Ein ausrangierter MMM-Stempel-Gummi (Scan: MMM)

In diesem Track by Track geht es um einen Track, der 1997 in Berlin erste Bömbchen warf und dann Schritt für Schritt, Beat für Beat, Jahr für Jahr die Welt eroberte: „Donna” von MMM. Mit ikonischem Electro-Groove, einer wild oszillierenden Synth-Line, die sich nicht entscheiden kann, ob sie nun Bass oder Lead ist, und minimalem Verve, der den Rücksturz auf die alles entscheidenden Elemente des elektronischen Dancefloors markierte. Thaddeus Herrmann stellt den Track des Duos vor, dessen Debütalbum nach einer mehr als ein Vierteljahrhundert umfassenden gemeinsamen Geschichte am 29. Oktober erscheint.


Wie entstehen eigentlich Klassiker? Und vor allem: Was ist das überhaupt? Ein Stück Musik mag in den Top 10 der einen für alle Zeiten fest verankert sein, in der Bestenliste des anderen jedoch überhaupt keine Rolle spielen. Das ist keine Überraschung: Auf dem Dancefloor der Drumboxen und Synths stehen sich seit jeher zwei fundamental unterschiedliche Herangehensweisen gegenüber: Die Forschung an der klanglichen Zukunft – oft radikal und ob des Neuen fordernd – und das sanfte Hinabsinken in die Vertrautheit vergangener und bekannter Referenzen. Wer die Schnittmenge trifft, es schafft, beide Aspekte miteinander zu verbinden, hat gewonnen. MMM gelang 1997 mit „Donna” genau das. Der Groove war edgy – das Sound-Design aber so over the top, dass es Raver*innen eine neue Überholspur in Sachen Abfahrt hinlegte: Fünf Minuten und 54 Sekunden Future. Wie geht sowas? Das muss doch mehr als Zufall sein.

MMM (Foto: Presse)

MMM sind Erik Wiegand (solo als Errorsmith unterwegs und zudem eine Hälfte von Smith N Hack) und Michael Fiedler (alias Fiedel – DJ extraordinaire und Berghain-Resident). Fiedel kam 1994 nach Berlin und lernte Erik über DJ Niplz kennen. Niplz – für alle, die Berlin in den 1990er Jahren nicht selbst miterlebt haben – war eine Institution in Sachen House. Der Mittwoch im Tresor wurde von ihm kuratiert, und mit seiner Radioshow Housetraxx auf KISS FM schickte er die Tracks in den Äther, die Barry Graves mit seinen Sendungen populär gemacht hatte; nicht nur aktuelle Produktionen, sondern auch jede Menge Disco-Klassiker. Seit dem Beginn des gemeinsamen Projekts 1996 haben MMM gerade mal acht 12-Inches veröffentlicht. Nun erscheint ihr erstes Album: On The Edge.


„Für mich war das Stück schon ein Signal. Ich weiß nicht, ob ich Errorsmith gestartet hätte – überhaupt den Mut gehabt hätte – ohne diesen Track.”

Erik Wiegand

„Donna entstand in meinem Studio in Charlottenburg”, erinnert sich Erik. „Ich hatte vor dem Beginn von MMM bereits ein paar Jahre lang Tracks gemacht, aber noch nichts veröffentlicht. Wie das geht – Platten zu machen – interessierte uns beide. Lass uns gemeinsam Musik machen und das dann in Eigenregie releasen. Ich mochte Fiedels DJing sehr. Er spielte funky und deep. Ich mag dieses Wort eigentlich nicht, aber zu dieser Zeit ging es in den Berliner Clubs doch oft genug recht teutonisch zu.”


Auf diesem Bogen haben Erik und Fiedel zwischengestempelt, wenn die Stempelfarbe zu dünnflüssig war, um einen guten Abdruck auf dem Label von Donna zu bekommen. (Scan: MMM)

„Ich spielte nach meiner Ankunft in Berlin schon bald meine ersten DJ-Gigs. Ich mochte die Atmosphäre in Berlin und und vor allem die kleinen Läden, die es damals noch gab: den Sensor im Prenzlauer Berg oder das Sexyland am Rosenthaler Platz. Niplz nahm mich mit zu Erik, und ich hatte viele Fragen zu den Geräten, die er hatte. Wir haben dann einfach angefangen. Nicht nur, weil es manchmal einfach vier Hände brauchte”, ergänzt Fiedel.


Die alles beherrschende Sequenz des Stücks klingt wie ein Nachhall der New Wave-, New Beat- und EBM-Originators, dramaturgisch verdichtet und Sci-Fi-überdreht: eine echte Notlandung auf dem Dancefloor.


Ein Jam also. Die Mutter aller Legenden-Geschichten, wenn es um ebenso legendäre Tracks geht. Maschinen an, und bitte. „Aus heutiger Sicht hätten wir klanglich schon noch mehr aus dem Stück rausholen können, aber so war das eben damals. Die Session haben wir auf DATs aufgenommen, die ich dann später im Rechner editiert habe. Wobei: Hier waren es nur sehr wenige Edits. Am Ende musste ich ein wenig tricksen. Denn die Sequenzen laufen in unterschiedlichen Taktmaßen – das lässt sich schlecht schneiden, wenn es um Loops geht”, so Wiegand.

Mittäter Sven Väth

Sowohl die erste gemeinsame 12-Inch Electro Cut von 1996 als auch Donna ein Jahr später vertrieben Wiegand und Fiedler selbst: Klinken putzen in Plattenläden. Waren die beiden unterwegs – egal wo –, hatten sie immer einen Karton mit Platten dabei und verkauften Maxi um Maxi. Beim Hard Wax waren die Vertriebsstrukturen für Labels aus dem Umfeld des Plattenladens wie Basic Channel, DIN, Chain Reaction etc. gerade erst im Entstehen.

https://www.youtube.com/watch?v=rCDlUNE7_xo

„Dass das Stück heute so einen Status hat, kam Schritt für Schritt”, erinnert sich Fiedel. „Es muss 1998 gewesen sein, als Sven Väth die Platte im Hard Wax kaufte – und dann im Omen und in der HR3-Clubnight spielte. Bei eBay wurde dann manchmal neben die Platte gesetzt: Omen-Brett. Die Platte hat sich stetig verkauft, wir haben immer wieder nachgepresst über die Jahre. DJ Hell hat 1999 das Stück für eine Mix-CD lizenziert, die vor allem außerhalb von Deutschland wahrgenommen wurde. Das half auch.”


Donna auf der Mode-Party ist letztendlich nicht weniger als die alles in Frage stellende These von Kraftwerk und ihrem korrekten Modell.


Die Plattenvertriebe begannen, sich um die Platte zu reißen. Fiedel sagt, dass er bei einem der damaligen Platzhirsche in Deutschland eine Absage kassiert hatte für MMM, dann kaufte der Vertrieb von Hard Wax unzählige Kopien von „Donna”. Wiegand glaubt, dass auch der White-Label-Charakter geholfen hat. Dabei ging es nie darum, nur ein paar 100 Kopien zu pressen und sich so selbst rar zu machen.

Fakt ist: Der Track ist selbst aus heutiger Sicht noch ein radikaler Bruch mit den immer wieder in Frage gestellten Standards und Kontexten. Die alles beherrschende Sequenz des Stücks klingt wie ein Nachhall der New-Wave-,New-Beat-,EBM-Originators, dramaturgisch verdichtet und Sci-Fi-überdreht: eine echte Notlandung auf dem Dancefloor mit jeder Menge roten Warnleuchten, dem Nebel, dem Staub und der restlichen Debris, die entsteht, wenn eine Weltraumkapsel wieder landet.

Auf diesem Bogen haben Erik und Fiedel zwischengestempelt, wenn die Stempelfarbe zu dünnflüssig war, um einen guten Abdruck auf dem Label von Donna zu bekommen. (Scan: MMM)

Das Stück ist ein Brückenbauer. Mix-Beispiel gefällig? „The Fashion Party” von The Neon Judgement (1988) nimmt den kompromisslosen Approach von „Donna” zwar nicht vorweg, fungiert jedoch mit seiner pulsierenden Kraft in der Synth-Line als Blaupause für die These, die uns auch heute noch weitermachen lässt. „Donna” auf der Mode-Party ist letztendlich nicht weniger als die alles in Frage stellende These von Kraftwerk und ihrem korrekten Modell. Gut zu wissen, dass Donna bis heute als meistverkaufte 12-Inch aller Zeiten im Glasgower Laden Rubadub gilt.

„Für mich war das Stück schon ein Signal“, sagt Erik. „Ich weiß nicht, ob ich Errorsmith gestartet hätte – überhaupt den Mut gehabt hätte – ohne diesen Track.”

Immer nur, wenn es passt

Nach Donna war Pause – elf Jahre, um genau zu sein. Diese Karenz war kein Kokettieren mit der eigenen künstlerischen Persona, sondern schlicht Zeichen der gegenseitigen Verpflichtung, nur dann etwas auf Vinyl zu pressen, wenn es auch Sinn macht. Klingt logisch, ist im heutigen DJ-Zirkus aber kaum noch vorstellbar. Vielleicht ist das schon der Schlüssel, um MMM zu verstehen. Das kontinuierliche Am-Ball-Bleiben for the sake of it ist nicht die Sache von Wiegand und Fiedel.

MMM (Foto: Presse)

Das neue – erste – Album ist das beste Beispiel dafür. On The Edge ist kein wirklicher Bruch im Sound-Gemenge von MMM, zeichnet sich aber dennoch durch einen anderen Grundton aus – einen, der auf den eher neueren Produktionen immer präsenter wurde. Das Ruhige, „das Meditative”, wie Wiegand es nennt. Eines der Themen der LP sind Akkorde – kein Neuland für das Duo, aber dennoch ein neuer Fokus. Reduziert, verzerrt, wenn es sein muss, bauen MMM so ihr Klanguniversum aus. Die Zeiten der Jams sind lange vorbei – die Faszination bleibt. Weil On The Edge ein Statement ist, das in all seiner offenherzigen Direktheit letztendlich doch ein vorsichtiges Herantasten an unsere unscharfe Realität ist. Keine Disco, keine Peaktime, eher eine Echokammer der Liebe zu Sounds und Grooves. Zur Musik.

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