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Vladislav Delay: „Ich mag elektronische Musik nicht mal besonders gern”

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Vladislav Delay (Foto: AGF)

Mit Alben wie Anima, Multila oder Vocalcity als Luomo avancierte Vladislav Delay Ende der Neunziger und Anfang der Zweitausender zum Hoffnungsträger der elektronischen Musik. Mühelos verband er grummeligen Dub mit unsteten Rhythmen oder tüftelte unbewusst an der Entwicklung neuer House-Genres mit. In den Zehnerjahren wurde es stiller um Sasu Ripatti, wie der Finne mit bürgerlichem Namen heißt. Musikalische Differenzen mit sich selbst, vor allem aber der Industrie ließen ihn eine Pause einlegen.

Nach diversen Soundtrack-Arbeiten und Kollaborationen erschien Anfang letzten Jahres mit Rakka eine wilde, ungezähmte Vertonung der Natur seines Heimatlandes, mit der Ripatti sich zurückmeldete. Im April 2021 folgte der zweite Teil, der für Vladislav-Delay-Verhältnisse tanzbar ausfiel, „poppig”, wie Ripatti es im Interview nennt.

„Man gibt heute kaum noch Interviews. Wo ist das Magazin, wo ist das Medium?”, fragt er, kurz nachdem der Zoom-Call zwischen Berlin und Hailuoto, einer kleinen finnischen Insel in der Ostsee, auf der Ripatti seit einigen Jahren lebt, steht. Das Magazin-Sterben als weiteres Indiz dafür, dass sich die Industrie im fortwährenden Wandel befindet. Ein Wandel, der Ripatti, gehüllt in einen orangenen Funktions-Hoodie, missfällt, ihn aber keineswegs verzweifeln lässt.


GROOVE: Musikalisch ins Risiko zu gehen war dir während deiner Karriere wichtig. Hat es dich gestört, wenn andere Künstler*innen das nicht taten?

Vladislav Delay: Es ist ziemlich leicht, über andere zu reden. Ich selbst wertschätze Veränderungen, Fortschritt und Risiken definitiv. Außerdem habe ich den größten Respekt vor Leuten, die Risiken eingehen und daran scheitern. Das Leben ist lang, du hast genug Zeit, um einige Male zu versagen. Du müsstest schon etwas extrem Dummes und Schlechtes machen, um nicht wieder zurückzukommen. Die Menschen vergessen sehr schnell. Das ist heutzutage meine Weisheit. (lacht)

Hattest du schon mal den Eindruck, künstlerisch selbst auf ganzer Linie versagt zu haben?

Ich gehe mit mir hart ins Gericht. Wenn ich auf meine Karriere zurückschaue, die unglücklicherweise ein verdammtes Vierteljahrhundert umfasst, sehe ich eigentlich hauptsächlich Misserfolge. Das gilt aber nur für den Moment, in dem ich die Sachen gemacht habe. Wenn man daraus aber lernt, entwickeln sich diese vermeintlichen Flops zu etwas Positivem. Ich bereue nichts. Außer vielleicht, nicht noch mehr Risiken eingegangen zu sein. Dass ich manchmal nicht mutig genug war. Aber das sagt sich im Nachhinein so leicht, in der Gegenwart selbst ist das anders. Ich denke nicht, dass ich oft auf Nummer sicher gegangen bin.

Beschäftigst du dich viel mit solchen Fragen?

Wahrscheinlich mehr als nötig. Es ist aber nichts, was ich gerne mache. Manchmal beneide ich Leute, die sich wohl damit fühlen, ihr ganzes Leben lang nur Minimal House zu machen, damit ein wenig Geld zu verdienen und ein angenehmes Leben zu haben.

Hast du 2014 nicht wegen genau solcher Leute deine Karriere vorläufig beendet?

Das war meine Entscheidung. Ich habe mir eine Pause genommen, um mich mit den Fragen zu beschäftigen, die wir eben besprochen haben. Ich hatte das Glück, mir über meine Karriere ein relativ großes Studio aufgebaut zu haben. Das meiste Equipment habe ich ver- und mir damit für eine Weile meine Freiheit erkauft. Das war es wert. Ich nehme die Dinge wohl etwas zu ernst, das erschöpft auf Dauer.


„DJing ist eine Art Service-Job, eine Dienstleistung. Ich verstehe mich nicht als Unterhalter. Als DJ musst du Leute glücklich machen, sie zufriedenstellen.”


Lebst du noch in Finnland in dieser 1000-Einwohner-Gemeinde?

Ja, auf einer Ostsee-Insel. Seit zwölf oder 13 Jahren. Ich habe bis heute keinen besseren Ort gefunden.

Ich habe gelesen, dass du aufgehört hast, zu touren. Letzten Oktober habe ich dich auf dem Heart of Noise gesehen.

Stimmt, ich habe beinahe aufgehört. Just als die Pandemie kam, hätte ich eigentlich ein paar Auftritte gespielt, aber die hatten sich dann erledigt. Es ist unmöglich viel zu touren, wenn du hier lebst. Das liegt schon am Geld. Die halbe Gage geht für die Flugtickets drauf. Die sind von hier weg sehr teuer. Außerdem ist es körperlich unheimlich anstrengend. Ich habe es eine Weile versucht, nachdem wir hierher gezogen sind. Fast jede Woche. Da bin ich ausgebrannt. Du fliegst drei- oder viermal am Tag, um irgendwo hinzukommen. Das Konzert ist nicht das Anstrengende, es ist das Fliegen. Wenn du beispielsweise in Berlin wohnst, ist das komplett anders.

Du musst auch erstmal eine Fähre nehmen, um zum Flughafen zu kommen.

Das sind zweieinhalb oder drei Stunden Autofahrt zum ersten Flughafen. Dann bin ich am nördlichen Polarkreis in Nordfinnland. Flug nach Helsinki, kleiner Flughafen, kaum direkte Flüge. Wenn es irgendwo Besonderes hingehen soll, fliege ich viermal.

Vladislav Delay Schnee by AGF
Foto: AGF

Klingt ein wenig nach DJ-Jetset. Ein Beruf, der dich nie begeistern konnte. Bist du aufgrund der Pandemie noch froher, keiner zu sein? Wo siehst du die künstlerischen Unterschiede zwischen dir und DJs?

Finanziell war das Jahr auch für mich ein absolutes Desaster, profitiert oder dergleichen habe ich sicher nicht. Aber da hörst du sicherlich nichts Neues. DJing ist eine Art Service-Job, eine Dienstleistung. Ich verstehe mich nicht als Unterhalter. Als DJ musst du Leute glücklich machen, sie zufriedenstellen. Klar, du kannst auch Grindcore-DJ sein und Leute malträtieren und verrücktes Zeug machen. Aber auch dann bist du gewissermaßen Unterhalter. Da schwingt eine Verantwortung mit, darin war ich nie gut. Ich tendiere dazu, den Leuten zu schnell den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Ich mag elektronische Musik nicht mal besonders gern. Man sollte lieben, was man tut. Und so geht es mir mit Clubmusik nicht. Außerdem fehlt mir schlicht die Begabung für dieses Handwerk.

Wenn du spielst, fühlen sich die Leute doch auch unterhalten.

Immer weniger. (lacht) Da sprechen wir aber über unwesentliche Mengen. Beim Spielen bin ich eher Ich-fokussiert, fast schon narzisstisch. Ich frage mich eher, was ich mit meiner Musik machen kann, was ich zuvor noch nicht gemacht habe. Oder wie ich das Publikum etwas erleben lassen kann, das es normalerweise nicht erlebt. Das ist als DJ schwerer. Wenn du deine eigene Musik spielst und dein Auftritt als Konzert angekündigt ist, geht dein Publikum offener rein. Bei Live-Sets passiert so viel, das ich nicht kontrollieren kann. Wichtig ist, das zu akzeptieren. Wenn etwas schief geht, wiederholst du es einfach immer weiter, das habe ich aus dem Jazz.

Den Bug zum Feature werden lassen.

Genau. Je älter ich werde, desto mehr habe ich mich außerdem vom Proben verabschiedet. Dadurch wird alles zu berechenbar.

Gestern habe ich eines der Konzerte mit Sly & Robbie, Nils Petter Molvær und Eivind Aarset gesehen. Wurde das nicht geprobt?

Was mich anbetrifft: Null. Ich kann ein durchorchestriertes Programm nicht ab. Besonders, wenn du tourst und das zehn oder 20 Tage hintereinander machst. Wenn du immer weißt, was passiert, ist das kontraproduktiv.

Viele haben dieses ungleiche Verhältnis zwischen Künstler*in und Publikum nicht im Hinterkopf. Die Leute kommen mitunter für ein einmaliges Erlebnis, um jemanden zu sehen, der oder die Woche für Woche das exakt Selbe macht.

Aber sie wollen dieses spezielle Erlebnis, vor allem im Mainstream. Wenn man berühmter wird und zum Beispiel Popsongs schreibt, die im kollektiven Gedächtnis bleiben, wollen die Leute genau die hören. Wenn du auf der Bühne dann durchdrehst und verrücktes Zeug machst, wirst du Sympathien verspielen. Das musst du akzeptieren. Ich spreche hier natürlich nicht von mir, weil ich live fast nur unveröffentlichtes Zeug spiele.

Vladislav Delay live by Telemach Wiesinger
Foto: Telemach Wiesinger

Im Pressetext zu Rakka II sprichst du vom Album als „romantic summer vision full of hope and optimism”. Was erwartest du dir vom kommenden Sommer und wo genau hast du in diesem Album den Optimismus versteckt?

(lacht) Da müssten wir erstmal festlegen, wie ernst du diese Frage meinst. Wenn ich einen Pressetext schreibe – und ich habe davon schon etwa 50 hinter mir –, weiß ich, wie das funktioniert. Diesen habe ich mit einem Augenzwinkern verfasst, weil die Dinger eh überall übernommen werden. Verglichen mit dem ersten Teil ist es allerdings tatsächlich etwas poppiger. Es ist beeinflusst von der Natur, vom Wandern. Allerdings nicht so hardcore, nicht so life and death. Man kann sich dazu etwas entspannen. Der Pressetext ist nicht als kompletter Witz angelegt, kein Aphex-Twin-Zeug oder so. (lacht)


„Ich vermisse einfach das Gefühl, Platten zu kaufen und nicht zu wissen, was darauf abgeht. Heute weißt du acht Bars im Voraus, was passiert.”


Hast du Humor je als Teil deiner Musik gesehen?

Nein. Schon Frank Zappa hat die Frage gestellt, ob Humor zur Musik gehört. Ich glaube nicht. Das kann alles ruinieren. Musik sollte natürlich auch nicht zu ernst sein. Ich suche nach anderen Mitteln als Humor, um ihre Ernsthaftigkeit zu konterkarieren, vielleicht sowas wie Wahnsinn. Bloßen Humor in der Musik mag ich aber nicht.

War die Natur über deine ganze Karriere hinweg eine zentrale Inspirationsquelle oder wurde sie erst in den letzten Jahren wichtig? Du hast zum Beispiel mal in Berlin gelebt.

Du musst immer etwas aufnehmen, das dich inspiriert, um Musik zu machen. Ich habe festgestellt, dass ich kein Stadtkind bin. Die Natur hat mich immer stärker angezogen. Vielleicht auch, weil sie einen Gegenpol zum Rest meines Lebens darstellt. Ich mag Technologie und Geschwindigkeit, brauche aber was, auf das ich mich stützen kann, wenn’s zu viel wird. Das liegt sicher auch daran, dass ich in der Natur geboren wurde. In Berlin hat mir das gefehlt, echte Winter, genug Platz.

Davon hast du an deinem jetzigen Wohnort genug.

Definitiv. Einmal im Jahr gehe ich für eine längere Zeit, vielleicht einen Monat, in die Berge. Es geschieht etwas, wenn man alleine wo hingeht, von wo aus man nicht jederzeit zurück kann. Dort bekommst du ein Gefühl von Demut, der Überlebensinstinkt setzt ein. Die Inspiration, die ich da bekomme, ist unvergleichlich.

Woher konntest du früher Inspiration beziehen?

Das hat mitunter ausschließlich über Musik funktioniert. An einem gewissen Punkt hat sich die Musikindustrie und der Konsum von Musik aber so verändert, dass ich das als negativen Einfluss wahrgenommen habe. Ich habe nichts mehr gehört, von dem ich mir wünschte, dass ich es gemacht hätte. Da habe ich beschlossen, mir meine Inspiration und Herausforderung woanders zu holen. Ich weiß, dass ich da sehr vorsichtig sein muss, weil ich mich schnell prätentiös anhöre. Aber als ich anfing, elektronische Musik zu machen, gab es Zeug, das ich gehört habe, weil ich nicht wusste, was da los ist. Es hat mich fast umgebracht, das rauszufinden. Die letzten beiden Dekaden waren dahingehend nicht besonders spannend.

Wann war für dich die spannendste Periode? In den Neunzigern?

Der Höhepunkt war für mich Ende der Neunziger und Anfang der 2000er. Mit dem Sound of Cologne, mit Chain Reaction – das war alles interessant. Wenn du das jetzt hörst, durchblickst du es natürlich relativ schnell. Ich vermisse einfach das Gefühl, Platten zu kaufen und nicht zu wissen, was darauf abgeht. Heute weißt du acht Bars im Voraus, was passiert. Wie gesagt, die Leute müssen davon leben können, das ist total in Ordnung. Für mich bedeutet kreatives Überleben aber mehr als finanzielles.

Vladislav Delay Berg by Antti Leinonen
Foto: Antti Leinonen

Glaubst du, du wirst dieses Gefühl der Ungewissheit, das du so schätzt, nochmal erleben?

Ganz sicher. Irgendjemand, wahrscheinlich nicht in Europa, wird etwas machen, das mich umhaut. Dann fängt ein neuer Lebensabschnitt an. Vielleicht kann ich es mir dann nicht mehr leisten, wandern zu gehen, weil ich rund um die Uhr im Studio bin und meine Naivität realisiere.

Du kommst ursprünglich aus dem Jazz, hast als Drummer angefangen. Gibt es eine Verbindungslinie vom Jazz zum Dub, mit dem du bekannt geworden bist?

Ich bin jedenfalls nicht auf direktem Wege übergelaufen. Drogen haben eine Rolle gespielt, Dub hat mich vor allem aus Producer-Sicht und nicht als Drummer angezogen. Damals hatte ich auch die ersten elektronischen Tracks gehört, die frühen Massive Attack oder so. Dub hat mir viele Türen geöffnet, mich Sound wirklich erkunden lassen. Da ging’s nicht nur um Komposition, sondern auch um Produktion. Und natürlich wollte ich einfach meine eigene Musik machen. Zu Jazz-Zeiten habe ich immer mit fünf Leuten in einem Raum gesessen und wir feilschten und verhandelten über unsere Musik.


„Ich hatte mir erwartet, dass jeder Kompakt kennt und habe wildfremde Leute nach dem Laden gefragt. Die meinten nur, was zur Hölle das ist.”


Jazz ist für dich seit den Sechzigern tot. Gibt es überhaupt noch lebendige Genres? Hörst du noch viel Hip Hop?

Das ist für mich zumindest ein Genre, das sich öfter neu erfindet als andere. Manche elektronischen Spielarten sind aber wohl schon etwas kurzlebiger konzipiert, weil sie sich in engen geographischen oder technologischen Korridoren bewegen. Jungle hat sich zum Beispiel so schnell entwickelt, dass es nach kurzer Zeit keinen Raum mehr hatte, um zu wachsen.

Wie hat sich der Umgang mit Musikstilen für dich verändert?

Als ich aufwuchs, habe ich Jazz oder Black Metal gemacht, später elektronische Musik. Da war es noch nicht redlich, das alles zu kombinieren oder auch nur allesamt zu mögen. Du hattest deine Religion und musstest ihr treu bleiben. Heute hören Teenager hingegen Indie-Pop und Dance-Pop, mögen aber zum Beispiel auch Jazz. Der Zugang ist inzwischen viel offener, das ist ein großer Fortschritt. Ich erinnere mich zum Beispiel noch an diesen verdammten Minimal-House-Fluch in Berlin, als in Clubs einfach nichts anderes akzeptiert wurde. Alles war extrem Ketamin-getrieben.

Du meintest dazu: „I wanted to do full music. They wanted to not have anything but the bass drum and ketamine.”

An den zwei Dingen ist ja erstmal nichts verkehrt. Aber wenn andere Arten von Musik beinahe faschistoid ausgegrenzt werden, verstehe ich das nicht. Für mich war es immer wichtig, eine stilistische Breite zu haben.

Die in deiner Karriere auch bis hin zum House reichte. Letztes Jahr hast du Vocalcity, das du 2000 als Luomo veröffentlicht und in deiner späteren Karriere immer wieder hart kritisiert hast, wiederveröffenlicht. Hast du mit dem Album Frieden geschlossen?

Das habe ich mit vielen Dingen hinbekommen. Wieso ich’s gemacht habe? Wahrscheinlich Pandemie-Panik, überhaupt keine Einkünfte. Ich kenne die Boomkat-Leute ganz gut und habe da einen Account. Dann habe ich denen den Re-Release vorgeschlagen und sie hatten Lust. Eigentlich haben die alles übernommen, ich selbst hätte gar keine Kapazitäten, habe gar kein richtiges Label. Kurz zuvor hatte irgendjemand [Keplar, d.Red.] Multila nochmal rausgebracht, deshalb bin ich auf die Idee gekommen. Aber wenn ich noch immer denken würde, dass mit dem Album etwas grundsätzlich nicht stimmt, hätte ich’s nicht gemacht. Außerdem bedeutet es manchen Menschen ziemlich viel. Wieso also die nicht glücklich machen? Das ist nicht das Schlechteste, was man im Leben tun kann.

Multila erschien 2003 auf Chain Reaction. Wie hast du mit Mark Ernestus und Moritz von Oswald zusammengearbeitet? Haben sie im Entstehungsprozess des Albums eine Rolle gespielt?

Das war schon fertig. Ich habe denen damals einiges an Musik geschickt. Von Multila waren sie sehr angetan, daran erinnere ich mich noch gut. Mit Mark habe ich vor nicht allzu langer Zeit noch gesprochen, und er meinte, dass er das Album immer noch mag. Für mich war das damals ein Riesending. Ich dachte, ich werde berühmt. (lacht) Ich dachte, dass sich mein Leben jetzt radikal verändert. (lacht)

Hattest du ursprünglich vor, berühmt zu werden?

Nein. (lacht) Ich habe Musik nie gemacht, um ein Star zu sein, dafür bin ich nicht der Typ. Damals, das war so Ende der Neunziger, war ich nur in seiner sehr schlechten Situation aufgrund meines Drogenkonsums, pleite noch dazu. Plötzlich hat sich da dieser Ausweg aufgetan, dieser Hoffnungsschimmer. Das hat gereicht, um mein Leben wieder mit konstruktiven Elementen zu füllen.

Du meintest bereits, dass du inzwischen älter und weiser geworden bist. Wie warst du drauf, als du mit elektronischer Musik angefangen hast und mit dieser Szene in Berührung kamst? Welche Vorstellungen und Erwartungen hattest du?

Die waren sehr romantisch. Ich dachte, ich hätte für Chain Reaction kommerzielle Musik gemacht, die irgendwo eine riesige Anhängerschaft hat. Dabei wusste ich nicht, dass es die gar nicht gibt. Ich war immer so ein Außenseiter, dass ich davon keine Ahnung hatte. In Finnland ging in die Richtung damals nichts, und ich dachte, das sei in Deutschland, Österreich oder im UK anders. Aber auch da war das Nischenmusik – das hat mich überrascht. Das Zeug war überall underground.

Wurden die romantischen Vorstellungen, die du hattest, in irgendeiner Weise erfüllt?

Nein. (lacht) Nie. Als ich angefangen habe, wegen der Musik in andere Länder zu reisen und dort zu spielen, habe ich realisiert, wie klein diese gesamte Szene ist.

Romantische Vorstellungen und Nischenmusik sind doch nicht unbedingt Gegensätze, oder?

Das nicht. Aber ich war damals sehr jung, gerade so über 20. Irgendwann war ich mal in Köln und habe mich da verlaufen. Ich hatte mir erwartet, dass jeder Kompakt kennt und habe wildfremde Leute nach dem Laden gefragt. Die meinten nur, was zur Hölle das ist. Ich hatte ein paar dieser Augenöffner, die den Stellenwert der Musik, die ich machte, verdeutlichten. Irgendwie dachte ich, dass jeder dort stolz auf Kompakt ist. Dasselbe gilt fürs Hard Wax in Berlin. Aber jetzt weiß ich ja, wie klein das alles ist. Wenn ich daraus eines gelernt habe, dann dass man wahrscheinlich langweilige Musik macht, wenn man berühmt ist.

Vladislav Delay by Antti Leinonen
Foto: Antti Leinonen

Sean Booth von Autechre meinte im Interview, dass er sich damit tröstet, dass die meistverkaufte Platte aller Zeiten Michael Jacksons Thriller mit 50 Millionen Exemplaren sei. Das ist nur ein kleiner Prozentsatz der Weltbevölkerung, der Rest interessiere sich vielleicht für spannendere Musik.

Da gehe ich nicht ganz mit. Die Verkaufszahlen von Platten erreichen eben ein gewisses Limit. Viele Leute hören Thriller auch im Radio und interessieren sich einfach nicht genug für Musik, um sich das Zeug zu kaufen. Aber natürlich ist das eine interessante Sicht auf die Dinge. Übrigens würde ich Autechre gerne mal Vocal House oder Pop machen hören. Ich habe größten Respekt vor ihnen, weil sie die ganze Szene mit aufgebaut haben, aber an einem bestimmten Punkt wird es schwer, sich nicht zu wiederholen.

Hattest du nach deiner Zeit als Luomo nochmal das Bedürfnis, Pop zu machen?

Was ist Popmusik? Wenn Luomo dieser Definition entspricht, dann ja. In ein paar Monaten erscheint ein Album auf Planet Mu, das mehr mit Clubmusik zu tun hat, mit vielen Samples.

Wie die Sachen als Ripatti, die um 2014 kamen?

Genau. Ich habe mich in den letzten Jahren auch viel mit Hardcore-Zeug beschäftigt, mit Frequenzen experimentiert. Da zähle ich die Rakka-Teile gar nicht unbedingt dazu, das Zeug ist gar nicht erschienen. Manchmal brauche ich, auch vom Producer-Standpunkt aus, leichter verträgliche Musik.

Wieso hast du dann überhaupt als Luomo aufgehört?

Das Four-To-The-Floor-Schema im House war mir zu restriktiv. Ich glaube nicht, dass ich sowas nochmal mache. Sampling hingegen mag ich immer noch sehr gern. Wenn du nur experimentelle Musik machst, siehst du irgendwann den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Dann hilft es, einen Monat lang etwas komplett anderes zu machen. Wenn ich mir danach die experimentelle Musik wieder anhöre, kann ich in der Regel bewerten, ob es spannend ist oder nur audio porn.

Produzierst du davon viel?

Zumindest verwerte ich wenig von dem, was ich mache. In den letzten zwei Jahren waren es um die zehn Alben, die Hälfte habe ich sofort verworfen. Das hat aber auch mit dem Älterwerden zu tun. Ich habe das Gefühl, dass ich noch so viel zu tun habe. Und ich weiß, dass ich noch etwas schaffen kann, was ich noch nie zuvor gemacht habe. Es ist fast greifbar, hörbar, riechbar, aber es passiert einfach nicht. Das ist frustrierend.

Machst du dir Sorgen deshalb?

Nicht wirklich. Es wird nur ernster, je länger meine Karriere dauert. Ich versuche, dieses Ziel immer bewusster zu erreichen. Mir wird immer stärker klar, welchen Aufwand ich dafür betreiben muss. Und ich habe eh nichts Besseres zu tun, deshalb probiere ich es.


Eine Bonusfrage habe ich noch: Unser Chefredakteur meinte, dass Rashad Becker (damals Mastering Engineer bei Dubplates & Mastering, d.Red.) Anfang des Jahrtausends mal gesagt habe, dass in deiner Musik eine bestimmt Frequenz fehlt. Ergibt das Sinn für dich?

Gewissermaßen. Damals, vor allem vor meinem Umzug nach Berlin, hatte ich ein sehr fehlerhaftes Monitoring. Als hätte das nicht gereicht, habe ich noch ziemlich viele Drogen genommen. Die beeinträchtigen dein Gehör stark. Die beiden Dinge haben sich gegenseitig wahrscheinlich noch verstärkt, also fehlt da im Frequenzspektrum sicher einiges. (lacht) Außerdem mag ich eh keine Höhen, ich muss mich immer zwingen, die einzubauen. Diese Kritik nehme ich also vollumfänglich an, Rashad hat recht. (lacht) Bei meiner Musik nehme ich Frequenzen, die mich nerven, einfach weg. Aber damals, als ich zum Beispiel Multila oder Vocalcity gemixt habe, ist das aus Versehen passiert.

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