Raphael Dincsoy (Foto: Dennis Meier)

Clubs sind Kulturorte. Das sieht seit dem 7. Mai auch der Deutsche Bundestag so. Damit verorten sich Clubs zwischen Kino und Oper und nicht mehr unter Bordellen, Spielhallen oder Wettbüros. Aber wird das (Über)Leben der Clubs dadurch leichter? Was bedeutet die neue Regelung konkret für die Akteur*innen der Szene? Wir haben drei Macher*innen von Clubs befragt. Nach Pamela Schobeß, Dimitri Hegemann und Steffen Kache ist nun noch Raphael Dincsoy, Booker vom Lehmann Club in Stuttgart an der Reihe. Er sieht die Neuerungen mit gemischten Gefühlen.


Wie waren die Reaktionen bei euch, als ihr von dem neuen Beschluss gehört habt?

Raphael Dincsoy: Ehrlich gesagt: eher gemischt. An sich ist es natürlich ein guter, richtiger und längst überfälliger Schritt. Er könnte für unsere Branche auch eine Grundlage für eine bessere Verhandlungsbasis bezüglich der Neuerschließung von Veranstaltungsorten in leerstehenden Gebäuden sein. Beispielsweise als Zwischen-, Dauer- oder „Umnutzung“. Wünschenswert wäre auch weniger Bürokratie bei neuen Projekten.

Für uns im spießigen, „subkulturfeindlichen“ Stuttgart bzw. Baden-Württemberg wäre es ein großer Fortschritt, wenn dieser Beschluss auch tatsächlich bei den Ämtern und Behörden wie Polizei und Ordnungsamt ankäme. Wir werden hier nämlich seit eh und je belächelt, schikaniert und blockiert, wo es nur geht. Die Städte – vor allem die Innenstädte – sterben aus. Nicht nur Corona-bedingt. Auch davor schon reihten sich Büro an Büro, Shopping Mall an Shopping Mall. Jahr für Jahr gibt es weniger Wohnhäuser sowie Kulturstätten, Bars, Kneipen und Clubs. Als wäre das nicht genug, bekommt man das Gefühl, dass das den Verantwortlichen der Stadt und des Landes sogar ganz recht ist. Da hilft es auch nicht, wenn sich die Regierungsparteien für die wirtschaftliche und soziale Absicherung von Kulturschaffenden aussprechen, das verstärkt mein pessimistischen Denken bloß noch. Letztlich ist das ein Schlag ins Gesicht für uns alle und ein Grund dafür, dass ich den Bundestagsbeschluss noch nicht so sehr für bare Münze nehmen kann.

Das Lehmann (Foto: Bella Christmann)

Wird sich für euch etwas Konkretes verändern?

Dazu kann ich noch nicht viel sagen. Für uns als Lehmann Club kann ich mir kaum Verbesserungen oder Veränderungen vorstellen. Wir sehen uns schon immer als Kulturspot. Neben der Musik bringen wir schon immer Menschen jeder Herkunft und jeglicher Sexualität zusammen. Wir haben eine kleine, regelmäßige Reihe mit Vernissagen. Damit versuchen wir junge Künstler*innen zu unterstützen. Daher waren wir immer schon das, was wir nun auch auf dem Papier sind.

Ich muss auch ehrlicherweise sagen, dass wir, was Konzession und Sperrzeiten angeht, schon immer sehr frei waren. Sprich: keine Sperrstunde, wenig Polizeischikane. Wenn, dann nur außerhalb des Clubs. Leider haben es andere Clubs, Bars und Locations – gerade die im Stadtzentrum – da deutlich schwerer. Wir als Lehmann versuchen seit jeher so gut es geht mit den Ämtern zu kooperieren – gerade weil man weiß, wie sehr man als Club im Fadenkreuz steht.

Raphael Dincsoy (Foto: Dennis Meier)

Bedeutet der Beschluss für euch in Zeiten von Corona einen Lichtblick?

Auch hier würde ich mich gern positiver äußern und selbst hoffnungsvoller sein. Aktuell bin ich aber noch sehr skeptisch. Ich denke, wir alle wissen – vor allem hier in Baden-Württemberg -, dass wir die allerletzten sein werden, die wieder zur „Normalität“ (wie auch immer die dann aussieht) zurückkehren dürfen. Kulturstätte hin oder her.

Bei uns war ja Anfang des Jahres mit Wahlkampf für die Landtagswahl. Nachdem die Stuttgarter Clubs im letzten Jahr nicht eine einzige Freifläche für Open Airs oder ähnliche Veranstaltungen von der Stadt gestellt oder genehmigt bekommen haben, wurde uns dies nun für den Sommer 2021 versprochen. Allerdings – wie gesagt – vor der Wahl.

Es ist ja nicht so, dass wir nicht vor dem Beschluss auch schon Zeit, Energie und Herzblut in Hygienekonzepte und Umbauten investiert haben, um zu versuchen, was möglich ist. Am Ende wurde alles abgeschmettert. Man bekommt einfach ständig das Gefühl, „nicht wichtig“ zu sein. Hauptsache bei Daimler, Porsche, Bosch und den anderen Industriebetrieben laufen die Maschinen. Ich freu’ mich für jede*n, der*die in diesen Zeiten arbeiten darf, an der*m die Krise zumindest wirtschaftlich vorbeizieht. Dennoch macht das was mit den Menschen. Gerade mit denen, die nur noch die Arbeit und keinerlei Ablenkung oder Ausgleich mehr haben. Leider ist die Politik von solchen Themen ganz weit weg. Für die spielt das eine marginale bis gar keine Rolle.

Vorheriger ArtikelDie Platten der Woche mit Ivan Iacobucci, LSDXOXO und Sterac
Nächster ArtikelGroove DJ-Charts mit Joyhauser, Pablo Bozzi, SHDW & Obscure Shape, Super Flu, Z.I.P.P.O und Groove Attack