Ryan James Ford legt 1997 auf einer Party in Calgary auf. (Sämtliche Fotos: Archiv Ryan James Ford)

Der kanadische Künstler Ryan James Ford ist vor allem für seinen modernen IDM- und Ambient-lastigen Techno-Sound auf Labels wie MDR, ACR oder Clone Records bekannt. In den sechs Jahren seit seinem Debüt auf Marcel Dettmanns Label konnte er 16 EPs herausbringen; fünf davon auf seinem eigenen Label SHUT.

Gerade ist sein erster Langspieler auf Clone erschienen. Er markiert einerseits einen Meilenstein in Fords musikalischem Schaffen, andererseits eine sehr persönliche Retrospektive auf seine Zeit als Kind und Jugendlicher im Kanada der Neunziger Jahre. GROOVE-Autor Johann Florin sprach mit Ford über Kanadas Lost Places, warum Unwissenheit auch Freiheit bedeuten kann – und warum Marcel Dettmann und Theo Parrish ihn dorthin gebracht haben, wo er heute steht. 


Während die Clubs dieser Welt langsam wieder ihre Pforten öffnen und Feiern wieder möglich wird, geht Ryan James Ford es eher langsam an. „Ich habe es gerade nicht besonders eilig wieder aufzulegen”, verrät er. Nur die obere Hälfte seines Gesichts ist zu sehen, während er sich an einem Montagnachmittag gut gelaunt in seine Handykamera lehnt.

Er freue sich zwar darauf, wartet aber auch noch gerne, bis es wieder unbeschränkt und maskenlos möglich ist. „Ich finde es wichtig, wieder zu spielen, ich finde es aber auch wichtig, das unter den richtigen Umständen zu tun”, erklärt Ford. Lieber konzentriere er sich derzeit auf das Produzieren.

Ryan James Ford vor dem Le-Corbusier-Haus in Berlin (Foto: Archiv Ryan James Ford)

Eine EP ist dieses Jahr im Vorfeld seines Albums schon herausgekommen. Auf Kaki versammelt Ford fünf alternative Versionen einiger Tracks des neuen Albums. Wie das Album ist auch Kaki sehr vielseitig geworden. Geradliniger Acid-House, gedämpfter Ambient und Rave-orientierte Drum-Breaks sind darauf zu hören. Im Gegensatz zu den Veröffentlichungen der letzten Jahre wirkt Kaki dabei überraschend nachdenklich, fast verkopft.

Die kanadische Stadt Calgary in den 1990er Jahren. Ryan James Ford verbrachte hier den größten Teil seiner Jugend (Foto: Archiv Ryan James Ford)

Kaki ist Fords dritte Veröffentlichung auf dem niederländischen Label Clone Records und folgt auf zwei EPs, die zuvor in der Basement Series erschienen sind. Im September folgt nun auch sein vorläufiges Opus Magnum via Rotterdam. Über 14 Tracks kreiert Ford auf seinem Debütalbum Exshaw ein Prisma des Klangspektrums der Neunziger, das er gekonnt in die Gegenwart transportiert. Die Wurzeln, die Ford noch als junger Raver in IDM, Ambient und Drum’n’Bass geschlagen hat, sind darauf ebenso zu hören wie seine Liebe für moderne elektronische Musik.

Ryan James Ford in der dritten Klasse (Foto: Archiv Ryan James Ford)

Auch wenn Ford schon lange Musik macht, begann sein professioneller musikalischer Werdegang erst vor sechs Jahren in Berlin. Damals habe er extrem viel produziert und hatte zum ersten Mal das Gefühl, etwas Präsentables geschaffen zu haben. Erst 2012, drei Jahre zuvor, war Ford gemeinsam mit seiner Freundin nach Deutschland gezogen. „Ich wollte immer schon weg, irgendwo an einem anderen Ort wohnen”, erklärt er. „Als ich dann nach einigen Jahren des Produzierens dachte, ich hätte etwas einigermaßen Anständiges zustande gebracht, fing ich an, E-Mails zu versenden. Ich sendete meine Musik damals einfach an alle, auch an Leute, bei denen ich heute weiß, dass sie meine Musik definitiv nicht hören wollten”, erinnert er sich schmunzelnd. „Ziemlich peinlich, wenn ich heute so darüber nachdenke”, ergänzt er und muss lachen.


„Ich weiß nicht, ob ich heute professionell Musik machen würde, hätte ich diese Mails damals nicht bekommen.” 

Ryan James Ford 

Eigentlich ohne Hoffnungen, dass etwas zurückkommt, war er umso überraschter, als auf einmal eine Mail von House-Ikone Theo Parrish in seiner Inbox landete. „Die Mail war sehr kurz und extrem trocken. Ich glaube, er meinte so etwas wie: ‚Ok, weiter so’”, erzählt Ford immer noch enthusiastisch.

Trotz der Nonchalance habe er damals unglaublich viel Kraft und Ansporn daraus schöpfen können. Doch es war vor allem die kurz darauf erhaltene Mail von Marcel Dettmann, der ihm anbot, seine Musik via MDR zu veröffentlichen, die Ford den Weg ebnete. „Ich weiß nicht, ob ich heute professionell Musik machen würde, hätte ich diese Mails damals nicht bekommen”, gesteht er.

Ein Rave in Calgary in den 1990er Jahren (Foto: Archiv Ryan James Ford)

Ford ist in den Achtziger und Neunziger Jahren im kanadischen Calgary aufgewachsen. Seinen Zugang zur Musik fand Ford als Kind und Teenager in den Radioshows seiner Heimat. „Es gab damals eine sehr große Vielfalt musikalischer Einflüsse in Calgary. Obwohl es nur ein paar Shows gab, umfassten die eine wahnsinnige Bandbreite an Stilen”, erinnert sich Ford.

Seine gesamte Jugend sei geprägt gewesen von ständig neuen musikalischen Entdeckungen, die ihn schon immer nachhaltig geprägt haben. „Ich glaube, durch die Vielseitigkeit der Shows habe ich eine sehr kanadische Perspektive auf Musik verinnerlicht. Es gibt nicht die eine kanadische Identität. Kanadas Kultur setzt sich aus den unterschiedlichsten Einflüssen zusammen. Ich schätze mal, dass sich das auch in der Musik niederschlägt”, meint Ford.

Die Night Gallery in Calgary (Foto: Archiv Ryan James Ford)

Sein erstes Tape mit elektronischer Musik fiel ihm in der neunten Klasse durch einen Mitschüler in die Hand. „Das war höchstwahrscheinlich ein Radiomitschnitt aus Großbritannien mit ganz frühem UK-Hardcore-Zeug drauf. Ich erinnere mich noch genau an einen Track, ein schlimmer Remix des Sesamstraßen-Titelthemas. Ich konnte das damals gar nicht einordnen – niemand konnte das richtig einordnen –, aber genau das faszinierte mich so daran”, erklärt er. Es habe ihm damals die Augen für eine völlig neue Welt geöffnet, erinnert sich Ford. Dennoch habe die Musik noch für eine ganze Weile ihre Geheimnisse für sich behalten.

Jugend im Tarkowski-Film 

Auf den ersten Raves habe er nie gewusst welche Tracks liefen. „Auch wenn ich die Namen der Tracks erfragt hätte, gab es gar keine Möglichkeit, die Platten zu finden”, erklärt Ford. In den paar Plattenläden, die es damals gab, hätte man unwahrscheinliches Glück haben müssen, um über die Tracks zu stolpern. „Darin hat für mich aber auch eine große Freiheit gelegen”, erinnert sich Ford heute. „Man konnte einfach Musik hören, es genießen, ohne unbedingt wissen zu müssen, was es ist.”

Diese Unzugänglichkeit habe die Musik für Ford damals geheimnisvoll gemacht. Sie hatte etwas Mysteriöses an sich, und das reizte ihn. Heute sei das anders. Alles ist immer und zu jeder Zeit zugänglich. Das müsse nicht unbedingt besser oder schlechter sein, es entmystifiziere aber in jedem Fall die Musik.


„Für das Album versuchte ich, an Orte aus meiner Vergangenheit zu denken, die starke Erinnerungen hervorrufen.” 

Ryan James Ford

Auch wenn Ford betont, kein Zukunfts-Pessimist zu sein, findet sich in vielen seiner Veröffentlichungen eine nostalgische Färbung. Reminiszenzen an die texturreichen, introvertierten IDM- und Ambient-Klassiker der Neunziger sind zentraler Teil seines Sounds. Künstler*innen wie Autechre oder Aphex Twin, aber auch Techno-Größen wie Jeff Mills und Surgeon haben ihm den musikalischen Pfad getreten, auf dem er nun selbst wandelt.

„In meiner Musik geht es mir darum, Gefühle nachzuvollziehen, die ich früher einmal hatte,” erklärt Ford. Dabei fasziniere ihn vor allem, wie man subjektive Ideen durch Klang an die Hörer*innen weitergeben kann. „Natürlich kann niemand genau verstehen, was ich fühle oder welche Assoziation ich mit der Musik habe. Trotzdem übersetzen die Hörer*innen meine Musik in eigene Gefühle und spinnen sie so weiter. Das, finde ich, ist das Tolle an Kunst generell.” 


Der People-under-the-Stairs-Rave in Calgary (Foto: Archiv Ryan James Ford)

Seinem Hang zur Nostalgie kann man auch auf Fords Social-Media-Kanälen nachspüren. Dort postet er regelmäßig kleine selbstgeschnittene Videoclips zu kurzen Ausschnitten seiner Tracks. Schnelle Abfolgen eklektischer VHS-Aufnahmen und Cartoon-Sequenzen sind zu sehen. Kleine Erinnerungen, die wie Flashbacks von einer Zeit zeugen, die heute irgendwie unbesorgt scheint.

Der Shambhala-Rave 2007 (Foto: Archiv Ryan James Ford)

Wie die Videoclips habe Ford auch schon bei den Veröffentlichungen seines Labels SHUT die Artworks selbst gestaltet. Vor allem Comic-artige Logos und Sketches zieren dabei die Cover seiner Releases. Mit dem Imprint, das er 2016 aufzog, hat er heute jedoch weitgehend abgeschlossen. Sein letztes Release Out Of The Wreckage erschien 2019.

„Es ist zwar toll ein eigenes Label zu haben und selber bestimmen zu können, was wann herauskommt, es schafft aber auch viele Unsicherheiten,” erklärt er. „Wenn ich früher etwa auf Marcels Label released habe, dann wusste ich, dass wenn sich die Platte schlecht verkauft, wenigstens einer meine Tracks mag. Auf dem eigenen Label macht man sich da auf einmal viel mehr Gedanken.” Auch deshalb nutzt Ford lieber das niederländische Clone Records als Imprint für sein neues Album Exshaw

Nicht alle Wege führen nach Exshaw, aber dieser zweifellos. (Foto: Archiv Ryan James Ford)

Ein Gespräch über den neuen Langspieler Fords führt in ein Kanada, das anmutet, als sei es einem Tarkowski-Film entliehen. „Für das Album versuchte ich an Orte aus meiner Vergangenheit zu denken, die starke Erinnerungen hervorrufen”, erklärt Ford. In letzter Zeit habe er sich viel damit auseinandergesetzt, welchen Einfluss diese Orte auf ihn als Person und Künstler hatten.

Besonders hervorgestochen sei dabei Exshaw, ein kleiner Weiler rund eine Stunde außerhalb Calgarys, in dem Ford große Teile seiner Jugendzeit verbrachte. Ein mysteriös-entrückter Ort, der in den Neunzigern voller Erinnerungen und gescheiterter Ideen am Fuße der Rocky Mountains dahindämmerte.

Der Staudamm von Exshaw (Foto: Archiv Ryan James Ford)

„Exshaw hatte all diese sonderbaren Dinge um sich”, erinnert sich Ford. „Es gab einen großen Damm, einen Fluss, in den wir als Jugendliche immer gesprungen sind, einen See und eine verlassene Stadt, die ursprünglich für die Damm-Arbeiter errichtet wurde, heute aber wie tot daliegt.” Der Ort habe etwas Mystisches an sich gehabt, eine Schnittstelle zwischen Natur und technologischem Fortschritt, zwischen Vergangenheit und Gegenwart. 


„Das Schöne an elektronischer Musik ist, dass es für jede und jeden einen Weg gibt, sich in ihr zurechtzufinden. Elektronische Musik wird deshalb auch nicht aussterben, sondern sich jede Zeit neu aneignen.“

Ryan James Ford

„Es waren gerade die omnipräsenten Spuren der Menschen, die dort einmal gelebt haben, die mich im Nachhinein so an Exshaw faszinieren. Überall sah man diese fragmentierten Ideen, die dort zurückgelassen einfach vor sich hinvegetieren,” erzählt Ford. Während in Großstädten wie Berlin die Spuren der Verschwundenen schnell entrümpelt und neu vermietet werden, seien sie in Kanada, an Orten wie Exshaw, noch fassbar. Sie stehen dort wie Mahnmale vergangener Visionen, die langsam wieder der Natur anheimfallen.

Eine Zementfabrik in Exshaw (Foto: Archiv Ryan James Ford)

Ford und seinen Freund*innen war Exshaw damals Kulisse erster Raves und intimer Berührungspunkt mit der Natur. Für die Sonderlinge, die sich dort Mitte der Neunziger um die angekarrten Boxen tummelten, dienten Orte wie Exshaw als Ausflucht aus der Stadt und ihren alltäglichen Zwängen. Damals habe es eine Vielzahl an Partys in der Peripherie Calgarys gegeben, erinnert sich Ford.

Der Drumheller-Rave in einem unbekannten Jahr (Foto: Archiv Ryan James Ford)

„Es waren immer eher die Ausgeschlossenen, die sich dort draußen trafen. Das Tolle daran war aber, dass man sein konnte, wer man wollte. Ob man nun der beliebteste Junge der Schule war oder eine Außenseiterin; auf den Partys war man einfach nur einer von vielen.” So ist Exshaw auch ein Tribut an diesen Ort, eine Retrospektive auf die Zeit, die Ford, aber auch die elektronische Musik prägte wie keine andere.

Ryan James Ford in seinem Studio. (Foto: Archiv Ryan James Ford)

Doch auch im Zurückschauen begenügt sich Fords Musik nicht damit, in der Vergangenheit zu verweilen, sondern schlägt immer auch eine Brücke in die Zukunft und Gegenwart. Eine Qualität, die für Ford generell in elektronischer Musik liegt: „Das Schöne an elektronischer Musik ist, dass es für jede und jeden einen Weg gibt, sich in ihr zurechtzufinden. Elektronische Musik wird deshalb auch nicht aussterben, sondern sich jede Zeit neu aneignen.” Nicht umsonst ist elektronische Musik immer noch die Zukunftsmusik. Sie ist und bleibt der beste Soundtrack, um gemeinsam voranzuschreiten.

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