-Album Human Remains (Unseen Worlds, digital bereits im März erschienen, Vinyl im November) gibt Erik Satie den minimalen Rhythmusgeber. Delikat gesetzte, sehr sparsam arrangierte Miniaturen, die sich irgendwo zwischen späte Romantik und die Vorboten der Moderne setzen, heute also klingen, als hätte es sie schon immer gegeben. Was selbstredend eine sehr gute Sache ist.
Der Schweizer Schlagzeuger Julian Sartorius arbeitet indes an der weiteren Verfremdung von Beats gegenüber sich selbst und allem anderen – unter bester Erhaltung der Wiedererkennbarkeit. Nach dem im vergangenen Juli erschienenen und superkorrekt größenwahnsinnigen Locked Grooves (-OUS) mit exakt 112 exakt eine Minute und eine Sekunde dauernden Drum-Loops testet Mux (Marionette, 28. April) nun ein anderes Extrem, nämlich das des arrhythmischen oder anti-rhythmischen Grooves. Wie kann ein Rhythmus ohne jegliche Metrik, ohne Wiederholung und Takt sein und doch irgendwie ein tanzbares – oder vielleicht eher bewegbares – größeres Ganzes ergeben? Mux gibt erstaunliche, Hirn wie Körper twistende Antworten.
Ebenfalls Schlagzeuger mit Hang zum Überschreiten sämtlicher ungeschriebener Gesetze und Konventionen rhythmischer wie melodischer Art ist der New Yorker John Colpitts, der als Man Forever den coolen Retro-Rock’n’Roller gibt, als Kid Millions den wagemutigen Improvisator und unter seinem bürgerlichen Namen alle weiteren Experimente anstellt. Zudem spielt und produziert er in allerlei interessanten Rock-, Jazz- und Noise-Bands, am stetigsten wohl bei den Neo-Psychedelikern Oneida. Das Tape Music From The Accident (Thrill Jockey, 22. April) lässt sich nicht mal innerhalb der drei Stücke in irgendeine Kategorienschublade stecken. Ein wubbernder Synth-Drone, eine verknotet-arrhythmische Percussion-Improvisation und ein beeindruckender, psychedelischer Postrock-Improv-Track mit Jessica Pavone an der Viola demonstrieren sehr lässig, wie Freiheit geht.
Ebenfalls mit reichlich Prominenz können The Plastik Beatniks aufwarten. Sie sind so eine Art Supergroup des Labels Alien Transistor der Acher-Brüder mit vielen Label-Künstler*innen, Freund*innen und assoziierten Musiker*innen wie der genialen Angel Bat David. Ihr Album ist konzeptionell hochwertig und darin durchaus eigenwillig eine Hommage an die Beat-Literaten und Jazzpoets der Fünfziger, speziell an den „American Rimbaud” und Underdog unter den selbstgewählten Underdogs Bob Kaufman. Auf All Those Streets I Must Find Cities For (Alien Transistor, 29. April) spielt das Orchester so einen Hörspiel-Fünfziger-Fake-Jazz über Tape-Schnipsel der Beats. Also schon sehr eigenwillig, aber auch irgendwie cool und groovy, so, wie die Beats gerne gewesen wären.
Wenn sich Jan Jelinek und Frank Bretschneider treffen, um elektronischen Free Jazz zu machen, ist die hochkonzeptionelle Herangehensweise praktisch schon in der DNA. Und die doppelt hybride Metaebenenreflektion bereits intrinsisch, wie zum Beispiel – so nennen Jelinek und Bretschneider ihr gemeinsames Projekt – auf Muster (Faitiche, 18. März) vorgeführt. Streng kontrolliert, aber frei, wie kaum anders zu erwarten irgendwie anstrengend, aber nicht zu sehr, und irgendwie genial, aber nicht übertrieben.